Vom eigensinnigen Künstler

MNEMOTECHNIK Lutz Dammbeck verweigert sich mit seinen historischen Materialaktionen der Schublade

Nur was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtnis", heißt es in Friedrich Nietzsches Streitschrift Zur Genealogie der Moral. Der Hamburger Filmemacher und bildende Künstler Lutz Dammbeck scheint diese Maxime umgekehrt zu haben, indem er mit seinen Arbeiten weh tut, um das Gedächtnis an wichtige historische Ereignisse dieses Jahrhunderts wach zu halten. Dabei nimmt er eventuelle Missverständnisse seiner Produktion bewusst in Kauf. Hatten bösmeinende Beobachter schon bei seinen Filmen Zeit der Götter über den Bildhauer Arno Breker und Dürers Erben über das Tradítionsverständnis der Leipziger Schule den Macher in einem ungeklärten Verhältnis zu den Protagonisten dieser Filme gesehen, um die es ging, wurde Dammbeck bei seinem bisher letzten Dokumentarfilm Das Meisterspiel in die Nähe derjenigen intellektuellen Rechten gestellt, die er anläßlich der Zerstörung von 27 Bildern des Wiener Malers Arnulf Rainer zum Reden gebracht hat. Die Zeit glaubte sogar, er sei in jenem braunen Sumpf steckengeblieben, den er untersuchen wollte. Ein gefährlicher Vorwurf getreu dem alten Motto, dass der Bote für die Botschaft verantwortlich sei.

Dabei ist der Künstler, der 1986 aus der DDR in die Bundesrepublik ausreiste, ein Mnemotechniker im besten Sinne. Er verknüpft historische Ereignisse und Daten mit aktuellen politischen Aussagen zu einer Zeitachse von großer Brisanz. Dass eine derartige Methode, trotz aller Genauigkeit und faktologischer Verlässlichkeit, auch Missverständnisse erzeugen kann, liegt auf der Hand. Schon bei seinem Herakles-Projekt von 1985, bei dem Dammbeck deutsche Sagenstoffe und den antiken Heraklesmythos verband, um das Ganze in einen kontextualen Bezug zur Gegenwart zu stellen, berichtete ein Stasidossier über diese Mediencollage:"Ein Grundprinzip dieser Art von Kunstausübung besteht darin, sich vieldeutig, hintergründig und damit unklar auszudrücken. Inoffizielle Einschätzungen belegen, dass in diesem Stück Parallelen zwischen der faschistischen Diktatur und der Diktatur des Proletariats hergestellt werden, und es sich in seiner Grundaussage gegen die Kulturpolitik der DDR richtet." Dammbeck hatte im Herakles-Projekt Zitate aus dem Märchen vom eigensinnigen Kind der Gebrüder Grimm, dem die Hand aus dem Grab wächst, Heiner Müllers Stück Herakles 2 oder die Hydra, aus Wagneropern sowie Zarah Leanders Durchhalteprosa Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen montiert. Dieses Ambivalentstreben des Künstlers, durch vergleichende Betrachtung scheinbar extrem unterschiedlicher Aussagen zu eigenen Interpretationen des Materials zu kommen, scheint bis auf den heutigen Tag als ebenso gefährliche wie gefährdete Methodik zu gelten. Lutz Dammbeck erklärt, warum seine Arbeiten kompliziert zu rezipieren sind: "In ihnen gibt es kein Freund-Feind-Schema."

Für das Meisterspiel ist Dammbeck tief in rechtsradikale Kreise eingedrungen, hat in Gesprächen mit Reinhold Oberlercher, einst Dutschkes Mitstreiter und heute Ideologe eines deutschen Reichsgedankens mit Berlin als politischer, Wien als kultureller und Zürich als finanzpolitischer Hauptstadt, dem Kulturphilosophen Helmut Kohlenberger und dem ehemaligen Chefideologen Haiders Andreas Mölzer gesprochen. Eine pedantische Umfelderkundung jenes Milieus, das eventuell für die zerstörerischen Übermalungen der Rainer-Bilder im Jahre 1994 verantwortlich sein könnte. Von Werken jenes Künstlers, der selbst durch Übermalen eigener und fremder Werke weltberühmt geworden ist. Im selben Jahr wurde Österreich durch den Bombenterror der sogenannten Bajuwarischen Befreiungsarmee BBA erschüttert. Dammbeck interessierte ein möglicher Zusammenhang dieser Ereignisse als tragisches Missverständnis des künstlerischen Modernebegriffs. Er zitiert den Wiener Aktionskünstler Otto Mühl, der 1968 sagte:" Zerstörungslust, Destruktionstrieb ist einer der wichtigsten Antriebe der Materialaktion. Es soll alles Bestehende, was keine Wirklichkeit mehr hat, zu Grunde gehen." Wobei die Dialektik von radikalem Reden und radikalen Handeln hier nicht weiter analysiert werden soll. Dammbeck stellt dem Text von Mühl eine im Auftrag des österreichischem Innenministeriums erstellte Historikeranalyse gegenüber, die das "Spiel-Konzept" der BBA bis ins Detail entschlüsselt hat. Im ersten Bekennerschreiben dieser Organisation hieß es: "Ein Künstler erkennt sein Werk, wenn es ihm via Medien frei Haus geliefert wird." Diese zynische Definition des Briefbombens als gewissermaßen künstlerisches Sendungsbewusstsein bezeichnet Dammbeck als "letter bombing art".

Sicher ist es ein kühner Bogen, der von den Aktionen der alternativen Künstlergruppe um Otto Mühl bis zu den einsamen Terroranschlägen der österreichischen Rechtsradikalen reicht. Mühl hatte allerdings in seiner Kommune bei Wien schon 1968 ein Theaterspiel mit Kindern aufgeführt, bei dem Hitler als verhinderter Künstler vom Diktator zurück in seine eigentliche Lebensberufung geführt wird, der erfolgreichen Bewerbung an der Wiener Kunstakademie. So scheint plötzlich alles mit allem zusammenzuhängen, ein verführerisches Gelände.

Lutz Dammbeck hat sein Meisterspiel wie eine Schachpartie inszeniert. Zug um Zug führt er neue Gesprächspartner ein, beleuchtet er neue Situationen. Am Tatort der zerstörten Rainer-Bilder fand sich die Mitteilung: "Also beschloß er Aktionist zu sein.", eine Umkehrung von Hitlers gescheitertem Künstlertum, das sich in dem Satz entlud: "Also beschloss ich, Politiker zu werden." In dem Spinnennetz der Vermutungen und Verbindungen fand Lutz Dammbeck auch den Rainer-schüler Böhm-Ermolli, der sich regelmäßig mit anderen jungen Leuten aus dem Burschenschaftsmilieu, die sich als geistige Elite fühlen, im Wiener Konservativen Club traf. Unter dem Pseudonym Resita Trenck schrieb Böhm-Ermolli auch für die Junge Freiheit. In einem Beitrag für ein Symposium an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst hat er Hitler und dessen Vernichtungsideologie unter die concept-art gerechnet. Vor einigen Jahren hat sich der rechte Theoretiker, inzwischen Referent beim Bildungswerk der FPÖ, als von Juden, Freimaurern und Kommunisten sich verfolgt Fühlender in den Kopf geschossen.

All diesen Dingen ist Dammbeck mit seinen Fimrecherchen auf die Spur gekommen. Durch den kürzlichen Wahlerfolg der Freiheitlichen in Österreich könnte er sich, was den Einfluss der Rechten auf die geistig-kulturelle Situation im Nachbarland betrifft, bestätigt sehen. Aber in Bezug auf diese politischen Kräfte in Deutschland und Österreich meint er: "Die letzten Reste der politischen Führungselite der Nazis sind in die Wirtschaft gegangen. Die süße Karies der Marktwirtschaft hat deren ideologischen Restkern aufgelöst und weggefressen. Er hat sich aufgelöst wie Zucker im Wasser." Es handele sich umstillgelegte ideologische Positionen, und die gesellschaftlichen Sicherheitsmechanismen funktionierten glücklicherweise noch. Die Linke habe deshalb Angst vor den Rechten, weil manche ihrer Positionen von denen ihrer Gegner entfernt seien. Der Schritt von Oberlercher zu Virilio sei deshalb nicht riesig. Mit solchen Feststellungen macht man sich keine Freunde. Dennoch will Lutz Dammbeck die Rechte "aus dem Rembrandtschen Halbdunkel herausholen, in dem sie die Linke gerne hätte." So einen Vorschlag könnte man als aufklärerische Sozialtherapie bezeichnen. Bannung durch Benennung? Die Sache scheint schwierig. Seinen Film Das Meisterspiel bezeichnet Lutz Dammbeck auch als Reflexion über sich selbst. "Man kommt aus der Geschichte nicht heraus." Er sei aus einem klassischen Bildbegriff ausgestiegen, weil Realität auf diese Weise für ihn nicht mehr darstellbar gewesen sei, meint der einstige Absolvent der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Womit der heutige Professor einer Projektklasse für neue künstlerische Medien an der Dresdner Kunstakademie allerdings keine gesicherte Prognose für situationistische Arbeitsweisen geben will. "Wenn die nächste Generation das Malen als ein wichtigeres Medium begreift, dann muss man das ernst nehmen."

Obwohl bis heute nicht klar erwiesen ist, wer die Bilder Arnulf Rainers in seinem Wiener Atelier zertsörte, ob er es am Ende selbst tat, brachte der Film Lutz Dammbecks ein Panorama kleiner Wahrheiten zutage. Die österreichische Zeitung schrieb: "Das "Meisterspiel" ist ein sehr wienerischer Film. Alles dreht sich, alles bewegt sich, keiner sagt die ganze Wahrheit, jeder raunt nur verschwörerisch - und über allem hängt, immer wieder, immer noch, die Geschichte des nationalsozialistisch begeisterten Österreich."

Inzwischen hat sich Lutz Dammbeck aus dem Meisterspiel verabschiedet und die Installation OVER GAMES entwickelt, die in der Berliner Ausstellung "Gewalt und Kunst im XX.Jahrhundert" zu sehen ist. Von Arnulf Rainer ist der Künstler dabei auf Franz Fuchs, den Bombenwerfer der BBB, gekommen, dem es bei der Festnahme beide Hände abriss. "Fuchs ist nun das Zentrum des Raumes OVER GAMES und sein, nach eigener Aussage, Kreis Gleichgesinnter. DIE REVOLUTION SIND WIR! Niemand weiß genau, wen er gemeint hat. Wer könnte es sein? Mühl? Nitsch? Weibel? Beuys? Mengele? Baader-Meinhof? Schauberger? Guy Debord und die S.I.? Der Pizza-Bomber? " Dammbecks Berliner Installation zeigt Weltbild wie Bastelstube eines Terroristen, der sich anscheinend als Künstler versteht, aber auch von einem Künstler, der Terrorist sein will. Dammbeck setzt auch in diesem Fall die Sonde tief und schmerzhaft an. Er findet Personenverkettungen wie die des SS-Obersturmbannführers Rudolf Schäfer, des Leiters der SS-Tibetexpedition, dessen Bewunderers Heinz Sielmann sowie Sielmanns "Burschen" im Zweiten Weltkrieg und Assistent nach 1945 bei dessen Tierfilmen, Joseph Beuys.

In derlei assoziativen Reihungen erschließt sich die Arbeitsweise des Künstlers. Von einem aktuellen Anlass ausgehend umfasst sie in konzentrischen Kreisen viele scheinbar voneinander entfernt liegende Felder historiographischer Auseinandersetzung. Aus dem Ereignis wächst der Vergleich, der in der Tiefe des Vergessens versteckte Wahrheiten ans Licht holt, wo sie im geschichtlichen Kontext betrachtet werden können. Dieses Licht kann sehr schmerzhaft sein, weil es in vermeintliche Gewissheiten dringt. Vorurteile werden durch neue Erfahrungen nicht verändert. Eine bittere Feststellung. Dennoch ist Dammbeck ein Störenfried, der sich nicht als Erzieher missversteht. Das Aha-Erlebnis überlässt er dem Betrachter, falls der bereit ist, den Installationen aus Gespräch, Beobachtung, Infragestellung und neuer Perspektive neue Erkenntnisse abzugewinnen. Wobei Dammbeck das montierte Material nicht als raunende Beschwörung des Vergangenen präsentiert, sondern stets als demokratisches Diskussionsangebot.

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