Montag ist PEGIDA-Tag

Rechtsaußen In Dresden ist heute Ruhe, vorerst. Ein Abend zwischen Menschen, die von der Entwicklung abgehängt wurden

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Montag ist PEGIDA-Tag. Was vor wenigen Monaten noch wie die Werbung einer Döner-Bude für das Sparangebot klang, sorgt heute bei mir für eine Mischung aus Schaudern, Wut und Hilflosigkeit. Schaudern muss ich, wenn ich an die letzte Woche denke, als ich unter angeblich 17 500 PEGIDA-Demonstranten stand, während Semperoper und Kreuzkirchen für einen grausigen Widerhall der „Wir sind das Volk“-Rufe sorgten. An diesem eine starke Emotion hervorrufenden, physikalischen Phänomen änderte auch die Beflaggung der unbeleuchteten Semperoper nichts, die sich für eine offene Gesellschaft aussprach.

https://diaphanoskopie.files.wordpress.com/2014/12/img_0416.jpg?w=660 Fahnen vor der Semperoper

Weniger enthusiastisch war die Teilnahme der PEGIDA am angekündigten Weihnachstliedersingen. Das Singen glich eher einem kollektives Brummen, als hätte der Grinch persönlich eingeladen. Ich hätte von den Hütern der abendländischen Kultur, mehr praktisches Engagement für diese erwartet. Es schien fast, als seien die TeilnehmerInnen weniger zum Singen als viel mehr zum Brüllen gekommen. Und natürlich zum empörten Schweigen. Da die Gelegenheit zum gemeinschaftlichen, schreitenden Schweigen nicht gegeben war, rief der Bachmann Lutz zum stehenden Schweigen auf. Zum Anlass nahm und verlas man Nachrichten der vorigen Woche, deren gemeinsames Thema „Gewalt durch den Islam“ war. Dass die Opfer der vorgetragenen Gewalttaten ebenfalls vorwiegend Menschen muslimischen Glauben gewesen waren, schien niemanden zu einer Denkpause zu motivieren. Oder vielleicht dazu, seine Denkpause zu unterbrechen.

Die 30 Schweigesekunden (!) wurden vom Lutz stilecht mit „Zeit ist Geld“ beendet. Nicht, dass die Teilnehmer wegen ausbleibender Hetze unruhig werden. Der Lutz versuchte, den die PEGIDA umgebenen Opfermythos weiter fortzuschreiben. Er zitierte Aussagen diverse Unions-Politiker zum Thema Asyl und stellte Übereinstimmungen fest. Die Politiker würden jedoch, im Gegensatz zu den PEGIDA, nicht als „Nazis“ beschimpft. Wo er Recht hat, hat er Recht. Das zeigt, warum es falsch ist, Menschen als Nazis zu titulieren, die keine sind. Man muss kein Nazi sein, um menschenfeindliche und rassistische Einstellungen zu haben und zu verbreiten. Die, wahrscheinlich gut gemeinten aber sehr unbedachten, Äußerungen einiger Politiker aus der Anfangszeit der Proteste, werden jetzt genutzt, um sich gegen Kritik zu immunisieren. Lustigerweise war es gerade „die Antifa“ die bereits auf den ersten Gegendemos immer wieder betonten, es handele sich bei den PEDIGA eben nicht einfach um Nazis. Aber das sind ja „linke Chaoten“, mit denen spricht man nicht.

https://diaphanoskopie.files.wordpress.com/2014/12/img_0422.jpg?w=660 Projektion über der Rednerbühne der Kundgebung.

Während auf dem Theaterplatz andächtig gebrummt und enthusiastisch gebrüllt wurde, drangen vom Schlossplatz nach Definition der Polizei in Hör- und Sichtweite liegend leise Rufe des Gegenprotests herüber. Der Wind wehte, „gegen den Schall“, leider in die falsche Richtung und so spielte ein weiteres physikalisches Phänomen den PEGIDA in die Hände. Auch die sächsische Polizei tat ihr Bestes, damit Lutz ungestört seine, an Behauptungen reiche und an Fakten arme, Rede vor vielen Menschen halten zu können. Der Theaterplatz war während der gesamten Veranstaltung frei zugänglich. Jedenfalls solange man die Gesichtskontrolle durch die Polizei überstand (so wie ich, ob das nun für oder gegen mich spricht, weiß ich auch nicht).

https://diaphanoskopie.files.wordpress.com/2014/12/img_0440.jpg?w=660 Der hermetisch abgeriegelte Schlossplatz von den Brühlschen Terrassen.

Der Schlossplatz hingegen war von der Altstadtseite durch die Ordnungshüter hermetisch abgeriegelt worden. Zugang war ausschließlich über die Augustusbrücke möglich. Das führte zu orientierungslos durch die Stadt wandernden Gegendemonstranten, die sich überlegen konnten, den vier bis fünf Kilometer langen Weg auf die Neustadtseite auf sich zu nehmen, um zur Gegendemo zu gelangen. Das müssen die „sächsischen Verhältnisse“ sein, von den man in den letzten Wochen so viel hört. So gab es nicht viel neues am 22. Dezember 2014 in Dresden. Auf der Kundgebung von PEGIDA wurde in den Reden wieder soviel Kontext der dargestellten Fakten weggelassen, dass die getätigten Aussagen sich für den Begriff „Lüge“ qualifizieren. Von Lutz und seinen Freunden könnte die „Lügenpresse“ noch einiges lernen.

Die PEGIDA geben vor, gegen die Islamisierung des Abendlandes zu sein und stellen den IS als existentielle Bedrohung für unsere Gesellschaft dar. Und sie haben Recht. Wenn die Sicht der PEGIDA tatsächlich von großen Teilen der Bevölkerung geteilt und gelebt werden sollte, wird das wahrscheinlich zu einer vermehrten Radikalisierung der hier lebenden Menschen führen, die sich dem islamischen Glauben zugehörig fühlen. Diese Destabilisierung spielt dem IS in die Hände und ist von ihm ausdrücklich gewollt. Die Kritik der PEGIDA ist eine exklusive, faktenresistente und hermetisch abgeschlossene. Wir benötigen eine inklusive, offene und anpassungsfähige Kritik.

https://diaphanoskopie.files.wordpress.com/2014/12/img_0413.jpg?w=660 Plakat am Staatsschauspiel. Menschen, die sich mit Kultur auskennen, scheinen die "abendländische" nicht für bedroht oder nicht für schützenswert zu halten...

Wo es in Dresden nichts neues gibt, mehren sich die Stimmen in der „Lügenpresse“ die um Verständnis für die PEGIDA werben. Der eine sieht die Gefahr „Neukölner“ Verhältnisse, der nächste meint, die PEGIDA würden reale Probleme in der Flüchtlings- und Asylpolitik ansprechen, und es sei wichtig, dass das jemand mache. Machen sie aber gar nicht. Die PEGIDA sprechen keine Probleme an, sondern drücken ein Gefühl der Unzufriedenheit mit den Verhältnissen aus. Sie werden abgehängt von der Entwicklung in diesem Land und wünschen sich eine romantisierte, provinzielle Beschaulichkeit der 50er Jahre zurück. Früher war alles besser, das wollen die PEGIDA zurück. Früher ist vorbei, Zeit kennt nur eine Richtung. Ein physikalisches Phänomen mit dem die PEGIDA sich abfinden müssen.

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Geschrieben von

diaphanoskopie

"...im Gegenlicht der Wirklichkeit." - Ich hab' mal jeden Scheiß geglaubt. - @diaphanoskopie

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