Vestra culpa - selber schuld

ABBITTE Der Papst entschuldigt sich für katholische Verbrechen

Seit 1870 ist der Papst unfehlbar. Kardinal Patrizzi redete damals Pius, den Neunten, bei einem Empfang mit den Worten an, er "habe sich die Unfehlbarkeit redlich verdient als Belohnung für die große Ehre, die er der Jungfrau Maria erwiesen." Pius hatte ihre unbefleckte Empfängnis proklamiert. Das ist jetzt 130 Jahre her. Eine kleine Strecke auf dem 2000jährigen Weg der Christenheit.

Jetzt hat Johannes Paul, der polnische Bischof auf dem Stuhl des Stellvertreters Christi, in einer großen Geste Fehler seiner Glaubensgemeinschaft in den vergangenen Jahrhunderten zugegeben. Es die 94. Bitte dieses Papstes um Vergebung in seiner Amtszeit. Johannes Paul bat Christus, nicht die Millionen Opfer von Inquisition, Zwangschristianisierung und rassischer Ausgrenzung, diese Handlungen zu verzeihen. Damit hat er den Apparat der Kirche weitgehend unberührt gelassen und die blutigen Fehler der Religion zu menschlichen Unterlassungen gemacht. Dennoch ist sein Schritt nach langem Schweigen der Kirche zu diesen Verbrechen mutig gewesen, vielleicht so mutig wie Nikita Chrustschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Frühjahr 1956. Auch der sowjetische Parteichef wollte die reine Lehre wiederherstellen, sie von den Verfehlungen Einzelner wie Josef Stalin reinigen und von den Enstellungen des eigentlich guten und wahren Marxismus-Leninismus. Nach dem Motto: Die Lehre ist gut, die Menschen sind schlecht und schwach. Ad fontes lautete deshalb die russische wie die römische Botschaft. Jedoch: Die Quellen sind in beiden Fällen trübe, um nicht zu sagen blutig. Während die KPdSU mit mäßigem Erfolg versuchte, den für Zehntausende tödlichen Personenkult abzuschaffen, ist Johannes Paul der inkarnierte Personenkult, weil er wie seine Vorgänger seit 1870 als unfehlbar gilt, also jeder öffentlichen wie privaten Kritik enthoben. "Rührt die Gesalbten des Hernn nicht an", lautet bis heute das Gebot an die katholischen Laien gegenüber ihren Hirten. Kann ein Unfehlbarer Verfehlungen glaubhaft zugeben?

Die Frage wird sein, wie die Kirche von heute ihre schreckliche Vergangenheit annimmt, um durch kritische Aufarbeitung offener für aktuelle Probleme zu werden. Der Brief des römischen Oberhirten an die deutschen Bischöfe zur Abtreibungsfrage lässt die sieben Vergebungsbitten vom vergangenen Sonntag in einem lediglich historisierenden Licht erscheinen. Wie wird beispielsweise ein stalinistischer Katholik wie der Fuldaer Bischof Johannes Dyba, zugleich Militärbischof, die Botschaft des Papstes auf ihre Zukunftstauglichkeit interpretieren? Wird er verkünden, dass Kirche für ihn bleibt, was sie immer war?

Es ist historisch zwar ein Meilenstein, dass Rom in den zurückliegenden Jahren sein Verhältnis zu den Reformatoren Hus und Luther, zu Wissenschaftlern wie Galileo Galilei und Giordano Bruno bereinigt hat. Auf welche Entschuldigung wird man wann für das heute zu Verantwortende warten müssen?

Wenn Johannes Paul in zwei Wochen nach Israel ins Heilige Land reist, wird er etwas konkreter werden müssen bei der Benennung katholischer Mitschuld am deutschen Judenmord. Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, hat deshalb zu Recht angemahnt, dass sich der Papst für das Schweigen seiner Kirche zum Holocaust entschuldigen müsse. Noch vor Jahren meinte sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bei einer Papstaudienz dafür entschldigen zu müssen, dass Rolf Hochhuth in seinem "Stellvertreter" die Kirche für dieses Verschweigen angriff.

"Auch die Christen haben sich schuldig gemacht, indem sie Menschen ausgrenzten und ihnen Zugänge verwehrten", heißt es im sechsten Gebet der päpstlichen Reue. Ist damit auch die Ausgrenzung der Frauen vom Priesteramt gemeint? Was den hierarchischen Apparat betrifft, bleibt die katholische Kirche so versteinert wie der Fels Petri. Gleiches gilt für den Zölibat, der ebenso unverrückbar erscheint. Wenn sich die Kirche dort auf Reformen einließe, würde das Ende ihres bisherigen Erscheinungsbildes eingeläutet. Welche Folgen das für die Religion und die Religiosität im Katholizismus hätte, der sich noch immer zuständig für die ganze Welt hält, bleibt eine offene Frage. Eine Verfolgung als Häretiker braucht dieser Papst, dessen Botschaften so zwiespältig sind, nicht zu befürchten.

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