Was Wie Wann Wo

BESCHREIBUNG EINES KÜNSTLERLEBENS Klaus Staeck referiert seine Plakatsammlung

Im September 1998 saß Klaus Staeck in der ARD-Fernsehsendung Boulevard Bio zusammen mit dem kalten Krieger Gerhard Löwenthal sowie den Botschaftern der Spaßgesellschaft Ingo Appelt und Dolly Buster. Während der kuriosen Runde behauptete der Heidelberger Grafiker, die im 98ger Wahlkampf von der CDU gezeigten Plakate "Blühende Landschaften wählen! CDU" seien von ihm. Um sie nicht auf eigene Rechnungen kleben zu müssen, habe er sie einzelnen Untergliederungen der Partei überlassen. In den darauffolgenden Tagen erreichten ihn viele Anrufe von verunsicherten Funktionären aus den Reihen der Christdemokraten, die wissen wollten, ob ihre Partei auf einen ihrer Lieblingsfeinde hereingefallen sei. Die Sache beweist mehrerlei: 1998 hielt man anscheinend in den politischen Lagern alles für möglich. Die CDU hatte erkannt, dass sie besser Plakate machen sollte, die nicht in altbewährter Tradition vor den fünften Kolonnen aus Moskau warnten, sondern solche, die eigene Phrasen witzig in Frage stellten. Und schließlich: Auch in der CDU wusste offenbar die Rechte nicht mehr, was die Linke tat.

Ein schöner Erfolg für den Künstler, der Realität und Satire in einem seltenen Glücksfall zusammenbrachte. Gelungen war ihm das Jahre zuvor schon einmal in der DDR mit einer Postkarte, die einen Spruchkammerbescheid mitteilte, dass Adolf Hitler in einem Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft worden sei. Die in der Ostberliner Galerie Arkade angebotene Karte war von einem antifaschistischen Veteranen für echt gehalten worden, der sich daraufhin bei Erich Honecker beschwerte. Die Stasi suchte nach den bis dahin 20 verkauften Karten und ermittelte sieben der Käufer.

Geschildert werden all diese schönen Ereignisse in einem dickleibigen Band, der sämtliche Plakate und Postkarten von Klaus Staeck enthält und den der Künstler selbst verfasst hat. Das Buch ist die umfangreiche Bilanz eines Zeitgenossen, der sich seit Beginn seiner Arbeit gesellschaftskritisch engagiert hat. Staeck scheint der Idealtyp eines politisch interessierten, eingreifenden Künstlers zu sein, dessen Werk zumeist teleologisch gestimmt ist, ohne dass der Betrachter sich langweilt. Zu Recht beruft er sich dabei auf sein Vorbild John Heartfield und dessen Fotomontagen der zwanziger und dreißiger Jahre. Klaus Staeck hat seinen Text in der ihm eigenen Nüchternheit desjenigen geschrieben, der die Absurdität der Dinge durch konzentriertes Hinschauen entdeckt und sich nicht mit Erklärungen abspeisen lässt. Der Bericht beginnt mit der Beurteilung seines Bitterfelder Klassenlehrers im vierten Schuljahr: "Klaus ist zynisch." Vielleicht hat ihn diese frühe Fehleinschätzung dazu gebracht, lieber ironisch sein zu wollen.

1956 verließ Klaus Staeck die DDR und studierte, obwohl er eigentlich Architekt werden wollte, an der Heidelberger Universität Jura. In den frühen Jahren seines gestalterischen Schaffens schrieb er "Als Künstler Autodidakt". Seine Karriere als Plakatmacher begann vor 30 Jahren mit einem Blatt gegen die NPD. Es zeigt ein Fallbeil, das an einem Strick hängt. Staeck wertet es heute mehr als eine Arbeit der Selbstvergewisserung als des öffentlichen Gebrauchs. Wobei er schon bei den frühen Werken von Plakatanschlägen spricht. Ein doppeldeutiges Wort, denn Anschläge auf den sogenannten gutbürgerlichen Geschmack und auf eine konservative Bildungsästhetik waren seine öffentlich angeschlagenen Botschaften allemal. 1971 gelang ihm ein erster großer Wurf mit dem 1514 entstandenen Bildnis Dürers von seiner alten Mutter, das Staeck mit der Frage verfremdete:"Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?". Die Arbeit sorgte zum Dürerjubiläum in Nürnberg für entsprechendes Aufsehen. Staeck hatte seine Bildsprache gefunden: ein Motiv, sei es aus der Kunstgeschichte oder ein aktuelles Foto aus Politik und Alltag, wurde mit einer pointierten verbalen Botschaft gekontert. Bild und Wort wurden zur polemischen Montage, zur Keule gegen politische Gegner. Seine Lieblingsfeinde wurden schnell die Christdemokraten, denen er schon 1972 eine Arbeit widmete, als sie gegen Willy Brandts Ostpolitik zu Felde zogen. Auf Plakat und Postkarte sieht man einen Leichenberg, in Frakturschrift ist zu lesen: "Wir sind für die Ostverträge, Herr Barzel! Interessengemeinschaft der Toten des II. Weltkrieges e.V." Als Klaus Staeck 1976 in der Bonner Parlamentarischen Gesellschaft eine Ausstellung zeigen durfte, rissen mehrere CDU/CSU-Abgeordnete unter Führung ihres parlamentarischen Geschäftsführers Philipp Jenninger eigenhändig einige Plakate ab. Kann einem künstlerisch Tätigen schönerer Lohn zuteil werden? Wohl kaum. Staeck hatte zudem das Glück, dass ein zufällig dort arbeitendes Fernsehteam die ganze Angelegenheit dokumentierte. Es schloss sich eine anteilnehmende Berichterstattung von New York Times bis Prawda an. Darüber hinaus bezeichnete sein Lieblingsfeind Franz Josef Strauss die anschließend in der Bremer Landesvertretung gezeigte Schau als "politische Pornographie". Derlei Äußerungen waren ein Gütesiegel für Staeck, der damals wohl im Zenit öffentlicher Aufmerksamkeit stand. Die verknappten Botschaften fanden in ihrer klaren Zielrichtung ihr Publikum schnell.

Inzwischen scheint Klaus Staeck für manche Kritiker eher ein Fossil jener politischen Aufbruchsstimmung zu sein, die ihn Anfang der siebziger Jahre an die Seite von Joseph Beuys und Heinrich Böll brachte, um gemeinsam mit ihnen jene "Freie Hochschule" zu eröffnen, in deren Gründungsmanifest es hieß:" Kreativität ist nicht auf jene beschränkt, die eine der herkömmlichen Künste ausüben, und selbst bei diesen ist sie nicht auf die Ausübung ihrer Kunst beschränkt. Es gibt bei allen ein Kreativitätspotential, das durch Konkurrenz- und Erfolgsaggression verdeckt wird. Dieses Potential zu entdecken, zu erforschen und zu entwickeln, soll Aufgabe der Schule sein." Böll wollte an der Hochschule übrigens ein Seminar für Höflichkeit leiten.

Klaus Staeck, mittlerweile 62 Jahre alt, beklagt inzwischen eine künstlerische Öffentlichkeit, die nicht mehr Sand im Getriebe, sondern nur noch Juckpulver für die Spaßgesellschaft sein will. Dabei gibt es nicht nur nach seiner Überzeugung genug zu kritisieren in der deutschen Öffentlichkeit. Vielleicht haben sich die Methoden der Mitteilung gewandelt. Das vom Drucker Ludwig Steidl, seit Anbeginn Produzent Staeckscher Plakate, produzierte Buch kann und will darauf keine endgültige Antwort geben, es bilanziert die Hunderte Plakate, die seit Ende der sechziger Jahre gedruckt und in über 3000 Ausstellungen gezeigt wurden und deren Aussagen dem Künstler mehr als 40 gerichtliche Auseinandersetzungen bescherten, die er alle gewann. Das politische Plakat ist derweil von der Werbung sediert worden. Alles scheint erlaubt. Nur dadurch lässt sich der eingangs erwähnte Wahlkampfirrtum erklären. Über die sich wandelnde Wirkungsweise hätte man in dem profunden Buch gern den einen oder anderen Text eines Kunstkritikers oder Politikers gelesen, als kontrastierende Facette zum umfangreichen Rechenschaftsbericht des Monomanen Klaus Staeck. Seit Jahrzehnten ist er SPD-Mitglied, hat sich in manchem Wahlkampf für die Sozialdemokraten engagiert, begleitet sie kritisch mit seinem Gesprächsforum für "mehr Demokratie". Vielleicht wäre es für ihn an der Zeit, eine ironische Bildbotschaft zur Ära Schröder zu versenden oder zu den Grünen, von denen ihn einige Gründungsväter und -mütter einst als Kapitalistenknecht entlarvten. Womöglich arbeitet der Künstler schon daran. Wir dürfen gespannt sein.

Anfang der Achtziger hing in unserem Wohnzimmer über dem Telefon seine schwarze Wanze auf gelbem Grund mit der vertrauenschaffenden Aufforderung "Ruf doch mal an". Eine interessante Sache auch in der DDR-Gesellschaft. Eines Tages war die Karte geklaut. Immer noch der ehrlichste Erfolg eines Künstlers. Den Bitterfelder Weg, den Staeck 1956 in der Gegenrichtung eingeschlagen hatte, verließ er dennoch nie ganz. 1992 organisierte er die 3. Bitterfelder Konferenz in Anlehnung an die beiden DDR-Kulturkongresse. Das Buch zeigt zudem großformatige Fotos von lapidarer Schönheit, die leere rote Fläche der Wandzeitung mit den Frageworten Was, Wie, Wann, Wo unter dem Honeckerbild beispielsweise, oder das 1991 in Bitterfeld aufgenommene Eisenteil mit der Inschrift "Es lebe unser Vaterland", die Brache vor dem Leipziger Neubaugebiet mit dem knalligen Kaufland-Schild, der HO-Orientladen in Bitterfeld. Erleuchtungen aus Vorgefundenem, Beispiele eines ebenso sezierenden wie anteilnehmenden Blickes, dem Zynismus wirklich fremd ist. Betrachtungen einer soziologischen Aporie, wie sie durchaus zeitgemäß sind in einer eher mäßigen Zeit.

Klaus Staeck: Ohne Auftrag. Unterwegs in Sachen Kunst und Politik. Steidl Verlag. Göttingen 2000, 224 S., 49,80 DM

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