Umbauland Kreolien

Stille Post Kolumne

Wir leben im Zeitalter der Reformen. Gesundheitsreform, Steuerreform, Rechtschreibreform. Reicht das? Dem Berliner Autor Ingo Niermann nicht. Er will Deutschland eine Baurevolution, eine Bodenrevolution, eine Sprachrevolution und eine Nuklearrevolution verordnen. Wir wollen einmal die seltsamen Vorschläge aus seinem Buch Umbauland beiseite lassen - beispielsweise den Bau einer himmelhohen Pyramide aus Urnengräbern in einem stillgelegten Lausitzer Braunkohletagebau - und uns seiner neuen Sprache "rededeutsch" zuwenden. Niermann schlägt seinen Landsleuten eine Sprache ohne Deklinationen und Konjugationen vor, der Plural soll stets nur mit einem angehängten -s gebildet werden, Verben besitzen als einzige Form den Infinitiv. In einem Gespräch mit der Berliner Morgenpost verwies der Revolutionär kürzlich darauf, dass sein neues Sprechmodell auch die Integration von Ausländern sehr erleichtern würde. Darüber hinaus dürfte Niermann ewiger Dank der deutschen Schülerinnen und Schüler gewiss sein.

Natürlich spricht der Erfinder des Rededeutschs seine Sprache noch nicht, meint aber, dass es an der Zeit sei, einen Modellversuch in einem Kindergarten zu starten. Mal sehen, was den Kleinen besser gefällt. Niermann beendete sein eigenwilliges Gespräch mit dem Satz: "Rededeutsch vereinfachen Grammatik und sein erlernbar ohne Vorkenntnis in wenig minutes. Einfachst Lösung seien gutst Lösung."

Unser Verbalrevolutionär steht nicht allein. Aus der baden-württembergischen Staatskanzlei kam kürzlich der Vorschlag, als Geschäftssprache Englisch einzuführen und Deutsch dem Hausgebrauch vorzubehalten. Angesichts der dortigen Dialektherrschaft ein vernünftiger Vorschlag. Aber auch Funk und Fernsehen arbeiten bereits nach der Niermann-Methode, ohne vermutlich den Autor zu kennen. Und während der Sprachpfleger Sick (Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod) noch vor großem Publikum Sprachregeln auf unterhaltsame Weise paukt, hat auf dem Bildschirm ein breit angelegtes Programm zur Abschaffung der deutschen Sprache begonnen. Sie ist zum Abschuss freigegeben.

Schönes Beispiel aus der ARD vom 12. November: "Die Verbalattacke hat seine Wirkung verfehlt". Nun ja. Auch der neulich geäußerte Satz: "Die Berliner Charité plant, 1.500 seiner Mitarbeiter zu entlassen", geht in dieselbe Richtung. Sprache auf dem Heimweg zum kindlichen Idiom. "Das ist Mama sein Stuhl!"

Was wird eigentlich noch im Deutschunterricht gelehrt und gelernt? Ein Leipziger Sprachwissenschaftler hat von der Kreolisierung des Deutschen gesprochen. Eine Zeitlang habe ich die abenteuerlichen Regelverstöße und Betonungsfehler der Nachrichtenleute mitgeschrieben, die den Revolutionär Niermann blass vor Neid werden lassen müssten. Ich habe es aufgegeben. Es kommt keiner gegen die Sprecherphilosophie an: Ich verhunze, also bin ich. Der Umgang mit den Wörtern verrät keine Unsicherheit, sondern stabile Ignoranz. Gibt es eigentlich in solchen Sendungen noch Menschen, die ihre Kollegen auf deren Fehler hinweisen? Beispielsweise, dass wetteifern auf der ersten Silbe betont wird, weil es mit Betonung auf der zweiten einfach Scheiße klingt? Dass beim Satz "Schröder als auch Fischer..." vor den Exkanzler ein "sowohl" gehört? Dass es Schadenfreude und nicht Schadensfreude, Interessenkonflikt und nicht Interessenskonflikt heißt?

Erstaunlich, dass derartige sprachliche Fehlleistungen sofort und ohne Verzug von sämtlichen öffentlichen Daherrednern übernommen werden. Dass studierte Leute von einem Tag zum anderen alleine statt allein sagen und schreiben, dass bei Präpositionen wie entlang und entgegen plötzlich der Genitiv verwendet wird und nicht der Dativ. Andererseits, ein "Trotzalledes" von Karl Liebknecht klingt doch auch ganz lustig. Oder etwa nicht? Auch die Alleineherrschaft eines Diktators hört sich irgendwie menschlicher an. Wahrscheinlich sind Sprachpuristen nur konterrevolutionär. Noch einmal Ingo Niermann: "Damit kann man nur scheitern, denn Sprache lebt." Und wie!


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden