Das deutsche Kino hat es nicht leicht in Amerika!" Dieser Satz, mit dem hier die Präsentationen neuer deutscher Filme landauf-landab eingeleitet werden, gewinnt mit jedem Jahr an Bedeutung, das die Gegenwart von der Zeit Faßbinders, Herzogs und Wenders' trennt, deren Namen mittlerweile für die Kinogänger heute ähnlich entrückt klingen wie die von Lang, Murnau oder Pabst. Um so wertvoller ist vor diesem Hintergrund der alljährliche Versuch des Goethe-Instituts San Francisco, zwischen Sundance-Festival und Berlinale, sozusagen mit dem Mut der Verzweiflung neue deutschsprachige Filme, Berlin and beyond wenigstens für eine Woche in ein großes, erstaunlich gut besuchtes Kino namens Castro zu bringen - in einer Stadt, die an Abwechslungen, zumal an schrägen, wahrlich keinen Mangel hat.
Vor einem Jahr erregte ein Satz, der auf dem obligaten Panel von einem deutschen Filmförderer eher routinemäßig dahingesprochen wurde, mehr Aufsehen als alle gezeigten Filme zusammen: "Von 70 geförderten Filmen kommen nach wie vor 40 nicht ins Kino". Um gar nicht erst Larmoyanz aufkommen zu lassen, ging es in diesem Jahr auf dem Panel handfester zu: gestritten werden sollte um Europe and the Digital Divide. Trotzdem blieb der Schlagabtausch von Absichtserklärungen, Allgemeinplätzen und schließlich auch Missverständnissen nicht aus. Da war auf der einen Seite stadtbekannte Filmemacher aus San Francisco, der noch immer außer sich ist vor lauter Begeisterung darüber, dass er für 2.000 Dollar eine Digitalkamera und für einen weiteren Tausender einen elektronischen Schnittplatz kaufen kann, wodurch er einen filmähnlichen, quasi vollprofessionellen Film fast ohne Geld machen kann, den er ins Internet stellt, um Abend für Abend in seiner email-Box das sogenannte Feedback abzurufen. Und neben ihm saß der ebenso typische, deutsche Debütant, der beneidenswert unerschrocken in heroisch-romantischer Pose verkündet: "Ich bin fürs große Kino (mit Leinwand und Leidenschaften), ich will nicht, dass meine Filme am PC gesehen werden!" Dabei war sein Erstling Tolle Lage allenfalls ein Fernsehformat: Wer geht heute wegen ein paar Späße und Ernsthaftigkeiten auf einem Zeltplatz - meist in Halbnahaufnahmen - schon noch ins Kino!?
Recht haben sie vermutlich beide und wiederum auch nicht. Der eine kann am Ende seinen nächsten Film, selbst wenn dieser digital low budgetiert ist, nicht machen, weil sich von emails keiner was kaufen kann - der andere verkennt die "digitale Lage", die Wirkungsmechanismen von neuen Distributionskanälen, wie sie die neuen Datenträger nun mal mit sich bringen. Schon Ende 1999 hat die Firma Kodak angekündigt, dass es den traditionellen, auf chemischer Emulsion basierenden Film in fünf Jahren nicht mehr geben wird. Kurz danach kam der erste voll digital gedrehte und montierte Film im HD-Format in einem Kino in San José zur Aufführung. Zwar kostete die Projektormiete 4.000 Dollar, und das Ganze machte "ökonomisch gesehen" noch überhaupt keinen Sinn, aber bei der Durchsetzung neuer Technologien war mit Blick auf zukünftige Märkte den Promotern bislang noch kein Einsatz zu hoch; das Internet funktioniert zum größten Teil nach genau demselben Modell der Refinanzierung in spe. Doch schon in diesem Jahr liefen auf dem Sundance-Festival mehr als 20 Digitalproduktionen, während man auf der Berlinale noch immer verstohlen von "Videoreihen" spricht.
Film im Web oder nicht - am Ende geht es um die Vereinbarkeit und Kompatibilität der weltweiten Standards, und da sieht es zwischen Europa und Amerika unvermindert trübe aus. Selbst beim Übergang zum digitalen Video hat man die wahnwitzige Trennung in NTSC hier und PAL dort beibehalten. Natürlich stehen hinter den Standards keine vernunftbegabten Wesen, sondern die Wächter des Marktes, die glauben, raffinierter als Hacker zu sein. Auch der DVD-Zirkus soll weltweit regionalisiert beherrscht werden, dabei werden die dafür erfundenen Codes schon heute beinahe schneller geknackt als verbreitet. Auf längere Sicht aber werden Digitalisierung und Vernetzung, und das lässt hoffen, zu einer weit ungehinderteren Verbreitung von Bildern und Tönen, Ideen und Emotionen führen, zu einem Sieg der Software über die Hardware und einer (siehe Napster) Entweihung des traditionellen Urheberrechts. Nicht die Künstler werden verarmen, wie es die sie in Wahrheit ausplündernden Konzerne weismachen wollen, sondern die Luft für die Plünderer wird dünn. Zugleich wird umgekehrt der sogenannte unabhängige Filmemacher immer wieder vor der Frage stehen, wie bekommt er einen Fuß in die Tür zur Distribution, um mehr als eine elektronische Visitenkarte ins Netz zu stellen?
Der Zuspruch der Filme von Berlin und beyond ist ein Indiz mehr dafür, dass die Filme (und ihre Verbreitung) vor allem an einem schwachen Marketing kranken - ein besseres kann sich eben keiner leisten. Den "umgekehrten Vogel" hat ja bislang nur das Blair Witch Project abgeschossen - ein Fake, der mit 30.000 Dollar gemacht und angeblich erst dann rein zufällig mit mindestens 10 Millionen unter die Leute gebracht wurde: Blair Witch II liegt jetzt in jedem Drugstore gleich an der Kasse, mit ständig wechselnden Aufklebern: "Neues Filmmaterial gefunden und eingeschnitten!" Weitere Fortsetzungen sind allen Ernstes geplant.
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