Krank für den Fortschritt

Gesundheitspolitik Für mehr produktives Siechtum.

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“Die Krankenschwester kriegt ‘nen Riesenschreck,
schon wieder ist ein Kranker weg.
Sie amputierten ihm sein letztes Bein
und jetzt kniet er sich wieder mächtig rein,
ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt.
Wir steigern das Bruttosozialprodukt,
ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt.”

Geier Sturzflug Bruttosozialprodukt

Auf geht es, liebe MitbürgerInnen, lasst Euch einweisen! Es geht um Arbeitsplätze in einem Wachstumsmarkt. Wirtschaftsminister Gabriel und Gesundheitsminister Gröhe sehen großes Potential im “Gesundheitsmarkt” und wollen, dass das Wachstum dort gefördert wird. Früher war es Bürgerpflicht, regelmäßig das heimische Automobil zu erneuern, ab jetzt gilt es, mit der Darmspiegelung Arbeitsplätze zu sichern. Haben Sie noch ihren Blinddarm? Raus damit, für das Wachstum!

Nein, dieses Medikament ist nicht wirklich notwendig und die Nebenwirkungen sind vielleicht unangenehm aber denken Sie nur an den Chashflow und die Investitionen, die das Unternehmen vornehmen kann. Am besten kaufen Sie sich Aktien und lassen sich die passende Krankheit diagnostizieren, für die IHR Unternehmen das richtige Mittelchen hat. Das ist eine Win-Win-Situation. Win-Win-Win, wenn man Ihre Erben in die Rechnung aufnimmt.

So müssen sich das die Herren Minister wohl vorstellen, anders kann man ihre Worte nicht interpretieren. Natürlich wird niemand den beiden Herren unterstellten, ernsthaft zu wollen, dass wir kränker werden, nur um des Wachstums willen. Vermutlich waren sie sich der Implikationen der eigenen Worte nicht bewusst. Der wahre Zynismus liegt auch ganz woanders.

“Zwischen 1995 und 2006 wurden insgesamt 14,6 % oder ca. 51.000 Vollzeitstellen im Pflegedienst der Krankenhäuser abgebaut.” Quelle

Die Anzahl der vollstationären Fälle stieg im selben Zeitraum um 6%. Gleichzeitig wurden ambulante Versorgungssysteme ausgebaut. Es werden also deutlich mehr Patienten mit deutlich weniger Personal versorgt. Was das für die Versorgung der Patienten bedeutet, kann sich jeder denken und wer Pech hat, durfte es auch schon erleben. Für die Patientensicherheit ist das desaströs, da helfen noch so viele Kampagnen nicht. Wenn die Arbeitsdichte steigt, steigt auch die Gefahr von Fehlern. Um, zum Beispiel, zu überprüfen, ob ein Patient das richtige Medikament bekommt, benötigt man unter anderem Zeit.

Wie wäre es, einfach die Wachstumschance zu nutzen, die direkt den Patienten und dem Personal zugute kommen? Mehr Pflegepersonal ausbilden UND einstellen. Der Gesundheitsmarkt kann nur wachsen, wenn irgendjemand dafür bezahlt. Das scheint jemand anders zu sein, als der aktuelle Finanzier, denn der ist daran interessiert, möglichst viel Personal einzusparen. Wachstum sieht anders aus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

diaphanoskopie

"...im Gegenlicht der Wirklichkeit." - Ich hab' mal jeden Scheiß geglaubt. - @diaphanoskopie

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