Während Fernseh- und Zeitungsredakteure hierzulande die gestaltende Arbeit von Politikern übernehmen, drängt es diese neuerdings in die Talkshows, um dem Volk, oder was sie dafür halten, aufs Maul zu schauen. Ex-Präsidenten und Bundesbeauftragte im Kameralicht, Bedenkenswertes murmelnd. Soeben erst hat Roman Herzog im Bayerischen Rundfunk seine Sendung Herzog eröffnet und standesgemäß mit Kanzler a.D. Helmut Schmidt Tiefsinniges zum Thema Grundgesetz gebretzelt. Im Herbst steht uns ein Talken mit Joachim Gauck ins Haus. Das Fernsehen als Politikrentner-ABM? Warum nicht? Vielleicht heißt Gaucks geplante Sendung »Gestehen Sie Spaß« auf Stasi zwei.
Indessen haben Polit-Talkshows wie Sabine Christiansen und Berlin Mitte mit Maybrid Illner die dringend nötige Konkurrenz bekommen. Vorsicht, Friedmann!, eine Koproduktion von Hessischem und Ostdeutschem Rundfunk Brandenburg, könnte den beiden Quotenbringern zumindest qualitativ das Wasser abgraben. Während bei Christiansen stets dieselben Gäste wie Hühner auf der Stange sitzen, während einen bei Maybrid Illner die Sorge befällt, ob ihr bis zum Ende des Programms noch genügend relevante Fragen einfallen, herrscht bei Friedmann von Anfang an Hochspannung. Der Sendetitel assoziiert den Unterhaltungsklassiker Vorsicht, Kamera. Und aufpassen müssen auch die meist drei Gesprächsteilnehmer von den beiden Volksparteien plus Grün, FDP oder PDS, die eng auf dem Ecksofa kauern. Zwischen ihnen mal freundlich, mal hinterhältig grienend der Moderator, der seine Gäste auch ans Knie fasst oder in die Rippen stößt. Die erzwungene Nähe sorgt für Irritationen, sie erlaubt weder Distanz noch eine Positionierung mit Anlauf. Rede und Gegenrede wechseln hastig, das Publikum reagiert wie beim Preisboxen. Friedmann, der unter Dauerdampf zu stehen scheint, verliert jedoch nicht den Gesprächsfaden. Er führt seine Gäste teils im Stakkato, teils führt er sie scheinheilig auf die Weide, wo sie dann recht verloren dastehen wie unlängst Brandenburgs CDU-Chef Jörg Schönbohm, der alle Probleme des Parteienfinanzskandals fressen und verdauen musste. Bis schließlich unter der Charaktermaske des Politikers ein Mensch sichtbar wurde, der jenseits gängiger Floskel auch nicht mehr zu sagen wusste, wie das Ganze weitergehen soll. Solche Sprachlosigkeit kann der Ansatz zu neuen Überlegungen sein, was den produktiven Charakter dieser Sendung ausmacht. Es gibt keine Knockouts, sondern nur Punktsiege. Schlagende Argumente sind erlaubt, Tiefschläge nicht. Der Moderator trägt nicht vor sich her, dass er CDU-Mitglied ist. Weshalb er mit Vorliebe die eigenen Parteifreunde durch den Ring hetzt. Das angeschlagene Tempo veranlasste kürzlich Heiner Geißler, Friedmann zu duzen, um durch derlei freundschaftliche Demonstranz dem Frager etwas von seiner Schärfe zu nehmen. Der blieb beim vertrauten Sie. Er ist oft bei den underdogs, verschont sie aber auch nicht. Gregor Gysi wirkte neben dem Tempomacher unlängst wie ein sanfter und seriöser Politiker mit Dackelblick.
Während man bei Christiansen des staatstragenden Tones schnell müde wird, zumal der Parteienforscher Jürgen Falter und Guido Westerwelle als Dauergäste den Charme von Schlaftabletten ausstrahlen, vergeht die Friedmann-Dreiviertelstunde in Nullkommanichts. Sabine Christiansen lässt inzwischen jeden solange reden, wie er will, ungeachtet des Satzes »Bitte lassen Sie mich ausreden, ich habe Sie auch nicht unterbrochen«, der nur noch Reflex ist. Sätze dürfen ungestraft gebracht werden wie der des FDP-Chefs Wolfgang Gerhardt: »Man muss klar sagen, von was man überzeugt ist.« Oder: »Wir wollen Bindungswirkung erzielen.« Verbalschrott aus dem Kleistertopf. Norbert Blüm darf seufzend klagen, dass Politik ein Drecksgeschäft ist, während die übrigen Statisten bedächtig und solidarisch nicken. Wenn Blüm eine derartige Plattitüde bei Friedmann landen würde, käme garantiert die Rückfrage: »Und warum machen Sie es dann noch?« Eine Langweilerfrage aus dem Politkanon wie: »Wo soll die Reise hingehen?« ist in seiner Show tabu und undenkbar. Selbst ein jugendlicher Greis wie Guido Westerwelle blühte kürzlich bei Friedmann förmlich auf, als der ihn ein bisschen in die Enge trieb. Vorsicht, Friedmann vermeidet die gängigen Talkschablonen und schiebt sie rücksichtslos beiseite. Der Frankfurter Rechtsanwalt ist ein begnadeter Provokateur, gebildet und gesprächslustig, der seine Gäste nicht bewusst verletzt. Und wenn sie gerade zu einer längeren Erwiderung ansetzen, fällt er ihnen gnadenlos ins Wort: »Meine Damen und Herren, die Zeit, sie ist um!« Da sitzen wir auf dem Sofa und sind sauer, dass eine Dreiviertelstunde so schnell vorbeigehen kann. Deshalb: Friedmann ins Erste! Wenigstens alternierend mit Christiansens gut abgelagerter Herrenrunde. Damit deutlich wird, dass Unterhaltung etwas mit Unterhalten zu tun hat, mit Austausch und Gegenrede. Pastor Hintze, diesen CDU-Schlemihl, würde man zum Beispiel gern einmal auf Friedmanns Sofa sitzen und schwitzen sehen oder Helmut Kohl. Aber die werden diese Talkshow weiträumig umfahren. Da tröstet es uns nur mäßig, dass es keine Talkmaster Herbert Wehner, Konrad Adenauer oder Thomas Dehler gegeben hat. Aber deren Stunde schlug im Parlament, als uns noch kein TV-Getalke beschäftigte.Detlev Lücke
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