Demoskopie nach dem 11. September Patt zwischen Befürwortern und Gegnern von Militäraktionen - doch gibt es dafür keine entsprechende politische Interessenvertretung im Bundestag
Als der NATO-Krieg unter deutscher Beteiligung im März 1999 gegen Jugoslawien begann, ließen Informationen darüber, wie die öffentliche Meinung hierzulande darauf reagierte, auf sich warten. Für diese Zurückhaltung gab es einen guten Grund: Es war in Deutschland keine Mehrheit für diesen Krieg zu finden; der erste Waffengang deutscher Soldaten in einem fremden Land nach Ende des II. Weltkrieges traf auf weit verbreitete Ablehnung. Aber das Volk sollte nicht wissen, was es selber dachte.
Diesmal war alles anders, schon am Abend des 11. September hatte Emnid eine entsprechende Frage in laufende Erhebungen aufgenommen, weitere folgten an den nächsten Tagen, Resultate wurden im Nachrichtensender N-TV am 15. September präsentiert.
Der Krieg gegen Jugos
Der Krieg gegen Jugoslawien war in einem hohen Maße abstrakt. In Erinnerung geblieben sind Bilder, auf denen am dunklen Himmel Blitze von Detonationen zu erkennen waren. Vorangegangen war eine lange Periode, in der mit Berichten über Gräueltaten "der Serben", einem Gemisch von Informationen und erfundenen Horrormeldungen ein Feindbild vermittelt wurde. Doch ein großer Teil der Bevölkerung blieb skeptisch hinsichtlich der kriegerischen Mittel, für die sich die NATO entschieden hatte.Die terroristischen Angriffe von New York und Washington hingegen waren konkret. Die Welt wurde Zeuge, wie die entführten Flugzeuge als Großwaffen ihr mörderisches Werk taten - ein Schock, niemand hatte mit Derartigem gerechnet. In einer solchen Situation steht die empirische Sozialforschung vor dem Problem, einerseits reagieren zu müssen, andererseits nicht über systematisch vorbereitete Instrumente zu verfügen. Ein Ausweg besteht darin, sich bei der Messung von Meinungen der Sprache von Politik und Medien zu bedienen. "Arabische Terroristen" und "harte militärische Vergeltung" waren noch am 11. September häufig gebrauchte Vokabeln. Emnid fragte am gleichen Abend nach der Meinung zu der Aussage: "Die USA sollten mit aller militärischen Härte gegen die arabischen Staaten vorgehen, falls arabische Terroristen für die Anschläge in den USA verantwortlich sind." Die Formulierung war zugespitzt und bewusst so gewählt, und ich möchte betonen, dass ich das für legitim halte. Jede unscharfe Formulierung hätte diffuse Ergebnisse evoziert. Die repräsentative Umfrage ergab: Fast die Hälfte der Bevölkerung - gleichermaßen in West und Ost - stimmte der zitierten Formel und damit einem harten militärischen Vorgehen der USA zu (s. Grafik). Am 12. September war der Öffentlichkeit das volle Ausmaß der Tragödie bewusst. Eine Welle der Solidarisierung setzte ein, deutsche Politiker versicherten ihre uneingeschränkte Solidarität. An diesem Tag wurde nach der Meinung zu der Aussage gefragt: "Deutschland sollte die USA im Kriegsfall als Bündnispartner militärisch unterstützen". Dabei wurde offen gehalten, wie diese Unterstützung aussehen könnte. 73 Prozent der Westdeutschen und 62 Prozent der Ostdeutschen stimmten dem zu. Diese Steigerung gegenüber dem Vortag ließ sich nur so erklären, dass der Schock seine Wirkung voll entfaltet hatte, aber nicht verarbeitet war.Am 13. September, als Mutmaßungen darüber einsetzten, welche militärischen Mittel als Gegenreaktion in Frage kämen, war es die Aussage: "Bei einem möglichen Militärschlag der NATO sollten auch Bodentruppen eingesetzt werden", zu der Meinungen erfragt wurden. Die Reaktionen waren wesentlich zurückhaltender: 39 Prozent der Westdeutschen und knapp 36 Prozent der Ostdeutschen stimmten diesmal zu. Da es um die NATO ging, wurde damit darauf angespielt, dass auch deutsche Truppen eingesetzt werden könnten.Die Ergebnisse der Umfragen dokumentierten insgesamt eine durchgängige Ablehnung des Terrors gegen die USA und belegten einen weitgehenden Konsens zwischen West- und Ostdeutschen. Sie ließen zugleich den zeitlichen Ablauf nachvollziehen, in dem sich die öffentliche Meinung in Deutschland aufbaute, und vermittelten eine Ausgangslage, wie sie noch am vergangenen Wochenende bestand, bevor die ersten Angriffe auf Afghanistan geflogen wurden. Dabei zeigte sich, dass eine Mehrheit (58 Prozent/s. Grafik unten rechts) Gesprächen und der Diplomatie im Kampf gegen den Terror den Vorzug gab. Polarisierung der MeinungenAlle Umfragen verdeutlichen also in der Umkehrung zugleich, in welchem Maße der Einsatz militärischer Kräfte als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September abgelehnt wird. Mehr als die Hälfte der Deutschen ist gegen harte Militärschläge der USA, ein Viertel bis ein Drittel ist gegen eine militärische Unterstützung seitens Deutschlands, knapp zwei Drittel sprechen sich gegen den Einsatz von NATO-Bodentruppen aus.Das sind beileibe keine Solidarisierungen mit den Terroristen. Der gemeinsame Nenner der hier vorgestellten Fragen besteht darin, dass es bei allen Unterschieden im konkreten Kontext jeweils um den Einsatz militärischer Gewalt ging. Das macht es legitim, von den vorliegenden Daten her auf die Verteilung grundsätzlicher Positionen im Bewusstsein zu schließen. Dabei kristallisieren sich drei Gruppen heraus: Eine die in "irgendeiner Weise" militärische Mittel befürwortet, eine zweite, die sie ablehnt, und eine dritte, die dazu keine Meinung äußert. Befürworter und Gegner militärischer Gewalt sind in der öffentlichen Meinung etwa gleich stark vertreten - im Westen plädieren mehr Befragte für militärische Optionen, im Osten etwas mehr gegen sie - aber diese Unterschiede sind graduell. Übersetzt in die Realität des gesellschaftlichen Raumes heißt das: Wir haben es mit einer klaren Polarisierung der Positionen zum Einsatz von militärischer Gewalt zu tun, diese Positionen stehen nicht nebeneinander: sie stehen gegeneinander.Gefährdung der eigenen WeltDie Gründe, warum der Krieg von 1999 abgelehnt wurde, lagen zum einen darin, dass kein UN-Mandat vorlag, zum anderen war es die Beteiligung deutscher Streitkräfte, die auf den verbreiteten Zweifel stieß, ob sie in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz stehe. Diesmal ist nicht nur insgesamt die Akzeptanz kriegerischer Maßnahmen höher, sondern auch eine deutsche Beteiligung. Ein Grund dafür könnte das Vorhandensein eines im Kern klaren "Feindbildes" sein - es hat sich, wenn man so will, in brutaler Offenheit selbst inszeniert. Zum anderen wurden die Ereignisse medial außerordentlich eindringlich vermittelt, was dazu führte, sie als "hautnah" zu empfinden und als Gefährdung der eigenen Welt - der "westlichen Zivilisation" - wahrzunehmen. Nach dem mehrheitlich vorhandenen Wertekanon darf es nicht sein, dass die reale und gewollte globale Überlegenheit dieser "Welt Nr. 1" so nachdrücklich in Frage gestellt wird. Das mobilisiert stark verbreitete, subtil rassistische Ressentiments - "der weiße Mann ist durch einen feigen und verschlagenen Angriff legitimiert, hart zurück zu schlagen!".Dilemma der ParteienDie Polarisierung der Meinungen durchzieht derzeit auch die Wählerschaft aller Parteien, die demzufolge davon ausgehen müssen, dass - wie auch immer ihre konkrete Position aussieht - sie nicht auf die ungeteilte Zustimmung in den eigenen Klientelen stoßen. Die Regierungsparteien sind davon am stärksten betroffen. In der Wählerschaft der SPD sind die Meinungen klar gespalten, Pro und Contra zu militärischen Mittel halten sich die Waage. Bei den Grünen ist nur ein reichliches Viertel für den Einsatz militärischer Gewalt (28,9 Prozent). Am häufigsten werden Militäroptionen in der Anhängerschaft von CDU/CSU und FDP akzeptiert (53,0 beziehungsweise 51,3 Prozent). Aber auch im Umfeld der PDS sind 34,3 Prozent für den Gebrauch militärischer Mittel, die Gegner sind zwar in der Mehrheit (57,1), doch kann die PDS nicht beide Positionen zugleich bedienen. Die sich abzeichnende Trennlinie ist klar auszumachen: Sie besteht einmal zwischen der wertkonservativen und der traditionsbezogenen Position. Die erstere artikuliert sich in der Auffassung, dass "die Ordnung" wieder hergestellt werden müsse, deshalb seien Militäreinsätze zu befürworten. Die traditionsbezogene Ansicht hingegen kann in ihrer Ablehnung kriegerischer Gewalt sowohl antiimperialistisch als auch pazifistisch oder einfach humanistisch motiviert sein. Die Trennlinie ergibt sich auch aus der Frage: Vergeltung oder nicht. Ins Blickfeld gerät dabei ein Segment im Umfeld sozialistischer Politik, in das die PDS gerade erst vorzudringen beginnt: eine Klientel zwischen 25 und 35, vorzugsweise Frauen, gut qualifiziert, beruflich aktiv. Hier stößt die Forderung nach Vergeltung derzeit auf viel Verständnis.Im politischen Spektrum der Bundesrepublik bleibt die PDS wie schon 1999 die einzige politische Stimme für Gegner militärischer Gewalt. Sie muss diese Aufgabe wahrnehmen, weil es im Parlament ansonsten keine couragierte Opposition in dieser Frage gibt und die Meinung von mindestens der Hälfte der Bevölkerung einfach ausgeklammert bleibt. Das könnte der PDS zwischenzeitlich Einbußen bescheren, weil ihre Ablehnung von Militäroperationen der NATO von manchen als antiamerikanisch gewertet wird - und weil anderen die jetzt von Zimmer, Claus und Bartsch vertretenen Positionen nicht antiimperialistisch genug sind. Das sollte die Partei in Kauf nehmen, denn in der Substanz geht es weder um Antiamerikanismus noch um Antiimperialismus. Sozialistische Politik ist zuerst humanistische Politik. Das bedeutet heute, eine Gratwanderung durchstehen zu müssen. Sie schließt die Akzeptanz von Maßnahmen ein, die auf eine Verfolgung und Verurteilung der Täter und Hintermänner des 11. September 2001 zielen.
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