Zirkus Kunst

WEIMAR Die Trilogie zu Moderne, Nazimalerei und DDR-Bildern ist leider mißlungen

In Thüringen wird die Weimarer Malerschule zu einem Alp, der sogar ihre Nachfahren bedrückt. Andererseits führt der Verzicht der Kunstkritik gegenüber lokalen Traditionen oder beliebten Personen zu ephemeren Moden oder kanonisiert mittelmäßige Künstler und Kunstwerke.« Erhard Frommholds vor zwanzig Jahren geschriebener Satz im Katalog der Berliner Ausstellung »Weggefährten - Zeitgenossen« bestätigt sich leider in einem ambitionierten Projekt der europäischen Kulturstadt. Bei dem Versuch, mit drei Ausstellungen zum Aufstieg und Fall der Moderne, zur Nazikunst und zu widerstreitenden Kunsttendenzen in der DDR Keile in das Traditionsverständnis des Weimarbegriffes zu verschiedenen Zeiten zu treiben, haben sich die Macher dieses Showunternehmens gewaltig verhoben. Dabei hätten die Stadt und ihre außerordentlich kontroversen Traditionslinien genug Stoff geboten für eine kritische Auseinandersetzung, deren Ergebnis weit hineingereicht hätte in die nicht abgeschlossene Debatte über Figur und Abstraktion, wie sie speziell in Weimar seit den Jahren Harry Graf Kesslers und Henry van de Veldes, des Bauhauses und seiner Vertreibung, bis zu den Nazijahren sowie Nachkrieg und DDR-Kunst exemplarische Züge gewonnen hatte. Das Unternehmen muß aus mehreren Gründen als gescheitert betrachtet werden. Erstens verfügt die Stadt über keinerlei geeignete Räumlichkeiten für solche Projekte. Die Plazierung der Moderne ins Weimarer Schloßmuseum wirkt mehr als provisorisch. Es reicht nicht, Wände in die vorhandenen Räume zu stellen, auf ihnen französischen Impressionismus, Weimarer Malerschule, Munch und Feininger zu hängen und dahinter die traditionellen Stücke des Museums aus drei Jahrhunderten buchstäblich verschwinden zu lassen. Caravaggio ist schließlich kein Gegensatz zu Klee, Renoir, zudem mit einem eher schlechten Bild vertreten, muß nicht gegen die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts antreten. Hier entstehen Gegensätze, die vielleicht Kontraste bilden sollten. Gestalterisch ist dieser Ansatz ein Schlag ins Leere. Denn wenn die Moderne einen ästhetischen Gegner hatte, dann war es der Muff der Salonkunst, die verlogene Idylle, aber nicht der Realismus vergangener Epochen.

Die Idee, Hitlers Privatsammlung und die, unter welchen Aspekten auch immer zusammengetragene Malerei aus der DDR in der Mehrzweckhalle des ehemaligen Gau-Forums zu zeigen, hat ihren Reiz. Die Nazibilder in der »Beletage« bekommen gutes Licht, die unfertige Raumsituation läßt keine Weihestimmung aufkommen. Über eine Rampe gelangt der Besucher in die DDR-Rotunde. Über diesen dunklen Zirkus der Erinnerungen wird noch zu reden sein.

Zweitens mußte die Ausstellung scheitern, weil sie unter den geschilderten Raumvorgaben eine Totale versucht, die an der Oberfläche bleiben muß, indem sie dem provozierenden Event den Vorzug gibt vor kunsthistorischer Analyse. Was hätte denn dagegen gesprochen, sich auf bestimmte Punkte Weimarer Kunstgeschichte zu konzentrieren, um aus derart exemplarischen Stationen die ästhetischen Brüche und die kunstpolitische Programmatik dieses Jahrhunderts deutlich werden zu lassen? Ansatzpunkte hätte es genug gegeben: Die 1860 von Herzog Carl Alexander gegründete »Weimarer Malerschule«, das Bauhaus und seine Vertreibung aus der Stadt, die schon 1930 erfolgte Räumung der von Wilhelm Köhler angelegten modernen Kunstsammlungen durch den Innenminister der ersten braunen Landesregierung Thüringens, Wilhelm Frick, das traurige Schicksal der am 24. August 1946 wiedereröffneten Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar und die erneute Vertreibung eines Teiles ihrer Lehrerschaft um 1950. Geldmangel kann nicht der Grund für die derart oberflächliche Vorbereitung gewesen sein. Die riesigen Summen, die bei der Revitalisierung der Stadt zur Verfügung standen und die offensichtlich auch teure Leihgaben renommierter Museen aus aller Welt für die Ausstellung im Schloßmuseum ermöglichten, hätten vermutlich gereicht, ein sachkundiges Team für dieses im Grunde interessante Projekt zu gewinnen. Verschenkte Möglichkeiten. Vielleicht ist der Satz Nietzsches mißverstanden worden, der Goethe als Europäer würdigte, »der das Auseinander von Vernunft, Sinnlichkeit, Gefühl, Wille bekämpfte ... und sich zur Ganzheit disciplinierte«. Ganzheit setzt jedoch genaue Detailkenntnis voraus, und daran scheint es dieser Ausstellung bedauerlicherweise zu fehlen. Angesichts dessen, daß trotz der finanziellen Möglichkeiten einer europäischen Kulturhauptstadt der Katalog nicht rechtzeitig fertiggeworden ist, der vielleicht den intellektuellen Hintergrund dieser kunsthistorischen tour d'horizont liefern könnte, angesichts der vielen schlecht gehängten, von ungünstigem Licht betroffenen Bilder, fehlt der Ausstellung im Schloßmuseum die nötige Regie. Die Bilder entfalten keine Beziehung untereinander, sie wirken trotz der schon erwähnten Drängelei in die vorhandenen Bestände des Hauses wie aufgereiht und seltsam spannungslos. Mit Sichtachsen wird überhaupt nicht gearbeitet, so daß selbst der Raum mit den wundervollen Aquarellen des Bauhauslehrers Paul Klee keinen Höhepunkt der Schau bildet. Wie es vielleicht hätte funktionieren können, zeigt die Auswahl von Kompositionen der Bauhäusler Walter Dexel, Laszlo Moholy-Nagy, Laszlo Peri und El Lissitzky. Wenig wird ansonsten deutlich von jenen Absichten Kesslers und van de Veldes, eine Moderne zu konstituieren, die durch das 1919 in der Stadt gegründete Bauhaus unter seinem ersten Direktor Walter Gropius fortgesetzt wurde. Die Lehrstätte sollte in Abstimmung mit der damaligen sozialdemokratischen Landesregierung Grundsätze für eine Erziehungsreform und ein neues Kunstprogramm unter der Idee der Vereinigung von »Kunst und Technik als neue Einheit« entwickeln. Während die Aura des Schlosses und der Goethedevotionalien rings um den Park an der Ilm offenbar starke Hindernisse sind, eine Ausstellung der Moderne zu zeigen, die als Kontrast und nicht als Kriegserklärung zum Vorhandenen wirkt, sind die Bedingungen für die beiden anderen Ausstellungen im Grunde hervorragend. Die Mehrzweckhalle insinuiert keine museale Stimmung, sie ist in ihrer fragmentarischen Gestalt bestens geeignet, Fragen zu stellen, über Dinge zu urteilen, deren Bewertung noch nicht endgültig feststeht, zumindest was das Urteil über die in der DDR entstandene Kunst betrifft.

Hitlers Sammlung, ein Konvolut großflächiger Genrebilder zu den Themen Akt, Landschaft, Porträt, ist in ihrem Charakter das Psychogramm eines talentlosen Banausen, der es seinen Mitmenschen »zeigen« will. Im Grunde eine Lachnummer, bei der einem jedoch das Lachen vergeht. Dem Ganzen voraus geht eine hochinteressante Fotoschau mit Aufnahmen der Weimarer Fotografin Ella Beyer-Held. Von ihr sind etwa 1.500 meist großformatige Glasnegative erhalten, alle in Weimar aufgenommen, die als Zeugnisse der uniformierten Aufmärsche das schreiende Mißverständnis zur deutschen Klassik offenbaren. Hitler weilte oft in Weimar, logierte im Hotel »Elefant« und ließ sich von der Bevölkerung auf den Balkon rufen mit dem Vers: Lieber Führer komm heraus aus dem Elefantenhaus. Die Sammlung des Führers, zusammengekauft aus den sogenannten Deutschen Kunstausstellungen, zeigt, insofern sie vollständig ist, sein offensichtliches Desinteresse an Kriegskunst, beispielsweise an den martialischen Bildern eines Elk Eber oder den heroischen Setzungen eines Paul Maria Padua. Stattdessen Frauenakte von Ivo Saliger, die wie geklont wirken. Hitlers Versuch einer Wiedergutmachung der von der Moderne scheinbar gefährdeten Salonkunst. In dem hohem Raum wirken die Arbeiten wie Reproduktionen, so spannungslos und farbarm ist ihre Wirkung.

Mit Schwarz-Weiß-Effekten arbeitet die Nachschau auf Kunst aus der DDR. In einem merkwürdigen Rundtempel auf schwarzer Folie, wie man sie gemeinhin im Umweltschutz verwendet, hängt Bild an Bild das, was im Arbeiter-und-Bauern-Staat so gemacht und gedacht wurde. Ein eingedickter Eintopf, in dem sich ein Selbstporträt von Paul Querner ebenso wiederfindet wie ein Schmarren von Paul Michaelis, wo Tichas »Mannschaft« sich behaupten muß gegen Tübkes »Tod in Venedig«, darüber ein Selbstporträt von Ronald Borchers. Zusammengesperrt Friedrich Reese und Horst Leifer, der diesjährige Fred-Thieler-Preisträger Walter Libuda. Und Ronald Paris, Bernhard Heisig, Thea Richter, Lutz Friedel, Peter Graf, Willi Sitte. Eine definitorische Verfügungsmasse, eine erbärmliche Hinrichtung. Aus dem Palast der Republik angekommen jene Bilder, deren unterschiedliche Qualität und Botschaft einst für Diskussionen sorgten. Hier stehen sie wie bereit zur Abholung nur noch herum. Einen Sonderplatz im bildnerischen Brimborium bekommt Hendrik Grimmlings einst auf der Dresdner Kunstausstellung gezeigte Arbeit »Schuld der Mitte«, sie wirkt wie ein Ankläger vor dem gezeigten Rest. Der Begriff des Hängens von Bildern erhält plötzlich seinen anderen Sinn. In einem gut beleuchteten Separé der Ausstellung sind Arbeiten von Michael Morgner, Gregor Torsten Kozik, Max Uhlig und Horst Bartnig zu sehen. Sie stammen im Unterschied zu den »rund gemachten« Bildern aus Galerien, deren Namen ausdrücklich genannt werden. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Ein bißchen dumm allerdings solch Konkurrenzgebaren, wenn man bedenkt, daß auch für Arbeiten Querners heutzutage in Berliner Galerien bis zu 40.000 Mark verlangt werden. Aber es geht ja um das große Ganze. Wen stört es da schon, daß der Maler Mattheuer plötzlich mit Vornamen Walter heißt, oder der Weimarer Maler Knöpfer Knüpfer. Mit derlei Kleinigkeiten kann sich die Ausstellung nicht abgeben. Sie hat einen penetrant ideologischen Ansatz und reiht sich somit ganz seltsam ein in die Intentionen vieler ihrer Vorgängerinnen zu anderen Zeiten. Offensichtlich hält man in Deutschland die Dichotomien von Kunstströmungen nicht aus, braucht jeweils Gut und Böse. Zensurenverteilung in der Kunst führt jedoch, schneller als beabsichtigt, zu Zensur. Wenigstens diese Erfahrung kann man aus Weimar mit nach Hause nehmen.

Die Weimarer Ausstellung ist bis zum 9. November 1999 geöffnet.

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden