Wie schwul war Hölderlin?

DEUTSCHE FILMDISTRIBUTION Beobachtungen beim Filmfestival »Berlin and beyond« in San Francisco

Wer sich über die mangelnde, ja eher rückläufige Verbreitung deutscher Kultur in den USA immer wieder wundert, muß sich beim Abwinken nicht einmal schwertun, wenn er außer acht läßt, auf welch kulturelles Umfeld jeder Versuch des vielzitierten »across the borders« in einem Land fällt, wo deutsche Literatur in der Schule einfach nicht vorkommt, nicht einmal in der Highschool, nicht einmal Goethe. So hat der gutgemeinte alte Markenname des deutschen Kulturinstituts hier für Nichtgermanisten von vornherein einen bizarr selbstreferentiellen Klang, ja wirkt die Schreibweise »oe« sogar adaptiert - heißt er auf deutsch nicht doch »Göthe«?

Das Goethe Institut San Francisco gründete Mitte der neunziger Jahre ein Festival, mehr eine Filmschau, die unter dem einzigen Markennamen, der seit dem Mauerfall in den USA zieht - »Berlin« und gleich noch »beyond« -Filme aus dem deutschsprachigen Raum, also einschließlich Schweiz und Österreich, subsumiert. Kurz vor der Berlinale und dem Sundance Festival präsentiert »Berlin and beyond« im Szene-Kino der Stadt, dem riesigen holzgetäfelten »Castro Theatre«, anderthalb Dutzend neuer Filme und nach Möglichkeit auch deren Macher vor einem aufgeregt neugierigen Publikum. So wenig deutschsprachige Filme im US-amerikanischen Verleih eine Rolle spielen, so sehr überrascht hier der Zulauf, den diese Filmschau hat.

Vom deutschen Kino sind den USA gegenwärtig bezeichnenderweise vor allem Remakes anzutreffen, die die Originale sozusagen »fitmachen« sollen für den US-Markt. Diese Serie startete mit der Neuauflage von Wim Wenders Himmel über Berlin, wo allein die Lizenzübertragung für das Surrogat City of Angels dem deutschen Regiestar so viel Geld einbrachte wie kein einziger von ihm inszenierter Film, so daß er von dem Erlös »for ever« nach Hollywood umziehen konnte. Katja von Garnie dreht ihren Film Bandits noch einmal (sogar selbst), Til Schweiger macht in Hollywood 'rum, vorerst in stummen Rollen mit Knarre und Handkante, na, und dann sind ja auch noch die deutschesten aller Regisseure auf dieser Welt in Hollywood zu Hause: Petersen und Emmerich. Sie produzieren hier ein nationales Augenschmalz, wie es ihnen kein Amerikaner vor- und nachmacht. Emmerich bekam vor kurzem nicht irgendwo, sondern in Beverly Hills vom deutschen Generalkonsul das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse überreicht (»für seinen herausragenden Beitrag zur Filmkunst«). Schließlich hat die deutsche Export-Union, eine als e. V. organisierte Unterbehörde des Wirtschaftsministerium eine Planstelle in Hollwood, mit deren Hilfe (falls Armin-Mueller Stahl mal wieder vorab bekannt gibt, daß - wenn es klappt - er der einzige Schauspieler seit Jannings ist, der den Oscar bekommt) Bankette organisiert oder eben abgesagt werden.

Vor diesem Hintergrund mag man sich leicht vorstellen, wie schwer es ein kleines Festival hat, Filme in die Debatte zu bringen, die einen Etat haben, der immer wieder zu Mißverständnissen führt. Als Nina Grosse ihren Hölderlin-Film im Castro zur Eröffnung vorstellte, ein aus amerikanischer Sicht vergleichsweise kinoähnliches Movie und in einer beneidenswert qualifizierten Diskussion nach dem Budget gefragt wurde, da entstand ein einziger Fehlschluß zwischen ihr und dem Saal. Der Film hat zehn Millionen Mark gekostet, eine für deutsche Verhältnisse beträchtliche Summe, hier jedoch weder Fisch noch Fleisch - bei einem »richtigen« Film entspricht dieser Betrag eher dem PR-Etat. Für weitere Mißverständnisse sorgten die Begriffe »independend film« und Filmförderung. In den USA finanziert einen Film ein Produzent. In Deutschland gibt es dagegen den Beruf des Filmstifters, -förderers (founders), der mittlerweile besser etabliert ist als die ganze fragile Filmlandschaft um ihn herum, und erst recht als die vielen Macher, die ihm mit ausgestreckter Hand entgegenstreben. Wohl kaum wird sich einer von ihnen im Ernst als »independent filmmaker« bezeichnen wollen angesichts der scheibchenweisen Einbuße von Independence an knebelnde Fernsehstationen und gnädig-gevierteilten Filmbürozuwendungen. Es gibt also einige handfeste Inkompatibilitäten im deutsch-amerikanischen Filmtalk, die dann auch in der obligaten Podiumsdiskussion im Keller des Goethe Instituts gleich noch perfekt gemacht werden. Der eine spricht von NTSC/PAL als dem Hindernis beim »cultural exchange across the border« - sozusagen im Zeitalter der elektronischen Distribution; der andere beklagt sich, daß die Deutschen nicht einsichtig genug sind, bei der Finanzierung seines Films über die NS-Verfolgung von Schwulen beizuspringen und so die Ehrenschuld abzutragen. Das Fördervolk spricht von Geld und nicht von Inhalten.

Das Dilemma des deutschen Films in Amerika beschrieb ein Debattant so: die Amerikaner mögen keine untertitelten deutschen Filme und synchronisierte auch nicht. Der Dokumentarfilm sei nicht zu lang und nicht zu kurz, sondern zu langsam. So kommen dann weitere seltsame Mißverständnisse in der Filmdiskussion auf: Hölderlin zum Beispiel ist in der Bay Area noch weniger bekannt als Goethe oder Walter Ulbricht, einzig ein Germanist aus Berkeley wagte die Frage, ob dessen homosexual activity verbürgt sei. Als Nina Grosse verneinte, bekam sie von der Castro-Phalanx prompt zu hören, warum sie ausgerechnet damit den Dichter so abqualifizieren müsse, ihn so negativ darstelle, wo es doch nichts Negatives sei ... Andreas Dresen, der als einziger Ostler hier vorkam wie die Sorben in der gesamtdeutschen Bevölkerungsstatistik, wurde gefragt, wie er denn zu DDR-Zeiten hätte Regisseur werden wollen, wo er gar nicht wissen konnte, daß er erst mit dem Mauerfall ein freier Mensch und Filmemacher werden würde ...

Tom Tykwers Lola rennt wurde von SONY gekauft und wird auf den San Francisco Film Festival seinen US-Start erleben, so war es Zugvögel von Peter Lichtefeld, der hier den Publikumspreis (der einzige, der vergeben wird) gewann, dicht gefolgt von Comedian Harmonists, hier von dem Erfolgsverleih Miramax unter dem griffigen Titel Harmonists in die Kinos gebracht (untertitelt übrigens). Dieser Einlauf ist kein Zufall, an Zugvögeln wurde das Unamerikanische gelobt und an Vilsmaier die Anlehnung an den amerikanischen Markt: »Alles ist perfekt: jüdisches Thema, deutsche Unholde, Musik, Liebe, und doch ist er mir zu amerikanisch«, sagte eine Zuschauerin. Egal wie man's macht, es ist verkehrt.

Wenn also Michael Naumann, der New-York-gewandte Ex-Verleger, sich außer für die Buchpreisbindung auch und insbesondere für die deutsche Filmwirtschaft stark machen will, dann hat er es in den USA wenn schon nicht mit einem weiten Feld, so doch mit einer Breitwand zu tun - mit gegenseitigen Projektionsflächen, die keinesfalls leicht in den coolen Griff des »produktiven Diskurses« zu bekommen ist.

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