Die Autorin jayne schreibt hier auf freitag.de.
Ist das Ahnungslosigkeit oder schon Ignoranz - das Eröffungsspiel hatte schon längst begonnen, ehe ich mich meiner Pflichten entsann ...
Erst einmal mußte ich checken, wer hier in welcher Uniform aufläuft (Auflauf, so heißt es wohl auch, wenn sich die Spieler auf dem Rasen ordentlich verkeilen). Naja, den Gastgebern gebührten die markanteren Uniformen, während die Mexikaner auf dem Spielfeld kaum auszumachen waren. Indes machte die Arena einen aufgeweckten Eindruck, die Choreographie der Bandenwerbung sollte genug Abwechslung bieten, während der anhaltende Hornissenton regelrecht ermüdete.
Ja, die "Bandenwerbung", unter anderem Addidas, Continental und Castrol, Konzerne, die immer mal wieder ob ihrer Praktiken (Arbeitsbedingungen) in Dritte-Welt-Staaten in den kritischen Blick der Öffentlichkeit geraten - in meiner Kindheit verkörperten diese Namen die große Welt. Allerdings bekam ich sie damals nur übers Fernsehen zu Gesicht, die Bandenwerbung diverser Eis- und Fußballstadien, die zu jener Zeit noch starr, so daß man sie eingängig zu studieren vermochte. Regelmäßig beschäftigten mich die SECHSÄMTERTROPFEN, versuchte ich zu erkunden, was sich hinter ihrem Namen verbarg, der so gar nicht zu den weltläufigen Marken von Coca Cola & Co. paßte. SECHSÄMTERTROPFEN - das erschien mir deutsch und provinziell, mit Ämtern hatten wir genug am Halse, weniger mit der Dreifaltigkeit ...
Heuer wechselt die Bandenwerbung im gefühlten Minutentakt, und während die Kamera auf das irre Hin und Her der Akteure auf dem Feld fokussierte, hatte ich Mühe, den Wechseln an der Bande zu folgen. Dabei gab es neben Altbewährtem auch Unbekanntes zu entdecken: Budunited.com beispielsweise, Mahindra Satyam, aggrolo oder SEARA ... Was verbirgt sich hinter SEARA, sinnierte ich, während die Werbung gerade wechselte und unisono VISA angepriesen wurde - da stand es immer noch null zu null, und die Südafrikaner bereiteten gerade ihren zweiten Eckball vor ...
Auch die FIFA ließ sich im Übrigen nicht lumpen, ganz in blau, und hinterm Tor der Südafrikaner glänzte für eine Minute die Hoffnung auf: FOOTBALL FOR HOPE - FOR BETTER FUTURE hieß es da - und tatsächlich hatten die Mexikaner die Chance vertan, in Führung zu gehen. Die erste Halbzeit endete 0:0, nach der vierten Ecke für die Gastgeber, und ich schaltete ab, den Sommerabend im Freien zu genießen ...
Kommentare 9
Ja, die Werbung war schon echt penetrant und es lasen sich bedrückende Namen. Aber das war relativ klar, da ja bei den Hauptsponsoren schon namen wie BP und MC Donalds zu lesen waren.
Mich hat das ständige Einblenden des FIFA Logos unheimlich genervt.
Adidas, die übrigens eine große Anzahl von Mannschaften ausrüsten, sind auch mal wieder aufgeflogen, dass in ihren chinesischen Fabriken die selbst auferlegten Sozialstandards nicht eingehalten werden, sondern Menschen da in 70 Stunden Wochen arbeiten.
Wenn du dran geblieben wärst, dann wär die Folgendes nicht entgangen.
Werbung für ein CD bei Saturn von der Band Bonfire, einer Billighardrockversion von der Deutschlandhymne, zu erstehen als Gesamtpaket mit Deutschlandfahne und noch irgendwas, was ich vergessen habe. Das Video zu dem Quatsch hab ich im Live Blog zum Spiel gepostet.
Und in der Zwischenschalte zwischen den Spielen (ich glaube auf RTL) ein Bericht vom Nationalmannschaftscamp. Der Presseraum hat wirklich in schwarz rot gelbe Stuhlreihen. Aber das nur am Rande. Phillip Lahm berichtet, dass die Mannschaft für 300 Kinder der armen Umgebung des Hotels Tickets und Transfers zu Fußballspielen bezahlt. Schöne Aktion kann man denken. Ich denke schnell, nachdem ein paar arme kleine schwarze Kinder mit den Fußballern vor die Kamera gezerrt wurden und diese übers Klee loben und fast dankbar weinen, wieso macht ihr das nicht einfach und haltet den Mund. So hattte es wirklich ein fast kollonialen Beigeschmack.
hallo KalleWirsch, danke für die hintergrundinformationen, was da im kontext passiert, lohnt sich in den blick zu nehmen ...
Auch sehr interessant die Berichterstattung der ARD. Die Männer fachsimpeln und die Frau berichtet von der Stimmung vor Ort.
RTL war da aber auch nicht besser, die habe dann noch Kalmut auf ein Pferd gesetzt und über Tierquälerei gewitzelt.
"Adidas, die übrigens eine große Anzahl von Mannschaften ausrüsten, sind auch mal wieder aufgeflogen, dass in ihren chinesischen Fabriken die selbst auferlegten Sozialstandards nicht eingehalten werden, sondern Menschen da in 70 Stunden Wochen arbeiten."
es gibt mittlerweile bei jedem großkonzern die erkenntnis, und auch interne untersuchungen, die als ergebnis haben:
wir können die arbeitsbedingungen unserer zulieferer und tochterfirmen in asien nicht unter kontrolle halten.
am stärksten find ich immer noch apple-zulieferer foxconn. wegen der arbeitsbedingungen bringen sich die leute erst um, dann zwingt das unternehmen die mitarbeiter verträge zu unterschreiben:
"Ich verspreche, mich oder andere niemals in einer extremen Form zu verletzen", heißt es darin. Die Beschäftigten erlauben mit ihrer Unterschrift dem Unternehmen, sie "zum eigenen Schutz und dem anderer" in eine psychiatrische Klinik zu schicken, sollten sie in einer "anormalen geistigen oder körperlichen Verfassung sein".
derstandard.at/1271377489701/iPhone-Zulieferer-Foxconn-Arbeiter-in-China-sollen-Selbstmord-Verzicht-unterschreiben
anschließend hebt man die löhne an und guten willen zu zeigen und gestern kam dann, dass man davor steht wieder nach taiwan zu gehen und die produktion in china einstellt. (noch unbestätigt).
so zynisch kann man gar nicht sein, wie die realität es ist.
mfg
mh
Ja, dieser Zynismus ist unbeschreiblich.
Interessant wäre, was für Konsequenzen bei einem Regelverstoß, also Siuzid, vorgesehen ist. Keine Bestattung auf dem Applefriedhof (wie bei der katholischen Kirche). Oder muss die Familie dann für den Arbeitsausfall berappen?
Die perfekte Strafe für einen Suizid ist eine erfolgreiche Reanimation.
Danke für die wirklich interessanten Hintergrundinformationen. Hab das Spiel zwar nicht sehen können, aber so doch das Gefühl, nichts Entscheidendes verpaßt zu haben.
"es gibt mittlerweile bei jedem großkonzern die erkenntnis, und auch interne untersuchungen, die als ergebnis haben:
wir können die arbeitsbedingungen unserer zulieferer und tochterfirmen in asien nicht unter kontrolle halten." -
ja, nur daß diese großkonzerne eben bspw. mittels ihrer ausschreibungspraxis für zulieferer einen enormen preisdruck ausüben, der dann von kalle und mh beschriebene wirkungen zeitigt ...
"so zynisch kann man gar nicht sein, wie die realität es ist."
Wohl war.
Schon interessant wohin eine sozialistische Entwicklung laufen kann.
Aber Hauptsache unter Führung der KP, -
denn "die Partei, die Partei, die hat immer Recht".
Die können sich da ideologisch sogar noch auf Lenins NEP berufen, um das alles ins ideologische Korsett zu rechtfertigen.