Meine Tastatur, meine Diktatur!

Popmusik Drei Franzosen ziehen nach Berlin um die Lieblingsmusik ihrer Kindheit neu zu beleben und zu beweisen, dass Popper keine Popperschweine sein müssen.

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Berlin. Drei Franzosen haben sich hinter analogen Synthesizern und Keyboards aus den Achtzigerjahren verschanzt. Sie tragen Polizeimützen. Der Sequenzer pumpt. Das Pionierjahrzehnt des elektronischen Pop ist schon wieder auferstanden. Oktavierte Grundtöne im schnellen Wechsel heizen zum Tanz der Elektronen an. Das funktioniert immer noch. Warum auch nicht? Weder die depressiven Sphärenklänge des Cold Wave, noch das elektronische Gefrickel und Gewaber deutscher Klangingenieure standen Pate für den Sound von Rancune. Die frechen Franzosen machen Pop. Human League, Soft Cell oder die frühen Depeche Mode sind die unvermeidlichen Referenzen. Pop zum Tanzen. Pop, der gute Laune macht. Chorgesang en Français, Anglais oder Allemand. Doch hinter den charmanten Koketterien mit dem stampfenden Diskotheken-Beat der Eighties mit Polo-Hemd-Alarm steckt mehr als nur Nostalgie.

Welchen Sinn hat die x-te Wiederbelebung des bereits da gewesenen? Schon wieder Retro? Wiederbelebung, soviel Vorweg, meint in diesem Fall wortwörtlich das Auffüllen des entleerten Behälters der Moderne mit neuem Leben. Nicht das Nachäffen vergangener Posen. Die zweite Moderne handelt von der Radikalisierung moderner Prinzipien. Individualismus, Rationalisierung, Autonomie; die generischen Freiheiten der Moderne haben sich in der Postmoderne in ihr Gegenteil verkehrt: Soziale Desintegration, Arbeitslosigkeit, Prekarisierung sind die freien Radikale des Hyperkapitalismus, die den jungen Menschen von heute ganz schön alt aussehen lassen.

So singen Rancune ihr Lied "Freiheit Mein Arsch" im Zweifel über das neoliberale Narrativ von Autonomie und Chancen. Es ist ein Lied über die Anomien des Arbeitslebens in der McJob-Stadt Berlin; der Rechner wird zum Richter, das Netzwerk zur Fessel, die Tastatur zum Medium der selbst auferlegten Diktatur. Der Song des modernen Sklaven, gefangen im Imperativ der Selbstverwirklichung. Mit solchen Themen und artverwandten Großstadtszenarios thematisieren Rancune (der Name bedeutet auf Deutsch "Groll") ein vielleicht typisches Lebensgefühl jener zugezogenen jungen Europäer, die Berlin mit Versprechen von Selbstrealisierung und günstigem Lebensraum einst magnetisierte und die nun ernüchtert auf diese Stadt schauen. "Am Ostbahnhof", so ein anderes Stück der Drei, wo die Maria (gemeint ist der legendäre Club) gesunken sei und der Kaufhof immer leer, lägen die Träume begraben unter den Gleisen zur Jannowitzbrücke. In gebrochenem Deutsch offenbart sich ein Blick auf Berlin, der nicht mehr der von Außenstehenden ist. Rancune gehören zu Berlin.

Dennoch sind die zornigen, gerade noch jungen Männer von Rancune keine Miesepeter. Die überwiegend ernstzunehmenden Titel des Trios sind in tanzbare Beats verpackt, die positive Energie ausstrahlen. Darin liegt die Stärke der Songs. Die Strategie erinnert an Heaven 17, an deren kritischen Pop beispielsweise Rancunes Stück "Wonderful Thing" anklingt.

Sind Rancune Popper? Sie selbst scheinen in dieser Frage in Stücken wie "Sex & Drugs & Badminton" mit nochalanter Selbstironie die Kurve zu kriegen. War der Popper der Achtzigerjahre ein hemmungsloser Hedonist, so überheblich wie weltfremd, so sind Rancune im besten Fall Popper 2.0. Sie haben die Oberflächlichkeit des Pop mit gezielten Hammerschlägen eingebeult. Ihr analoger Sound widersetzt sich charmant den gegenwärtigen Produktionsstandards. Eine Möglichkeit für einen zweiten oder dritten Frühling des Synthie-Pop.

Rancune sind eine vielversprechende französisch-berlinerische Synthpop-Band. Unlängst erschien mit "Freiheit Mein Arsch" ihre erste Vinyl-Single beim französischen Punk-Label Juvenile Delinquent Records. Live zu sehen sind sie am 13. Oktober im Loophole, in der Neuköllner Boddinstraße.

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Diego Castro, (*1972) ist bildender Künstler, freier Kritiker und Sänger der Kreuzberger Garage-Punk-Band Black Heino.

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