Relationale Ästhetik und Human Relations

Frankreich Nicolas Bourriaud wurde als Direktor der nationalen Kunstakademie Frankreichs in Paris fristlos entlassen. Zeit für einen Rückblick.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Rote Karte für Nicolas Bourriaud, Direktor der „Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts“. Nach einem 45 Minuten dauernden Gespräch, entließ die derzeitige französische Kulturministerin Fleur Pellerin den glamourösen Leiter der Pariser Kunstakademie fristlos. Sie verfolge „ein anderes pädagogisches Konzept“, wie es knapp hieß. Seit dem 2.Juli ist die Stelle vakant.

Als Autor waghalsiger kultureller Theorien machte Bourriaud international von sich reden. Als Ausstellungsmacher stieg er kometenhaft auf, wurde Kurator an der Londoner Tate. Trotz schwacher theoretischer Fundamente, gilt er vielen als unanfechtbarer Apologet der „Relationalen Ästhetik“. Dieser bemüht philosophische Terminus bezeichnet einen viel zitierten Versuch, mittels Agentursprache und Internet-Jargon soziale Handlungen in der Kunst neu zu definieren. Bereits als Gründungsmitglied des Pariser Ausstellungshauses „Palais de Tokyo“ bewies der ambitionierte Kurator seine Nähe zu Theorien aus der Kreativindustrie. So vermengte er Kunst und Design, Kuratoren- und Autorenrolle, Institution und Partyzone. Diese Entgrenzung war auch Grundlage seiner Politik als Hochschuldirektor. Die Kunsthochschule bilde 10% "Kosmonauten" und 90% "gute Linienpiloten" aus, wie er 2012 in einem Interview bei Amtsantritt sagte. Wenige würden demnach zu Künstlern. Die Mehrheit werde anderweitig in der Kreativbranche arbeiten; die Schule sollte dabei als Agentur für ihre Studenten wirken.

Ob das Wirken Bourriauds an der renommierten Ausbildungsstätte immer dem Wohle der Studierenden entsprach, wurde kontrovers diskutiert. So verärgerte er seine Studenten, als er 2013 für eine Woche vierzehn Ateliers der Schule schließen ließ, um eine Gala-Veranstaltung für den Amerikanischen Modeschöpfer Ralph Lauren auszurichten. Dafür strich er eine Spende von 1,5 Millionen Euro ein, die zur Modernisierung der Videotechnik im Audimax dienen sollten, wie „Le Monde“ berichtete. Die Studenten hingegen beklagten, man benutze den Saal nur sehr selten und profitiere davon nicht. Doch so sehr diese privaten Jet-Set Veranstaltungen in den Räumlichkeiten oder die allzu große Nähe des Direktors zur Szene der etablierten Galerien moniert wurden, so überraschend die Unterstützung von Seiten von Künstlern, Kollegen und selbst Studenten. Von Nepotismus und „Bananenrepublik“ war indes bezüglich des Rausschmiss die Rede. Aufgrund der Kurzfristigkeit der folgenden Ausschreibung, warfen Pressestimmen Fleur Pellerin vor, sie wolle einen Wunschkandidaten aus ihrem Umfeld platzieren. Vielleicht vorschnell, denn das Berufungsverfahren ist bis dato noch offen.

Die Kündigung Bourriauds war ein Schlag in die Magengrube einer längst zum Establishment mutierten Ex-Avantgarde. Doch dürfte dies nicht jeden traurig stimmen. Namhafte Kritiker machten Bourriaud für eine Schwächung der künstlerischen Position verantwortlich. Bereits in den neunziger Jahren warnte Hal Foster mit Bezug auf die „Relationale Ästhetik“ vor einer Überschattung des Werks durch die Institution. Die Ausstellung werde zum Spektakel, die Institution heimse das kulturelle Kapital ein und der Kurator werde auf Kosten des Künstlers zum Star. Der Philosoph Jacques Rancière geht noch einen Schritt weiter. Er streitet die „beziehungsstiftende Wirkung“ solcher Inszenierungen ab und verweist auf die fehlende Kongruenz zwischen jener Allgemeingültigkeit beanspruchenden Behauptung des Sozialen in der Kunst und dem dafür zuständigen Kunstpublikum. Der Entfaltungsprozess eines Kunstwerks würde vorweg genommen, soziales Handeln nur simuliert. Vielleicht zurecht zweifelt der Philosoph an der Fähigkeit der Kunst, dergestalt soziale Anomien beheben zu können, wie es mit den relationalen Werken oft beansprucht wurde. Die Ergebnisse bezeichnet Rancière dann schon mal als „banal“. Eine abschließende Bewertung dieser Bourriaud'schen Episode in der Geschichte der Kunst wird abzuwarten sein. Insbesondere die neue Generation der Kunststudierenden lässt hoffen. Sie wird auf die längst zum Akademisimus gewordenen Strategien reagieren. Um Bourriauds berufliche Zukunft wird man sich wohl keine Sorgen machen müssen. Er hat mindestens so viele Freunde, wie die Kulturministerin.

Nicolas Bourriaud, Jahrgang 1965, ist Kurator, Kunsthistoriker und Essayist. Zuletzt war er Direktor der "École Nationale Supérieure des Beaux-Arts" in Paris.

Fleur Perrin, geboren 1973 in Seoul, ist Mitglied der Parti Socialiste und ist seit 2014 die amtierende Ministerin für Kultur und Kommunikation im Kabinett Hollande.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Give me convenience

Diego Castro, (*1972) ist bildender Künstler, freier Kritiker und Sänger der Kreuzberger Garage-Punk-Band Black Heino.

Give me convenience

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden