Heart Attack

Ausstellung In "Heart Attack" greift Ingo Gerken, Berliner Künstler mit Herz, mit Sanftmut die Paläste des Kapitals an. Friede den Hütten, Liebe aus dem Kassenhäuschen.

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Der Stern ragt über dem Spree-Ufer in die Höhe und dreht sich trotzig. Als Mercedes seinen Klon vom Europa-Center nun endlich auch nach Ost-Berlin transponierte, verdichteten sich die Verdachtsmomente gegen den Klotzbau am Mediaspree. Ohne Ausschreibung, ohne öffentliche Präsentation des Bauvorhabens und ohne Rücksicht auf die Anwohner errichtete der Stuttgarter Automobilkonzern für seine Kreativabteilung die modernisierte Kopie des Baus, der jahrzehntelang als Wahrzeichen des westlichen Großkapitals auf der Insel West-Berlin stand und mit seinem zehn Meter großen Dreh-Stern vom nächtlichen Ku'Damm leuchtete. Die Belange der Bürger sind ihnen in Friedrichshain augenscheinlich egal. In ästhetischer Hinsicht haben sich die Architekten auf dem Gelände um den ehemaligen Güterbahnhof Ost zur Kakophonie verschwört. Plump präsentieren sich die neuen Bauten am Spreeufer und reißen nicht nur die Mauern des guten Geschmacks ein. Behutsamkeit, Bescheidenheit und Besonnenheit sind ihre Sache nicht. Kein Wunder, dass sie keiner liebt.

Unweit davon hat der Künstler Ingo Gerken ein Zeichen gesetzt. Vor der Spree-Seite des Ostbahnhofs steht verloren ein altes Wärterhäuschen an einem dunklen Parkplatz. Auf dem Dach des nicht mehr genutzten Kassenhäuschens dreht sich kein Stern, sondern ein leuchtendes Herz. Der 1971 in Lippetal geborene Westfale studierte an der Kieler Muthesius-Schule und an der Glasgow School of Art. Seine Arbeiten sind oft sehr einfache, oder zumindest einfach wirkende Interventionen im Raum. Der Bescheidenheit der Hütte am Ostbahnhof, der Ingo Gerken jetzt das Liebessymbol aufsetzte, verleiht er mit dem zwar technisch versierten, aber doch minimalen Eingriff einen neuen Glanz, der wie ein Mahnmal an die Großmannssucht der mächtigen Nachbarn am Spreeufer wirkt. Das kleine Herz gegen den Stern, der Kunst-David gegen den Automobil-Goliath, dreht sich auf der "Statsion". So heißt dieser unabhängige Kunstort, der von Christof Zwiener betrieben wird. Das Ausstellungsprogramm des Projekts "Statsion" bietet acht Monate lang ortsspezifische Interventionen und möchte urbane Transformationsprozesse, wie das Schrumpfen von (Frei-)räumen thematisieren. So spielte in dem vier mal vier Meter kleinen Raum bereits die Punkband BIALLA, solange bis dem Generator das Benzin ausging.

Das Herz von Ingo Gerken dreht sich noch bis zum 5. Juni.

Ingo Gerken, Ausstellung "Heart Attack", vom 21. Mai - 05. Juni 2015. Weitere Informationen auf: ww.statsion.de

Foto: Statsion, mit freundlicher Genehmigung
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Diego Castro, (*1972) ist bildender Künstler, freier Kritiker und Sänger der Kreuzberger Garage-Punk-Band Black Heino.

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