Viel Wind über´m platten Land

Schleswig-Holstein vor der Wahl Gegen einen schwachen CDU-Kandidaten und mit einer populären Energiepolitik wird sich Heide Simonis wohl behaupten

Der schäbige Automat nimmt kein Geld an. Eine Straßenlaterne wirft schales Neonlicht ins nasskalte Dunkel. Zwei Fahrgäste verlieren sich am Bahnsteig. Sie warten auf den nächsten Zug, der hier, am Bahnhof der nordfriesischen Kleinstadt Bredstedt, um kurz nach acht Uhr abends gen Elmshorn abfährt. Winterliche Öde, die im nördlichsten Bundesland an vielen Orten zu erleben ist: ob nun in Heide, in Schleswig oder im holsteinischen Neustadt. "Hier ist nichts mehr los", hört man die Leute zwischen Ost- und Nordsee klagen. Schuld daran ist wohl in erster Linie die wirtschaftliche Situation in Schleswig-Holstein. Das Land ist mit einer Arbeitslosenquote von aktuell 12,7 Prozent traurige Spitze im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern.

"Schuld daran", so wettert Peter Harry Carstensen, "ist eindeutig die rot-grüne Landesregierung." Der christdemokratische Oppositionsführer und Herausforderer der amtierenden Ministerpräsidentin Heide Simonis will für die CDU im traditionell eher konservativen Bundesland endlich die Macht im Kieler Landtag zurückgewinnen. Denn seit dem unrühmlichen Abgang des früheren Ministerpräsidenten Uwe Barschel, der 1987 unter mysteriösen Umständen tot in einem Genfer Luxushotel aufgefunden wurde, wird das Land sozialdemokratisch oder rotgrün regiert. Doch Kandidat Carstensen hat während des Wahlkampfes mehr mit Pannen und Peinlichkeiten von sich reden gemacht als mit Argumenten überzeugt. Zudem ließ die Bundespartei mit ihren Personalaffären dem hemdsärmelig-beleibten Mann von der Nordseeinsel Nordstrand im Wahlkampf nicht viel moralische Unterstützung zuteil werden.

Gerade bei ökologischen Themen, die in Schleswig-Holstein sensibel registriert werden, hat die CDU keine klare Linie. In Nordrhein-Westfalen, wo in drei Monaten die nächsten Landtagswahlen anstehen, macht derzeit der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Rüttgers allenthalben die Windkraft als Subventionsgrab öffentlich mies. Was den Menschen in NRW ihre Kohle und die Atomenergie, das sind den Schleswig-Holsteinern ihre Windräder. Die Ausfälle von Rüttgers nimmt man daher auch in den Kreisen Dithmarschen, Nordfriesland, Steinburg oder auf der Ostseeinsel Fehmarn deutlich wahr - allesamt Regionen, in denen mit und durch die Windkraft viel verdient wird. Das weiß Carstensen und übt sich daher im Windkraftland Schleswig-Holstein im politischen Eiertanz. Wind ja, aber Atomkraft auf jeden Fall auch. "Klimaschutz ist das wichtigste Ziel unserer Energiepolitik. Wer ihn ernst nimmt, kommt an einer längeren Nutzung der deutschen Kernkraftwerke nicht vorbei", diktierte sein Parteikollege Trutz Graf Kerssenbrock den Redakteuren der Lübecker Nachrichten erst vor kurzem in die Blöcke.

Die energiepolitischen Widersprüche innerhalb der CDU quittieren die schleswig-holsteinischen Bürger, die um die positiven Effekte der Windkraft, aber auch der Biogasbranche wissen, überwiegend mit Desinteresse am konservativen Spitzenkandidaten. Carstensen, langjähriger Vorsitzender des Agrarausschusses des Deutschen Bundestages, muss sich laut einer Forsa-Umfrage im Direktvergleich zu Simonis mit mageren 24 Prozent der Stimmen begnügen. So wird sich der CDU-Mann, der noch mit aufgeregten Kampagnen gegen die Einheitsschule punkten wollte, wohl damit abfinden müssen, dass die seit zwölf Jahren amtierende Landesmutter ihren Job auch nach dem 20. Februar fortsetzen kann.

Trotz hoher Arbeitslosigkeit, leerer Kassen und unzufriedener Bauern ist die Ministerpräsidentin nach wie vor beliebt. Entsprechend reduziert sich die Wahlkampftaktik der SPD auf ein einziges Wort: "Heide". Der ersten und nach wie vor einzigen Frau an der Spitze eines Bundeslandes wird das wirtschafts- und sozialpolitische Desaster der Bundesregierung offenbar nicht angelastet. Immer wieder trat sie für eine Vermögensteuer ein und wurde dafür regelmäßig aus Berlin abgemahnt. Ihr Vorstoß zur Erhöhung der Erbschaftssteuer vor wenigen Monaten hat dieses Image noch bekräftigt.

Außerdem kann Simonis auf einen gewaltigen Ausbau der Windkraft zwischen Nord- und Ostsee verwiesen. Die Mühlen decken mit über 2.000 Megawatt mittlerweile ein Drittel des schleswig-holsteinischen Strombedarfs, und die Kapazitäten sollen weiter ausgebaut werden. Die Rede ist von 50 Prozent Strom aus Windkraft. Diese Zielsetzung wird jedoch ohne Offshore-Windparks, also Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee, nicht zu erreichen sein.

Ein spektakuläres Beispiel ist das bereits genehmigte Projekt der Butendiek GmbH Co KG in Husum. Das Unternehmen mit über 8.400 Kommanditisten, die überwiegend aus der Region kommen, will in etwa 30 Kilometer Abstand zur Sylter Westküste einen Windpark mit 240 Megawatt bauen. SPD und Grüne unterstützen die Kombination von dezentraler Energieversorgung und regionaler Wertschöpfung. Viele Prominente dagegen, die sich auf Sylt niedergelassen haben oder dort ihr Wochenende verbringen, wollen gegen das Projekt klagen, obwohl die Windräder nur bei schönstem Wetter und nur an wenigen Tagen im Jahr vom Sylter Strand aus zu sehen wären. "Wir wollen Butendiek, aber wir leben in einem Rechtsstaat, und da müssen wir den Rechtsweg einhalten", zeigt sich der grüne Umweltminister Klaus Müller etwas ohnmächtig gegenüber der Haltung mancher Sylter, die "das Recht auf freie Sicht" einfordern.

Der Minister, der in Schleswig-Holstein auch für die Landwirtschaft zuständig ist, hat nicht nur auf Sylt, sondern auch im ländlichen Raum keinen guten Ruf. Vor allem die Ausweisung der Halbinsel Eiderstedt zu einer Naturschutzfläche im Rahmen der europäischen "Flora-Fauna-Habitat Gebietsmeldung" (FFH) stößt auf erbitterte Kritik. "Bauernmörder Müller" beschimpfen ihn die Landwirte, weil die FFH-Meldung ihre Bewirtschaftungsmethoden einengt. Dabei hat Müller nur Vorgaben aus Brüssel in Landesrecht umgesetzt. Trotzdem ist er der Buhmann, dem auf Protest-Veranstaltungen faule Eier entgegenfliegen.

Auf dem Hof von Hubert Hümme wird er dagegen herzlich willkommen geheißen. Der Landwirt hofft, dass der grüne Minister Farbe bekennt und die Ökologisierung der Landwirtschaft nicht nur auf politischen Sonntagsreden einfordert, sondern auch praktisch vor Ort unterstützt. Denn Bauer Hümme aus dem beschaulichen Örtchen Behlendorf im Kreis Herzogtum Lauenburg, in dem auch Literaturnobelpreisträger Günter Grass wohnt, ist auf dem Sprung vom Land- zum Energiewirt. Er will ein Biomassekraftwerk in der Nähe seines Hofes errichten. Und hat damit, ohne es zu wollen, den Dorffrieden nachhaltig gestört, weil die Bewohner Lärmbelastungen befürchten. Obwohl ihn Minister Müller schon einmal besucht habe, wünscht er sich tatkräftigere Unterstützung seitens der Landespolitik.

Ähnlich wie Simonis und Müller nutzt auch SPD-Wirtschaftsminister Bernd Rohwer die Energiepolitik für den Wahlkampf. Bei der Einweihung der weltgrößten Windkraftanlage in Brunsbüttel - vis à vis zum Kernkraftwerk - nutzt er die Gunst der Stunde: Mit Hilfe der Landesregierung seien im Bereich der erneuerbaren Energien mittlerweile fast 6.000 Menschen nördlich der Elbe in Lohn und Brot. Ärgerlich für Rohwer nur, dass kurz vor der Wahl das Gerücht gestreut wurde, der Hersteller der Anlage, die Repower Systems AG aus Hamburg, habe für die Entwicklung widerrechtlich Subventionen erschlichen. "Subventionsbetrug?" orakelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schadenfroh. Doch entpuppte sich das lancierte Gerücht inzwischen als plumpes Wahlkampf-Manöver. Fritz Vahrenholt, ehemaliger Umweltsenator in Hamburg und heute Chef von Repower, ist sicher, dass sich die Schleswig-Holsteiner nicht für dumm verkaufen lassen. Mit erneuerbaren Energien Wahlen gewinnen - das wäre ja auch kein schlechtes Zeichen.


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