Nacktheit als Protest

Nacktheit Warum der Zweck die Mittel heiligt

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Nacktheit als Protest

Foto: Alexander Klein / AFP / Getty

Alltäglich ist kaum ein Mensch nackt anzutreffen. Wir entledigen uns unserer Kleidung immer erst im persönlichen Rahmen, sei es bei der Körperpflege oder sei es um mit anderen Menschen sexuell intim zu werden. Nackt treten wir unserem Alltag gewöhnlicherweise nicht entgegen. Doch aktuell können wir in den Medien immer wieder auf nackte Körper stoßen, die nicht unter der Dusche oder beim Beischlaf abgebildet sind. Was motiviert diese Menschen zu ihrer öffentlichen Nacktheit?

Die Faszination des menschlichen Körpers und die Begehrlichkeiten, die er auslöst, haben biologische Gründe. Diese Anziehungskraft dient der Fortpflanzung und ist tief in unseren Instinkten verwurzelt. Aber gerade weil wir auf diese körperliche und sexuelle Sprache so intuitiv anspringen, wird dieser Mechanismus von der Werbung missbraucht. Wolfgang Fritz Haug schreibt in seiner „Kritik der Warenästhetik“ darüber, dass die „ganzen Warengattungen Liebesblicke nach den Käufern“ werfen. Sie bedienen sich der Sprache des Balzens und Umwerbens des Partners. Dieses geschieht immer zum Gewinnen von Aufmerksamkeit, es ist notwendig um einen Partner zu finden und ihn an sich zu binden. Eben diese Aufmerksamkeit erschleichen sich so auch die Waren. Nur dient dies nicht dem Fortbestand der Menschheit, sondern dem Profit von Konzernen. Es ist die gängige Sprache auf dem freien Markt des Kapitalismus. Wir sind diese Sprache gewohnt, auf sie trainiert und sie ist uns schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir uns einer Manipulation nicht bewusst sind. Annähernd jedes Bild in der Werbung präsentiert uns junge, gesunde Menschen, manchmal mehr und manchmal weniger bekleidet. Dabei dienen besonders die Brüste und Kurven des kaum bekleideten weiblichen Körpers mehr und mehr dazu Produkte wie Bier, Sekt, Autos oder Eis unters Volk zu bringen. Dieser Umstand ist allgemein bekannt und akzeptiert. Was jedoch passiert, wenn man die im Menschen tief verwurzelte Anziehungskraft des nackten Körpers auf kritische Themen anwendet. Ist diese Form von Manipulation ein adäquates Mittel, um auch auf Missstände in der Welt hinzuweisen?

Um dieser Frage nachzugehen, wird beispielhaft eine Auswahl aktueller Protestaktionen beleuchtet.

Neben den gewohnten Werbebildern buhlen auch Bilder aus verschiedenen Kampagnen der Tierschutzorganisation Peta um Aufmerksamkeit. Hier wird gegen das Tragen von Pelz oder für die Verbreitung von vegetarischer Ernährung aufgerufen. Dies erfolgt in gewohnter Weise: mit nackten Körpern, teilweise auch von Prominenten wie den No Angels.

http://oi47.tinypic.com/161ykwh.jpgBildquelle: http://www.stern.de/news2/aktuell/pornografie-vorwurf-gegen-ai-weiwei-fans-stellen-solidarische-nacktfotos-online-1753834.html

Die Wirkung dieser Bilder bedient sich derselben Sprache wie die Werbung. Es wird jedoch nicht zu einem Pro wie dem Kaufen, sondern zu einem Contra wie der Verweigerung von Pelz oder Fleisch aufrufen. Diese Kampagnen dienen einem moralisch höher zu wertendem Zweck und nicht dem blinden Konsum allein.

Die Machart der Bilder der Peta Kampagnen kopiert den Stil der Werbewelt und fällt auf den ersten Blick kaum aus der Masse der Werbungsbilder heraus. Künstlerische Erzeugnisse sind allerdings schnell von diesen zu unterscheiden. Sie sind eindeutig nicht konsumentenkonform oder werbend. Hier haben die Bilder nicht den Anspruch perfekt und ohne Makel zu sein. Eben das unterstreicht ihre Wirkung und ihre jeweilige Botschaft.

Der chinesische Künstler Ai Wei Wei veröffentlichte schon vor seiner 81-tägigen Inhaftierung ein Foto von sich und vier nackten Frauen in seinem Blog. Für den Künstler haben diese Fotografien jedoch nichts mit Sexualität zu tun. Ai Wei Wei: „Für mich ist das eine Art Feier der freien Kommunikation. Ja, eine Feier unseres Körpers.“

Als Reaktion auf diese Aktion erhebt die chinesische Regierung nun den Vorwurf der Pornographie gegen den Künstler. Dies ist kein Wunder, denn Ai Wei Wei deckt durch seine grenzüberschreitenden Fotografien Missstände innerhalb Chinas auf und provoziert durch sein Entkleiden Autoritäten in der Volksrepublik. Er macht dem Rest der Welt über das Internet deutlich, dass in China Medien bewusst zensiert werden und dort die freie Meinungsäußerung limitiert ist.

Die Vorwürfe der chinesischen Regierung haben dazu geführt, dass auch Freunde und Fans des Künstlers Nacktfotos von sich in einem Blog ins Internet stellen um ihre Solidarität zu bekunden.

http://awfannude.blogspot.de/view/flipcard

http://oi47.tinypic.com/5wwbra.jpgBildquelle: http://www.stern.de/news2/aktuell/pornografie-vorwurf-gegen-ai-weiwei-fans-stellen-solidarische-nacktfotos-online-1753834.html

Auf Ai Wei Wei’s Blogveröffentlichung seines Nacktfotos reagierte Chinas Regierung zeitverzögert. Als im Gegensatz dazu jedoch die ägyptische Kunststudentin Aliha Magda al Madhi ihr Nacktfoto in ihrem Blog veröffentlichte, folgten erzürnte Reaktionen promt. Sie veröffentlichte drei identische Fotos, in welchen mit gelben Balken jeweils einmal Schambereich, Mund und Augen der Studentin zensiert sind. Für sie ist es „die Zensur unseres Wissens, Ausdrucks und Sexualität.“ In einem islamischen Land ist dies ein Tabubruch ohnegleichen. Gerade durch die Revolution haben in Ägypten islamistische Strömungen an Einfluss gewonnen. Ein einfacher Kuss eines Paares in der Öffentlichkeit gilt beispielsweise schon als verpönt.

Selbst liberale Politiker verurteilen den Schritt der Studentin. Eine viertel Millionen Schmähungen und Drohungen hat Al Madhi erhalten. Unterstützung erhielt die Junge Frau aus ganz unerwarteter Richtung. 40 Israelinnen bekundeten ihre Solidarität und ließen sich ebenfalls nackt fotografieren, mit einem Banner „Liebe ohne Grenzen“.

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Bildquelle: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/bild-798556-284400.html

Al Madhis Protest wirkt allerdings noch brav im Gegensatz zu den Aktionen der Agitprop-Gruppe Femen. Oben ohne, und den nackten Körper als Protestplakat beschrieben, wollen sie auf vielerlei Missstände aufmerksam machen. Die Femen Gruppe mit Ursprung in der Ukraine ist international vertreten und ihre Protestziele sind sehr breit aufgestellt. Sie protestieren unter anderem gegen Wahlfälschungen, Sextourismus, Sexismus, Islamismus und Wladimir Putin. Ein aktuelles Beispiel ist ein Femenprotest in Italien kurz vor der Parlamentswahl. Drei unbekleidete Frauen stürmten auf Silvio Berlusconi zu, wurden jedoch rasch von der Polizei festgehalten. Hierbei trugen Sie auf dem Rücken den Slogan „Basta Berlusconi“ (Genug von Berlusconi).

Die Bilder, die in den Medien so entstehen, wirken auf die Öffentlichkeit – man sieht hin. Oft sind es Videoaufnahmen oder Fotos von Journalisten. Bilder aus der echten Welt, jenseits von Fotoshooting und Atelier. Wir sehen die nackten Körper wie sie wirklich sind – ohne Inszenierung. Der Protest wirkt umso stärker, da man sieht wie die verletzlichen nackten Körper verzweifelt nach Hilfe und Aufmerksamkeit rufen und trotzdem von der Polizei zurückgedrängt werden.

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Bildquelle: http://www.euronews.com/picture-of-the-day/2012/12/22/femen-activist-arrested/

Wie auch Wolfgang Fritz Haug beschreibt, hat es sich gezeigt, dass der nackte Körper auf Menschen wirkt. Egal für welchen Zweck die Nacktheit eingesetzt wird, der Betrachter wird instinktiv in den Bann gezogen. Unverfroren nutzen beispielsweise Unternehmen diese plumpe Art und Weise, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, um ihrem Streben nach stetigem Wachstum gerecht zu werden und so Produkte zu verkaufen, die oft nur wenig mit dem nackten menschlichen Körper an sich zu tun haben.

So scheint es völlig legitim, die Vorteile der Manipulation „Sex Sells“ – das schnelle Erlangen von öffentlicher Aufmerksamkeit – zu nutzen, um moralisch höher zu wertende Problemstellungen anzusprechen und in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

Ein lauter „Paukenschlag“, wie beispielsweise ein nackter Protest in der Öffentlichtkeit, stellt den Initiator dar, der überhaupt eine Problemlösung in Gang bringt. Die daraus resultierende Rückenstärkung durch die Öffentlichkeit erschafft ein Milieu in dem es zu fundamentalen und sensibleren Lösungen solch wichtiger Brennpunkte kommen kann.

Die eingefahrenen Unterdrückungs- und Vertuschungsmechanismen werden so ausgehebelt und lassen im Endeffekt Veränderung zu.

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Bildquelle: http://www.br.de/themen/kultur/inhalt/spencer-tunick-nackte104~_v-image853_-7ce44e292721619ab1c1077f6f262a89f55266d7.jpg?version=1340114531167

„Sex sells!“ ist ein geflügeltes Wort geworden, eigentlich eine Binsenweisheit, die oft nachgeplappert wird. Wenn man sich umschaut, sieht man aber, dass der Spruch noch immer stimmt. Aber wie genau funktioniert das Verkaufen mit bzw. durch Sex? Und welche Rolle spielt das Design dabei? Designstudenten der „Burg“ in Halle versuchen, Antworten auf diese Fragen zu geben.

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