Leerstellen des Pop

Popmusik Mit dem melodischen neuen Album "Spaces everywhere" entwickeln The Monochrome Set ihren bewährten Sound weiter: Indem sie mal wieder in der Pop-Geschichte wühlen

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The Monochrome Set
The Monochrome Set

Foto: Presse

Wer sich heutzutage auf die Achtziger als stilprägende musikalische Epoche bezieht, arbeitet oft mit beengtem Sichtfeld auf die elektronische Musik. Doch der Minimalismus, den billige japanische Keyboards hervorbrachten, schlecht gelaunte Bunker-Barden und malträtierte Gitarren sind nur ein Teil der Geschichte. Es gab auch die Gitarrenmusik nach der Abschaffung der Gitarrenmusik. Die Zerstückelung des Rock durch Punk hinterließ einen Scherbenhaufen von Versatzstücken und viel Raum, sich über neue Zusammensetzungen Gedanken zu machen. So verwundert es nicht, dass eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der Rockmusik gegen Anfang der Achtziger Konjunktur erhielt. Britische Künstler wie The Stranglers, The Fall oder Billy Childish aktualisierten den Sound der Sechziger auf ihre Weise und verschafften ihm so eine gewisse Kontinuität.

Auch The Monochrome Set waren eine solche Band und sind es bis heute. Von der Haltung des Postpunk geprägt, waren die Briten mit ihren sinistren Texten -wie so viele Zeitgenossen- wohl vor allem von einer Erfahrung geprägt: Thatcher. Dennoch klangen ihre Songs merkwürdig beschwingt und wogen gute gegen schlechte Zeiten auf. Nicht zu Unrecht wurden Sie aufgrund ihrer Texte manchmal als die Kinks aus dem Zeitalter der eisenen Lady beschrieben. Musikalisch gingen sie jedoch andere Wege als eingangs genannte Kollegen. Statt Endzeitsound war bei The Monochrome Set aus dem Grundrauschen der Achtziger heraus gar Melodisches hörbar: Jangle und Twang. Sounds der Heroen unverzerrter Gitarren wie Hank Marvin, Duane Eddy oder Roger McGuinn. Eine Absage an das Overdrive.

Das Wichtigste aber an der Gruppe um Frontmann Ganesh Seshadri, alias "Bid", war ihr stilbildendes Element. Ohne großen kommerziellen Erfolg, waren sie doch eine der einflussreichsten Formationen von der britischen Insel. Sie bescherten uns jene Bands, die Popmusik vor dem Absturz ins Bodenlose retteten. Die Story, dass Johnny Marr in Morrissey's Vinylsammlung eine Platte von Monochrome Set fand und sie daraufhin The Smiths gründeten, ist hinlänglich bekannt. Ohne die Monochromes scheint der Sound der Smiths, Belle and Sebastian oder auch Franz Ferdinand nicht denkbar. Sie waren die Künstler der Künstler und doch mehr als nur ein Geheimtipp. Auch in Deutschland waren sie zu Vorbildern geworden. Die Zimmermänner gaben dies freimütig zu erkennen. So scheint es als organischer Prozess, wenn Zimmermann Timo Blunck ihre neue Platte gemischt hat und diese nun auf dem Berliner Hauslabel der Zimmermänner, Tapete Records, erschien.

Das neue Album macht seine Aufwartung mit eben wieder dieser gutverpackten Referentialität, die nicht Pose ist, sondern Weiterentwicklung sein möchte. „Spaces Everywhere“ heißt der Longplayer, dessen Titel sich auf die leeren Plätze bezieht, welche die Toten hinterlassen. Musikerlegenden, die unlängst verstarben, wurden zu einem Thema, das Bid beschäftigte. 2010 war er nach einer Hirnblutung selber dem Tod von der Schippe gesprungen . Der gleichnamige Titelsong ist zweifelsohne der anspielungsreichste auf dem Album. Die Sechziger melden sich sphärisch, folkig, psychedelisch. Diesmal mit viel Hammondorgel, Chorgesang, sogar Flöten. Man denkt unweigerlich an Jefferson Airplane, die Beau Brummels, Arthur Lee's Love oder Buffalo Springfield.

Glücklicherweise aber ist der Trip an die amerikanische Westküste ein Returnticket, so dass man nicht im Hippie-Kitsch hängen bleibt. Kaum glaubt man sich in Kalifornien angekommen, holt einen Hank Marvin's Gitarre zurück in das gute, alte England mit seinem grauen Himmel. Doch was sich jetzt nach Retro anhört, ist erstaunlich aktuell. Auch wenn die musikalischen Zeichen ihre Lesbarkeit erhalten, so zweifelt man kaum an der Zeitgenossenschaft. Dem Album fehlt die Patina, was logische Konsequenz der Aktualisierung ist. Vielleicht ist sie gar etwas zu sauber produziert. Es ist aber, so viel steht fest, ein gelungener Pop-Longplayer geworden, der beweist: Leerstellen können sich auch wieder füllen.

Die englische New Wave-Band The Monochrome Set wurden 1978 vom Gitarristen Lester Square und dem Sänger Bid gegründet. Die Kultband wurde mit Hits wie "He's Frank" oder "Eine Symphonie des Grauens" bekannt. Mit "Spaces Everywhere" erscheint ihr zwölftes Studioalbum, mit dem sie derzeit auf Tour sind.

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Geschrieben von

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Diego Castro, (*1972) ist bildender Künstler, freier Kritiker und Sänger der Kreuzberger Garage-Punk-Band Black Heino.

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