Wer hat Angst vor der „Parsiflage“?

Kunst Skandalträchtig brach die Meldung über den Rausschmiss von Jonathan Meese bei den Bayreuther Festspielen herein. Dabei war der Künstler keine schlechte Wahl

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Jonathan Meese
Jonathan Meese

Foto: Manfred Siebinger/AFP/Getty Images

Skandalträchtig brach die Meldung über den Rausschmiss von Jonathan Meese bei den Bayreuther Festspielen herein. Doch wurde sie sogleich abgefangen durch den Einwand, die Pläne des 2012 berufenen Künstlers hätten den finanziellen Rahmen gesprengt. Somit war nicht nur die Schuld einer künstlerischen Rechtfertigung von Seiten der Festspiele vom Tisch. Die Kündigung wurde so auch juristisch „wasserdicht“. Bereits bei Vorlage für das Bühnenbild wurde angeführt, die Umsetzung bedürfe einer inakzeptablen, erheblichen Überschreitung des Budgets. Dies behauptete Dieter Sense, kaufmännischer Geschäftsführer der Bayreuther Festspiele, allerdings ohne je selbst eine Kostenaufstellung vorgelegt zu haben, wie Meese darstellt. Auch Nachbesserungen hierzu, sowie die von Meese angebotene vertragliche Verpflichtung, allfällige Mehrkosten selbst zu decken, brachten keine Einigung. Meese hält die Kostengründe für vorgeschobenen. Uwe Eric Laufenberg soll nun die Regie übernehmen. Deutet dies auf schon länger laufende, heimliche Verhandlungen hin?

Meese schäumte jedenfalls vor Wut. Derweil darf darüber nachgedacht werden, ob solch Entscheidung gegen die künstlerische Leitung nicht ein Indiz für eine Einflussnahme der Mäzenatenvereinigung ist? Georg von Waldenfels (CSU), Vorsitzender jener Gesellschaft der Freunde von Bayreuth erklärte: "Unsere Mitglieder befassen sich ja zum Teil ein Leben lang mit Wagner, sind belesen und bilden ein . Viele stellten sich die Frage: Ist Meese für Bayreuth der richtige?"

Dem 2012 berufenen Meese wird somit die zweifelhafte Ehre zu Teil, sich in eine Reihe von geschassten Regisseuren einreihen zu dürfen. Offiziell will der konservative Förderkreis keinen künstlerischen Einfluss nehmen. Die Entscheidung gegen Meese richtet sich jedoch gegen die ursprüngliche künstlerische Entscheidung Katharina Wagners und Eva Wagner-Pasquiers, dem skandalumwitterten Künstler die Regie des Parsifal zu übertragen.

Doch was bedeutet der Rauswurf Meeses in künstlerischer Hinsicht? Wer hat da Angst vor Meese und warum? Möglicherweise könne die Angst vor einer hakenbekreuzten „Parsiflage“ im Raum gestanden haben, vor dem jene Wagnerianer, die Meese verächtlich in einem seiner Antrittsinterviews als „Niederknier“ bezeichnete, eben nicht nieder zu knien gedachten. Von Meese, durch seinen exzessiven Gebrauch von NS-Symbolik von der Presse gerne zur Skandalnudel des deutschen Kunstbetriebs stilisiert, wird aber anscheinend weniger befürchtet, er könne durch den unvermeidlichen Hitlergruß, der im letzten Jahr Gegenstand von Gerichtsprozessen um Kunstfreiheit war, den Festspielen schaden. Diese Art von Auseinandersetzung hat es vormals gegeben. Man erführe nichts Neues, wenn man die Verstrickung des Komponisten mit dem Antisemitismus und seinen Einfluss auf die Nazis einbrächte. Im Gegenteil, kann man wohl davon ausgehen, dass eine kritische Auseinandersetzung gerne gesehen würde, brächte diese doch Bayreuth stets ein Flair zeitgemäßer Selbstkritik. An einem ewig gestrigem Image besteht, wie auch schon frühere Berufungen zeigten, wohl kein unbedingtes Interesse. Es wird eher an der zu erwartenden Trash-Ästhetik und einem zu befürchtenden, allzu unkonventionellem Umgang mit dem Wagner'schen Werk gelegen haben, der von Waldenfels dazu veranlasste, auf die „Belesenheit“ seiner lebenslangen Fach-Wagnerianer zu pochen. Inhaltliche Provokationen dürften demnach weniger problematisch wiegen als die Verletzung des bürgerlichen Bildungskanons.

Meese war indes keine schlechte Wahl. Seit Jahren setzt er sich, gänzlich unzeitgemäß, mit Wagner und der Idee des Gesamtkunstwerks auseinander. Meese fragt immer wieder nach der Rolle der Kunst und des Künstlers in der Gesellschaft vor dem Hintergrund einer Diktatur der Selbstverwirklichung. In seinen kontroversen Auftritten greift er nicht nur jegliche Formen von Autorität an. Er wird auch nicht müde, die spätkapitalistische Demokratie als bürgerliches Normativum in einer Weise anzugreifen, der sich mit Jacques Rancières Idee vom „Hass der Demokratie“ vielleicht am besten beikommen lässt: Wo selbsternannte Demokraten zum Gralshütern werden, sind ihre Verteidiger die schlechteren Demokraten, erklären sie jene, die das anrchische Element in ihr kitzeln wollen, zu ihren Feinden.

Allem Anspruch zum Trotz exemplifiziert Meese stets die dissoziale Rolle des Künstlers auch dadurch, dass es seiner Kunst an jener Ernsthaftigkeit mangelt, die andere Künstler in das Korsett bürgerlicher Kultur einzufügen vermag. Wird Meese als „Enfant terrible“ bezeichnet, so trifft das auf den älteren Knaben nicht ganz zu. Vielleicht jedoch in Bezug auf seine immer wieder eingenommene Rolle als außer Kontrolle geratenes Spielkind, das mit ständigen Übertretungen, die Grenzen der eigenen Handlungsfreiheit auslotet. Dort finden auf der Bühne Blödeleien statt. Es folgen politische Postulate, bei denen man sich stets fragen muss, inwieweit diese Ernst gemeint sind. Hinter dem Affront lauert der Schalk, hinter der Albernheit die Kritik.

Man muss Meese nicht mögen und wenn sich jemand über Nazi-Symbole aufregt, ist das gut so. Doch die Anfeindungen gegen Meese richten sich nicht zuletzt gegen die billige Materialität und seine Ästhetik des Pubertären. Doch unterscheidet er sich darin so sehr von weniger disputierten künstlerischen Positionen der 1980er wie der eines Martin Kippenberger oder Albert Oehlen? Provokation und qualitativer Affront waren auch hier die Stilmittel, an dem sich damals die Geister schieden. Dass Meese auch heute diese Kontroversität gelingt, ist sein Verdienst. Seine, wenn auch spielerische, Auseinandersetzung mit den normalisierenden Standards von Selbstverwirklichung und dem abscheulichen neoliberalen Fantasma einer kreativen Gesellschaft, sein Aufbäumen gegen die ideologische Vereinnahmung der Kunst, in welcher der Mensch sich in Demut vor der versachlichten Macht der Kunst üben solle und der Künstler wie eine Ameise der Kunst zu dienen habe, sind Teil einer künstlerischen Haltung, die deshalb interessant ist, weil sie keinen Konsens erzeugen kann.

Wenn, wie bei seiner Mannheimer Skandal-Aufführung geschehen, der Publikumsbeschimpfung die Beschimpfung durch das Publikum folgt, wenn Meese zu Boney M.'s „Daddy Cool“ pausenlos über die Coolheit von Hitler und die Uncoolheit der Demokratie singt und sich dabei Deodorant unter die Hitler-Achsel sprüht, gehört dann das Debord'sche „Geschrei für De Sade“ nicht zur Aufführung dazu? Ist seine Spaltung des Publikums in der Konsensgesellschaft nicht der von ihm referenzierte „Dienst an der Kunst“?

Es ist eben dieser Meese'sche Ansatz zur Entkanonisierung einer „heiligen“ Kunst, welche einen interessanten Spannungsbogen zum Parsifal und Wagners Versuch, das Wesen der Religiösität zu ergründen, hätte eröffnen können. Die Religion kann es in diesem Kontext jedoch kaum sein. Eher die Scheinreligionen unserer westlichen Wertegesellschaft, bei deren Künstlichkeit es, frei nach Wagner, „der Kunst vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche sie im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfasst, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen lässt.“ Eine hehre Aufgabe wäre das für die Ameise der Kunst gewesen. An der Kunst scheitern konnte sie nicht. Nur an Bayreuth.

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Diego Castro, (*1972) ist bildender Künstler, freier Kritiker und Sänger der Kreuzberger Garage-Punk-Band Black Heino.

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