Sächsische Verhältnisse in Dresden

Neue Rechte Über ein hausgemachtes Problem mit Rechtsextremisten

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Sächsische Verhältnisse in Dresden

Bild: JENS SCHLUETER/AFP/Getty Images

„Was ist denn da los bei Euch in Dresden?“

Ich war auf dem Heimweg von der Arbeit, fuhr an der Elbe entlang und Sebastian stellte mir diese Frage am Telefon. Das war vor ein paar Wochen. Wir sprachen über Freital. Und damit weiß nun jeder, dass wir über Rassismus sprachen. Freital in Sachsen, mittlerweile ist das nicht nur eine topographische, sondern auch eine politische Positionsbeschreibung. Diese Frage interessierte mich, selbst erst wenige Jahre Dresdner, auch. Seit ich das erste Mal von den sächsischen Verhältnissen gehört hatte. Drängend wurde die Frage, nachdem ich die sächsischen Verhältnisse am eigenen Leib erlebt hatte. „Was ist denn los bei uns in Dresden?“

Die PEGIDA konnten unter anderem soviel Wucht entwickeln, weil die Politik in Sachsen und Dresden alles falsch gemacht hat. Im Umgang mit Extremisten im Allgemeinen und mit sich dem Bürgertum anbiedernden Extremisten im Speziellen.

Der erste Gegenprotest gegen die PEGIDA formierte sich bereits im Herbst 2014, unbemerkt von der Bundesöffentlichkeit und weitgehend ignoriert von der sächsischen Zivilgesellschaft. Am Goldenen Reiter, einem der Wahrzeichen Dresdens, bekam ich, ebenfalls auf dem Weg von der Arbeit, einen Flyer in die Hand gedrückt. Ich erfuhr, in Dresden sammeln sich Menschen, die keine Nazis sind, aber rechts soweit offen, dass diese Kameraden fröhlich mit marschieren konnten. Die Dynamik der „Bewegung“ hatte zu dem Zeitpunkt vielleicht nicht mal das kleine Häufchen Aufrechter im kulturbesoffenen Touristenmagneten des Ostens geahnt.

Als ich vom Zuschauer zum Teilnehmer geworden war, durfte ich erleben, wie man in Sachsen mit antifaschistischem Engagement umgeht. Man verhindert es soweit wie möglich. Die Idylle des Elbflorenz soll erhalten werden. Konflikte, die über die Neubesetzung von Intendanten hinaus gehen, stören. Alles was über Symbolpolitik a la Menschenkette hinausgeht ist unerwünscht.

Protest in Hör- und Sichtweite der PEGIDA wurde so oft und so gut wie möglich verhindert. Das ging soweit, dass der Zugang zu PEGIDA-Märschen für deren Teilnehmer bequem möglich waren, während die Gegenveranstaltung jedoch, durch hermetische Polizeisperren, für deren Teilnehmer kaum zu erreichen war.

Die Kommunal- und Landespolitik reagierte auf die PEGIDA anfangs dröge und später kontraproduktiv. Gegenprotest wurde abgewertet als linksextremistische Veranstaltungen der „Antifa“. Damit war die CDU-Führung das erste Mal auf einer Linie mit Bachmann und seiner Truppe. Das passte zur Linie der Stadt, Gespräche mit Dresden Nazifrei über Jahre abzulehnen und damit diejenigen auszuladen, die effektiv dafür gesorgt hatten, dem größten Naziaufmarsch der Nachkriegszeit in Europa das Wasser abzugraben.

Was bundesweit kaum jemand mitbekommen hat, war das Timing von Bemerkungen des sächsischen Innenministers Markus Ulbig zu einer Art schnellen Eingreiftruppe gegen "straffällige Asylanten". Die PEGIDA waren zu dem Zeitpunkt bereits groß genug um vor Ort bemerkt zu werden. Bundesweit waren sie aber noch unter dem Radar der Medien. Eine kritische Äußerung des sächsischen Landesvaters Tillich zu PEGIDA und ihren Forderungen, die über Allgemeinplätze hinausging, hatte es noch nicht gegeben. Mit der Bildung einer speziellen Polizeitruppe für straffällige Asylbewerber blies die Landesregierung ins Horn der islamophoben Rassisten und legitimierte deren Veranstaltung.

Während wir mit ein paar 100 Menschen auf dem Postplatz standen und auf den Zug 1000en Rassisten warteten, kam ich mir hilflos vor, ob des fehlenden Rückgrats „meiner“ Regierung. Das panische Agieren hatte den Gegenprotest nicht nur nicht unterstützt, sondern torpediert. In der Staatskanzlei herrschte Panik vor einem weiteren Wählerverlust. NPD und AFD hatten bei den Landtagswahlen zusammen 15% geholt. Diese Wähler wollte Tillich zurück. Er entschied sich gegen die Rolle des aufrechten Demokraten, gegen den Aufstand der Anständigen und für die Rolle des servilen Demagogen.

Ob es zuerst die Hoteliers oder die Professoren der TU-Dresden waren, die öffentlich hörbar Alarm schlugen, weiß ich nicht mehr. Doch zu diesem Zeitpunkt versuchte auch die sächsische Landesregierung tapsig, sich zu positionieren. Für Tillich hieß das, zu sagen, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Für seine verlorenen Wähler war das zu spät und zu wenig, die keiften bereits seit Wochen „Volksverräter“.

Mitleid mit diesem älteren Herren, dessen Gesichtsausdruck Ekel und Bräsigkeit zu mischen scheint, bekam ich auf der Veranstaltung für ein weltoffenes Dresden. Fast. Ob er sich beim Anblick des Transparents „Schön, dass Ihr auch schon da seid“ schämte, ist nicht überliefert. Dem Saboteur der sächsischen Zivilgesellschaft schallten Sprechchöre entgegen: „Winterabschiebestopp!!!“. Er vermied jedes Risiko, sein Gesicht zu verlieren und hielt sich an seinem Manuskript fest. Es war die Inszenierung von Interesse an der Sache, um den Imageschaden gering zu halten.

Den hätte er allerdings selbst im Vorfeld fast vergrößert. Die Veranstaltung Weltoffenes Dresden war im letzten Moment umbenannt worden. Der ursprüngliche Titel „Eine Stadt, Ein Land, Ein Volk“ war von mehreren Seiten harsch kritisiert worden. Tillich überlies dieses, proklamierte, Volk kampflos den völkischen Verführern.

Die von der Politik hinterlassene Lücke in der Dresdner Zivilgesellschaft versuchten Privatleute zu füllen. Zur Veranstaltung „Dresden für alle“ kamen ca. 30 000 Menschen, FlüchtlingsvertreterInnen, KünstlerInnen und Herbert Grönemeyer. Für alle, die sich in den Wochen davor die Montagabende um die Ohren gehauen haben, die an Polizeisperren gescheitert waren, die von der Straße getragen worden waren und Dienstags vom Schreien heiser gewesen waren, war das eine Veranstaltung der gemischten Gefühle.

Am Montag danach hieß es auf der Straße wieder „Business as usual“. Ein paar hundert DresdnerInnen zeigten ihr Gesicht gegen die braune Masse.

Durch das Medieninteresse und die Kritik aus dem Rest des Landes und der Welt, äußerten sich vermehrt mehr oder weniger wichtige DresdnerInnen zum Thema. Viele Äußerungen, die sich gegen PEGIDA und ihre Forderungen richteten, krankten an der Motivation. Politiker mahnten, Deutschland müsse Einwanderer willkommen heißen, weil es einen Mangel an Fachkräften gäbe. Die Professoren machten sich Sorgen um Doktoranden und Forscher aus dem Ausland. Der Wissenschaftsstandort Dresden sei in Gefahr. Die Hoteliers sorgten sich um das Geschäft mit den Touristen und der Bürgermeister um den Ruf Dresdens. Was sollen die Investoren denken? Selten wurde angeführt, dass es ein Menschenrecht auf Asyl gibt. Dass dieses jedem Menschen ohne Hinblick auf seinen Nutzen für uns zusteht. Dass der Kampf gegen die PEGIDA ein Kampf für Menschenrechte ist, das war kaum jemand zu hören und zu lesen.

Seit Anfang des Jahres wurde der Protest weniger. Die Gruppen vor Ort beschlossen, ihre Kräfte für sinnvollere Aufgaben zu nutzen. Unter anderem die Blockade des Naziaufmarsches am 13. Februar, der Dresden jedes Jahr heimsucht. Am 13. Februar wurde dieser von der Polizei gewohnt routiniert durchgesetzt. Die Teilnehmerzahl der PEGIDA sank und das Interesse der Medien ebenfalls. Doch das Feld war bestellt.

Mit der Einladung von Geerd Wilders erhofften sich die PEGIDA im Frühjahr wohl den langsamen Rückgang der Teilnehmerzahlen aufhalten zu können. Die Veranstaltung wurde abseits der Innenstadt durchgeführt, von den 30.000 angekündigten, erschienen 10.000. Durch das Vorgehen der Ordnungskräfte war auch hier kein Protest in Hör- und Sichtweite möglich. So entstanden Fernsehbilder von deutschen Rassisten, die einem bekannten Rechtspopulisten zujubeln. Während Gegendemonstranten am effektiven Protest gehindert wurden, geleitete die Polizei Gruppen der PEGIDA durch die Reihen der Gegendemonstranten. In Sachsen ist man seinen Rechten eben näher als seinen Pflichten.

Eine konkrete Veränderung in Dresden seit dem Erscheinen der PEGIDA war der gestiegene Mut, rassistische Meinungen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Der Rausch der 10.000 gab das Gefühl, einer Mehrheit anzugehören. Die Wut der Anderen, nährte den Glauben daran, auf der richtigen Seite zu stehen.

Und dann kam Freital. Die Fernsehbilder, des brüllenden Nazimobs, der in einer Gruppe besorgter Bürger aufgeht, sind die Aufführung des allmontäglichen Dresdner Schauspiels im Kleinen. Rechtsextreme und Rechtskonservative bilden eine gefährliche Melange des Hasses.

Tillich will die Sorgen dieser Melange ernst genommen wissen und schickt seinen blassen Innenminister Ulbig, nach seiner verlorenen Bürgermeisterwahl in Dresden, in eine Bürgerversammlung. Die Sorgen der Bürger entpuppen sich dort als selbstgerecht vorgetragene, rassistsche Ressentiments und Verschwörungstheorien. Letztere aufgeschnappt bei den Chefideologen der Querfrontbewegung um Jebsen und Elsässer. Ulbig geht unter. Einem Volksverräter traut man in Freital nicht. Man diskutiert nicht mit ihm, man richtet ihn symbolisch hin.

Kaum etwas jedoch kann die sächsischen Verhältnisse besser illustrieren als die Geschehnisse im ehemaligen Hotel Leonardo. Dort sollen nicht nur Menschen ein und ausgehen, die Verbindungen zu PEGIDA und den Freitaler „Bürgerbewegung“ haben. Sie sollen auch Spenden für die Flüchtlinge verwalten. Dass Menschen die in Deutschland Hilfe suchen der Willkür von Rassisten aussetzen müssen, ohne dass politisch eingeschritten wird, ist ein Skandal. Ein Skandal der in Sachsen bis auf wenige einsame Facebookseiten kaum thematisiert wird.

Als in der Nacht zum Freitag Flüchtlinge in einem kurz zuvor hochgezogenen Zeltlager ankamen, waren die Nazis schon da. Eine überraschte Polizei versuchte 200 Rechte von Attacken auf 350 Gegendemonstranten abzuhalten. Gegendemonstranten, die nicht nur zum Protest gekommen waren, sondern auch zum Schutz der geflüchteten Menschen. Auch in der Nacht zum Montag waren vor dem Zeltlager Menschen verblieben, um es vor Angriffen durch Nazis zu schützen. Die fühlen sich offensichtlich Stark genug, um Asyleinrichtungen in Ganz Dresden heimzusuchen.

Das lieber Sebastian ist in Dresden los. Das sind sächsische Verhältnisse.

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Mehr Texte über PEGIDA (es sind schon viel zu viele).

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Geschrieben von

diaphanoskopie

"...im Gegenlicht der Wirklichkeit." - Ich hab' mal jeden Scheiß geglaubt. - @diaphanoskopie

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