Der Künstler aus der Stuka: Joseph Beuys

Literatur In „Vorsicht bei Fett!" liefert Johannes Lothar Schröder einen neuen Schlüssel zur Dechiffrierung des Beuys'schen Werks

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Joseph Beuys (unten links) zu Besuch bei Mitgliedern des Verteidigungsministeriums 1980
Joseph Beuys (unten links) zu Besuch bei Mitgliedern des Verteidigungsministeriums 1980

Foto: Keystone/Hulton Archive/Getty Images

16. März 1944. Eine Stuka im Blindflug nach Sewastopol stürzt nach Bodenkontakt ab. Einziger Überlebender: Bordfunker Joseph Beuys. Der Abschuss der Ju 87 in der Krim diente als Grundlage der viel zitierten Legende von der Neugeburt des Unteroffiziers Beuys als Künstler. Tartaren hätten ihn in Fett und Filz eingewickelt, um ihn vor dem Erfrierungstod zu bewahren. Das Schlüsselerlebnis, das dergestalt den kultischen Einsatz der Materialien Fett und Filz im späteren Werk des Künstlers erklären sollte, wurde bereits von seiner Frau als "Fiebertraum" eingeschätzt und darf spätestens seit der Recherche des Künstlers Jörg Herold als der Mythenbildung überführt gelten. Daran ist also nichts Neues.

Doch um Enthüllungen soll es in dem unlängst erschienenen Buch "Vorsicht bei Fett!" nicht gehen. Johannes Lothar Schröder liefert einen neuen Schlüssel zur Dechiffrierung des Beuys'schen Werks, der in der Prägung des jungen Beuys als kriegsfreiwilliger Soldat der Wehrmacht zu liegen scheint. Schröder beleuchtet hier, wie sehr die Überlebensstrategien des Alltags an der Front, militärische Konditionierung und nicht zuletzt die Traumatisierung durch Krieg und Niederlage der einst Hitlergläubigen für das Werk des Bildhauers und Performancekünstlers bedeutsam waren.

Beuys' Umgang mit Materialien und mit dem Körper spiegelten die Kriegserfahrung; ob er sich nun wie im Schützengraben beim Granatenhagel eingrub oder mit einer Luftpumpe in der Margarine den Zündesprozess von Atombomben nachahmte . Die militärische Erfahrung entwickelte sich bei Beuys zu einer "Körperintelligenz im kalten Krieg". Der Krieg als Erfahrung bewahrheitete sich bei Beuys vor dem Hintergrund des kalten Kriegs im wiederbewaffneten Deutschland als immer wiederkehrendes Leitmotiv. Heilung war so ein wiederkehrendes Bild des selbsterklärten Schamanen mit dem christlichen Touch. Ob er einfettete, in Filz rollte oder aufforstete – Beuys war der künstlerische Heiler der Republik.

Aber jeder Salbung mit Fett und Honig wohnte scheinbar auch ein Moment der Selbstheilung des vermeintlichen "Homo sacer" inne. Beuys, Vertreter der im Kriege "geopferten" Generation, heilte mit der Kunst die Gesellschaft ebenso wie sich selbst. Seine politisches Engagement stand nicht nur für eine Gesellschaft im Wandel, sondern war immer auch Internalisierung der Konflikte in Gestalt des handelnden Künstlers. Dergestalt waren seine performativen Akte auch Offenlegungen der inneren Konflikte, die er wiederum stellvertretend für seine Generation bearbeitete. Worüber er, so wie viele andere der Generation, im Worte schwieg, davon erzählt seine Kunst, folgt man Schröders Buch, mehr als bisher reflektiert.

Dem Mythos Beuys wurde viel zugeschrieben; als Pädagoge genial, ein sanftmütiges Wesen, ein beflissener Kämpfer für Ökologie und direkte Demokratie. Doch der Meister war indes ein widersprüchlicher Charakter. Milde und Empathie wurden durch das Naturell eines autoritären Anführers konterkariert: Beuys, der Kunsthochschulen-Zampano, der christliche Missionar, der sich nicht nur im Boxkampf nach oben boxt, Tiefschläge inbegriffen.

Mit Händen und Füßen sicherte er sich seinen Platz an der Kunsthochschule oder der Documenta und scheute die Auseinandersetzung mit den Rivalen der amerikanischen Fluxus-Bewegung nicht. Ob, gerade in der Auseinandersetzung mit dem Erzrivelan Maciunas, nicht ein antiamerikanisches Ressentiment durchscheint, das für die Generation der ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht im sich restituierenden Deutschland vielleicht typisch scheint, bringt Schröder bewusst nicht auf den Punkt. Der Leser darf hier noch seine eigenen Schlüsse ziehen.

"Vorsicht bei Fett!" ist keine Biografie. Hier geht es auch nicht um die Dekonstruktion des Mythos Beuys. Schröder untersucht in seinem Buch kenntnisreich und detailgenau den Habitus des Großkünstlers mit Hut. So beginnt er beispielsweise mit der Kleidung. Anfangs noch im betont bürgerlichen, dunklen Filzanzug, präsentierte er sich schon bald in Blue Jeans und Stiefel, mit der Anglerweste des friedliebenden Jägers und Sammlers und dem berühmten Hut aus Filz. Der mit Hasenfell gefütterte Trenchcoat, immerhin ein Kleidungsstück militärischen Ursprungs, rundet das Bild ab: Die Beuys'sche Anti-Uniform als Gegenbild zur Wehrmachtskluft. So beschäftigt sich Schröder immer wieder mit der Umdeutung militärischer Motive. Vom Eroberer zum Gesandten der Kunst verwandelte sich Beuys' bei seiner legendären Rheinüberquerung, die wohl kritisch an eine Militärmalerei angelegt war, wobei sich mit der missinarischen Pose aber auch eine unfreiwillige Übereinstimmung reproduzierte.

Die Einschreibung von Erinnerung in den performativen Körper ist ein zentrales Motiv in Schröders Buch, das mit der eingehenden Analyse von Habitus und Körperlichkeit im Beuys'schen Werk eine Lücke schließt. Schröder verweist auf den Körper als Erinnerungsträger, geht mit Judith Butler und Michel Foucault und schießt mit einem Exkurs zur Epigenetik vielleicht sogar etwas über das Ziel hinaus.

Dennoch ist seine Betrachtungsweise mit dem Fokus auf das Material der Body Art hochinteressant. Körper als Träger, als Materie, lebendig oder tot. Mannigfaltig die Querverweise vom Werk zur Soldatenbiografie: In der Aktion "Vitex agnus castus" ging Beuys hinter einem Stapel Wachs-, Fett- und Metallplatten in Deckung, während Mönchspfeffer aus seinem Hemdzipfel ragte und er mit ölverschmierter Hand an eine Kupferplatte rieb. Dabei soll er "Ich bin ein Sender" gerufen haben. Wo andere Kritiker sich zölibatär auf die Anthroposophie stürzten, geht Schröder ins Zentrum der Lust.

Er identifiziert das Pumpölkännchen als Ejakulator, das stundenlange Fummeln am Kupferblech als eben solches und natürlich ist der Mönchspfeffer ein lusthemmendes Gewächs. Masturbation, Unterdrückung der Sexualität, in Deckung gehen; auch hier schreibt sich der soldatische Alltag ein. Der Materialfetisch, dem die Figur des Wehrmachts-Pygmalion frönt, gerät zur "Junggesellenmaschine" im Fliegerhorst. So entziffert Schröder die zahlreichen Körperbezüge, von der Ölpumpe bis zum Schalensitz einer Junkers. Schröder untersucht aus der Sicht des "Performanceforschers" und zeigt damit tatsächlich Übersehenes auf, das die Beuysrezeption bereichert.

Dr. phil. Johannes Lothar Schröder ist Künstler und freiberuflicher Performanceforscher in Hamburg. Seine "Vorsicht bei Fett!" titulierte Untersuchung zu Joseph Beuys erschien im Conference Point Verlag, 312 Seiten.

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Diego Castro, (*1972) ist bildender Künstler, freier Kritiker und Sänger der Kreuzberger Garage-Punk-Band Black Heino.

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