Falsche Freunde

Gastkommentar Sind wir bald alle Ordnungspolitiker?

Die Welt steht Kopf: Die Mutterländer des Kapitalismus verstaatlichen ihre Banken. Scheichs und asiatische Staatskapitalisten kaufen die renommiertesten Adressen der Wall Street. Russische Oligarchen retten Island. Und ein selbsternannter Erbe Napoleons greift nach der nationalen Industrie. Auch hierzulande bringt die Finanzmarktkrise versteinerte Verhältnisse zum Tanzen. Wenn die Frankfurter und Münchner Glaspaläste wanken, macht der Staat Karriere. Die Politik spielt nach 35 Jahren wieder mit keynesianischem Teufelszeug. Und selbst die Eigentumsfrage ist kein Tabu mehr.

Auf den ersten Blick gibt es für die aktuelle Krise keine ideologischen Blaupausen mehr. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass in unterschiedliche Richtungen gerudert wird. Nach den ersten Schockwellen tobt der Streit um die richtige Interpretation der Krise.

Der herrschenden Meinung folgend, wurzelt der GAU von Wall Street Co in einen Mix aus Staats- und Marktversagen: Versagt haben US-Währungswächter, die durch Niedrigzinsen die Kreditblase aufblähten. Versagt haben Politiker, die falsche Anreize für Bankmanager schufen und in den Aufsichtsräten der Staatsbanken pennten. Versagt haben Frühwarnsysteme - Aufsichtsbehörden und Rating-Agenturen -, da sie die Risiken nicht rechtzeitig erkannten. Die politischen Schlussfolgerungen liegen auf der Hand: Wir müssen jetzt wieder zu den ordnungspolitischen Prinzipien der "Sozialen Marktwirtschaft" zurückzukehren. Konkret bedeutet dies eine stärkere Eigenkapitalunterlegung für risikobehaftete Kredite, eine Neuordnung der Frühwarnsysteme sowie eine Orientierung der US-amerikanischen Geldpolitik an den Stabilitätsfanatikern des Euro-Towers.

Soweit, so schlecht. Zweifelsohne erklärt der mangelhafte Ordnungsrahmen einen Teil der aktuellen Krise. Er beantwortet jedoch nicht die Frage, woher das 200 Billionen Dollar schwere Finanzvermögen überhaupt kommt. Der Zufluss in die Spekulation speist sich zu großen Teilen aus der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und globalen Ungleichgewichten. Die Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Kapitalseite hat die Gewinn- und Vermögenseinkommen international explodieren lassen, die darüber hinaus steuerlich entlastet wurden. Und die Privatisierung sozialer Sicherungssysteme gab den Finanzmärkten zusätzlich Futter. Soviel zur Verteilungsfrage. Die globalen Ungleichgewichte waren und sind dadurch gekennzeichnet, dass die USA die internationale Konjunkturlokomotive spielten, während deutsche, japanische und chinesische Exportkünstler auf dem Trittbrett mitfuhren. Da jedoch in den USA die Realeinkommen der unteren und mittleren Einkommensschichten sanken, war der Massenkonsum auf Pump finanziert. Die japanischen und chinesischen Exportüberschüsse in Dollar sorgten für den stetigen Kreditfluss an die US-Verbraucher und nährten somit die Blase. Diese beiden Ursachen der Finanzkrise sind durch eine Renaissance der Ordnungspolitik nicht zu beseitigen. Die globalen Ungleichgewichte lösen sich nur dann auf, wenn die Trittbrettfahrer mittels höherer Löhne und öffentlicher Investitionen ihre Binnenmärkte entwickeln. Die Verteilungsfrage kann nur durch eine offensive Tarifpolitik und eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik beantwortet werden. Beides hat mit klassischer Ordnungspolitik so gut wie nichts zu tun. Beides erfordert starke Gewerkschaften und einen handlungsfähigen Staat. Letzter soll aber nach dem Willen konservativ-liberaler Kreise jetzt durch allgemeine Steuersenkungen noch weiter ausgehöhlt werden. Auch deswegen ist es in Krisenzeiten wichtig, sich vor falschen Freunden zu schützen.

Dierk Hirschel ist DGB-Chefökonom

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