Maskenmann ist King

Popmusik Hinter der Maske des Stars. Zum Todestag von Orion am 12. Dezember.

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Orion. The living Superstar of Song. Der Künstler gefangen im Körper des Stars. Geknechtet von den Fans, den Leib in goldene Ketten gelegt. Nur der Tod kann ihn befreien. Das Leben nach dem Tod wird die Rettung sein. Insbesondere, wenn dieses Jenseits im Diesseits liegt. Der gleichnamige fiktive Superstar aus dem seinerzeit noch unveröffentlichtem Buch von Gail Brewer-Giorgio, einer Hausfrau aus Georgia, stand Pate für die Erschaffung des untoten Superstars, der seinen Tod nur inszenierte, um endlich frei zu sein. Der Tod nur eine Fiktion? Der Superstar nur eine Chimäre? Das Leben ewig, der Tod eine Erfindung? Wir schreiben den 16. August 1977. Elvis ist tot. Amerika steht unter Schock. Die Fans sind erschüttert, Jimmy Carter findet bewegende Worte. Es war das Jahrzehnt, in dem der amerikanische Traum zerbrach: Kent State, Watergate, Energiekrise, Vietnamkrieg verloren. Dann starb auch noch der King of Rock'n'Roll. Die amerikanische Ikone starb auf dem Donnerbalken, ausgerechnet während er das Buch „The scientific search for the face of Jesus“ las. Alles Zufall? Die Gerüchteküche brodelte. Kein Wunder. Als Presley starb, musste man sich eingestehen, dass man nur wenig über das Leben des Stars wusste, der Interviews wie das Weihwasser scheute. War er drogenabhängig, schwul, lebensmüde - wurde er gar ermordet? Verschwörungstheorien schossen wie magische Kugeln durch den medialen Raum. Alle Indizien deuteten nur auf eines: Elvis lebt! Bereits vor dem schon bald nur noch angeblichen Herztod Presleys waren Bänder mit unveröffentlichtem Material erschienen. Ganz nebenbei veröffentlichte Sun Records eine Platte von Jerry Lee Lewis & „friends“. Gab es unveröffentlichte Aufnahmen von Lewis mit Elvis? Sensation oder Fake? Das fragte sich auch Rechteinhaber RCA, klagte und verlor. Doch kein Elvis. Doch der Spuk war damit nicht vorbei. Bald schon kam noch mehr Material in Umlauf. Obwohl der King offiziell für tot erklärt wurde. Das war der endgültige Beweis: Elvis musste seinen Tod inszeniert haben. Um wieder normal zu leben. Free at last. Schon tauchte der King wieder in der Öffentlichkeit auf. Unter dem Pseudonym „Orion“ stand ein Mann auf der Bühne, dessen Stimme klang wie Elvis, seine Haartolle, sein leichtes Übergewicht, alles deutete darauf hin, dass Elvis Aaron Presley zurück war. Nur sein Gesicht verbarg er hinter einer glitzernden Maske. War das wirklich der Mann aus Tupelo, der sich aus dem Korsett des Superstars befreit hatte, um endlich künstlerisch frei zu sein? Doch, Moment mal! Sah die künstlerische Freiheit so aus, dass der Ex-King einfach Standardmaterial veröffentlichte, das er bisher nicht gesungen hatte, mit einer technisch schlechteren Band als bisher tourte und eine Maske trug? Und wenn dieser Mann wirklich Elvis war, aber unerkannt bleiben wollte: Warum trat er dann mit Elvis-Repertoire und im Glitzeranzug auf? Wer sich davon überzeugen ließ, wollte um jeden Preis an die Legende glauben. Jimmy Ellis hieß der Mann hinter der Maske, dessen Stimme wahrlich dem Organ des King nahe kam wie keine andere. Entdeckt hatte ihn Shelby Singleton, der Boss der von RCA abgehängten Sun Studios. Dieser war es auch, der dem nur stimmlichen Doppelgänger die Maske aufsetzte und ihn „Orion“ taufte. Der Great Rock'n'Roll Swindle kam also aus der Wiege des Rock darselbst. Die erste LP des maskierten Barden erschien unter dem Namen „Reborn“. Das Cover zeigte den maskierten Doppelgänger, der auf einen ebenfalls maskierten Elvis-Lookalike im Sarg blickte. Die Songs auf dem Album könnten vom King stammen. So gut die Täuschung. 50.000.000 Elvis Fans can't be wrong. Kenner erkannten die trickreiche Leichenfledderei. Nicht wenige glaubten aber bereitwillig an die Version der Wiederauferstehung. Vier Alben und zahlreiche Konzerte später hatte der Mann mit der eisernen Maske und dem interstellaren Pseudonym genug. 1981 riss er sich bei einem Auftritt die Maske vom Gesicht und tötete damit seine Bühnen-Persona, um endlich wieder er selbst zu sein. Die ganze Geschichte nochmal, mit umgedrehten Vorzeichen. Als Jimmy Ellis veröffentlichte er noch sechs wenig erfolgreiche Alben. Dann wurde er wieder zu Orion und tingelte als Elvis Imitator um die Welt, zog sich aber bald aus dem Musikgeschäft zurück auf die Farm seiner Eltern in Alabama, wo er eine Gaststätte eröffnete. Am 12. Dezember 1989 wurde Orion bei einem brutalem Überfall erschossen. Inszenierung unwahrscheinlich.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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Diego Castro, (*1972) ist bildender Künstler, freier Kritiker und Sänger der Kreuzberger Garage-Punk-Band Black Heino.

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