Die Macht der mechanischen Präzision

Porträt eines Weltmarktführers Dass der eintägige Streik bei den "Heidelberger Druckmaschinen" eine Art kostenloser Kurzarbeit bedeuten könnte, will selbst der Betriebsrat nicht abstreiten

Die Heidelberger Druckmaschinen AG ist der weltgrößte Hersteller von Druckmaschinen und ein beeindruckendes Beispiel für den Erfolg des Standortes Deutschland, im besonderen des deutschen Südwestens. Am Montag dieser Woche fielen zwei Ereignisse zusammen: Die Firma veröffentlichte ihre neuesten Geschäftszahlen und die Belegschaft streikte an ihren drei baden-württembergischen Standorten.

Was ist Heidelberg? Heidelberg ist die einzige Stadt Deutschlands mit dem Privileg, sich nach einer Firma nennen zu dürfen. Für diesen Witz ist sich auch der Vorstandsvorsitzende der Heidelberger Druckmaschinen AG Bernhard Schreier nicht zu schade. Und er trägt ihn fast ohne einen Anflug von Ironie vor. Seit einiger Zeit firmiert der Welt größter Hersteller von Druckmaschinen schlicht als Heidelberg. Nicht nur im internen Jargon, auch in den offiziellen Pressemitteilungen meint Heidelberg immer nur das Unternehmen. An Selbstbewusstsein fehlt es dem Management offensichtlich nicht. An Erfolg aber eben auch nicht.
Die Heidelberger Druckmaschinen AG ist mit einem Umsatz von über fünf Milliarden Euro das mit Abstand größte Unternehmen der Branche. Mit Koenig und MAN Roland folgen auf den Plätzen zwei und drei ebenfalls deutsche Unternehmen. Über 40 Prozent des Weltmarktanteils gehören ihnen zusammen. Ihre Exportquote beträgt mehr als 85 Prozent. In dem Kerngeschäft, der Herstellung von Bogenoffsetmaschinen, hat Heidelberg allein über 40 Prozent des Weltmarktes für sich und strebt die 50 Prozent an. Die Hälfte des Offsetmaschinenmarktes müsse auf das Heidelberg-Konto gehen, erklärt Bernhard Schreier. Und er kommt seinem Ziel unaufhaltsam näher.
Gibt es eine einleuchtende Erklärung für diese Erfolgsgeschichte? In den vergangenen Jahrzehnten war die Druckindustrie einem technischen Wandel unterworfen, der sich schneller und tiefgreifender vollzog als in anderen Branchen. Bleisatz, Setzmaschinen und die Setzer selbst sind aus den Druckereien verschwunden. Die fortschreitende Computerisierung hat die Steuerung und das ganze Umfeld des Druckvorgangs verändert und rationalisiert. Jetzt kann der Redakteur die von ihm am Bildschirm fertiggestellte Seite direkt auf die Druckplatte der Druckmaschine schicken. Voraussetzung dafür ist - neben dem Computer - eine Lasertechnik, die allerdings nicht wie beim Digitaldruck zum Drucken, sondern zum Einbrennen der Druckvorlage auf eine Folie benutzt wird. Damit kann dann im klassischen Offsetverfahren gedruckt werden. Mit dem eigentlichen Digitaldruck setzt gerade eine neue Umwälzung im Druckgewerbe ein. Dadurch wird "printing-on-demand" und "personalisiertes" Drucken möglich.
Bei all diesen technischen Umwälzungen hat die Heidelberger Druckmaschinen AG ihre Spitzenposition jeweils behauptet. Die Grundlage des Welterfolgs wurde schon 1914 mit der Präsentation der Druckmaschine "Original Heidelberger Tiegel" gelegt. Seit 1926 in Fließbandproduktion hergestellt, begründete diese schnelle und präzise Druckmaschine, die als erste 1.000 Bogen in der Stunde druckte, den Erfolg auf dem Weltmarkt. Schon in den dreißiger Jahren gingen 60 Prozent in den Export. 1962 steigt die Heidelberger Druckmaschinen AG in die Offset-Technik ein. 1991 wird zum ersten Mal eine mit einem Computer kombinierte Vierfarben-Offsetdruckmaschine vorgestellt. Heute werden die Bogenoffsetmaschinen in Wiesloch bei Heidelberg in der modernsten und größten Druckmaschinenfabrik der Welt mit zur Zeit etwa 6.700 Mitarbeitern hergestellt. Der vorläufige Endpunkt der Reihe ist eine Zwölffarben-Maschine, die einen Bogen beidseitig in einem Arbeitsgang mit jeweils bis zu sechs Farben bedrucken kann. Eine ausgefeilte Automatisierung macht es möglich, dass nur noch zwei Drucker nötig sind, um die Maschine zu bedienen.
Seit fast drei Jahren steht neben den Produktionshallen in Wiesloch ein "World Logistics Center", mit dem man in der Lage ist, fast überall in der Welt die Kunden mit Serviceteilen in maximal 24 Stunden zu beliefern. Man rühmt sich, das dichteste Service-Netz der Printmedienindustrie aufgebaut zu haben. Für jede Druckerei, die einen Ausfall und die damit verbundenen Kosten fürchten muss, ein gutes Verkaufsargument.
Innovation und Service würden aber auf Dauer nicht ausreichen, den Vorsprung vor der Konkurrenz zu halten. Eine strategische Entscheidung ist noch unter der Führung von Schreiers Vorgänger Hartmut Mehdorn, dem jetzigen Bahn-Chef, gefallen. Aus dem Verkäufer von Druckmaschinen soll ein Komplettanbieter für die Grafische Industrie werden. Nicht einzelne Produkte, sondern technische Problemlösungen für die Herstellung von Druckerzeugnissen will man weltweit anbieten. Dazu wurde das Angebot durch entsprechende Zukäufe ausgeweitet. Die jüngste Entscheidung galt dem Einstieg in die Produktion von Hightech-Digitaldrucksystemen. Hier will man neben Hewlett-Packard und Xerox zu den drei größten Anbietern von professionellen Digitaldruckmaschinen gehören. Immer wieder formuliert Bernhard Schreier seine "Drei-Säulen-Strategie": Dabei geht es um den Ausbau der Marktführerschaft im Offsetbereich, wo man auch in den Zeitungsrotationsdruck eingestiegen ist. Zweitens will man eine führende Rolle in der Weiterverarbeitung erreichen und drittens einen "Spitzenplatz im internationalen Wettbewerb" beim Digitaldruck.
An 17 Standorten in der Welt produziert heute die Heidelberger Druckmaschinen AG Maschinen und Dienstleistungen. Das hat an der zentralen Bedeutung des Standortes im deutschen Südwesten nichts geändert. Im Gegenteil. Das Werk Wiesloch mit seinen 6.700 Mitarbeiten auf einem Areal von 860.000 Quadratmetern ist nach wie vor der entscheidende Produktionsstandort. Daran wird und kann sich auch nichts ändern. Die Kunden verlangen, erklärt der Pressesprecher des Unternehmens Thomas Fichtl, nach einem Produkt "Made in Germany" und nicht nur "Made by Heidelberg", wo auch immer.
Druckmaschinenbau ist Maschinenbau in höchster Vollendung. Für einen Farbdruck perfekter Qualität muss der Papierbogen auf den Bruchteil eines Millimeters genau durch die Maschine geführt werden. Und das in hoher Geschwindigkeit, das heißt der Bogen muss vom Papierstapel angehoben, enorm beschleunigt, ausgerichtet an die Drucktrommel geführt und wieder abgelegt werden - und das bei über 15.000 Bögen in der Stunde. Wird er beidseitig bedruckt, muss er gewendet, von Greifern erfasst und in die entgegengesetzte Laufrichtung gebracht werden. Trägt man, wie bei der Zwölffarbenmaschine, in einem Arbeitsgang auf den beiden Seiten bis zu sechs Farben auf, muss jedes mal der Bogen exakt in die vorgesehene Position kommen. Die kleinste Verschiebung wäre dem späteren Druck als Qualitätsminderung anzumerken.
Die frisch bedruckten Bögen werden auf Luftkissen durch die Maschine geführt, um die noch frische Farbe nicht zu beschädigen, und so zum Ablagestapel gebracht. Diese Genauigkeit erreicht man allein durch mechanische Präzision. Die bereits mit größtmöglicher Genauigkeit gefertigten Teile werden nach sogenannten "Größenklassen" noch einmal sortiert und dann für jede Druckmaschine passgenau mit den geringst möglichen Abweichungen von Bruchteilen eines Millimeters zusammengestellt. Selbstverständlich wäre ohne elektronische Datenverarbeitung und Steuerung die geforderte Präzision und Geschwindigkeit nicht möglich. Der Kern der technischen Lösung aber ist immer noch die mechanische Präzision des klassischen Maschinenbaus. Er ist die Basis, die nicht ersetzbar ist.
Der Maschinenbau ist eine der drei Kernbranchen der baden-württembergischen Wirtschaft. Natürlich hat die Heidelberger Druckmaschinen AG schon wegen ihrer Größe eine Ausnahmestellung. Aber so ungewöhnlich ist es nicht, dass eine kleine oder mittlere Firma auf ihrem Gebiet als absoluter Weltmarktführer agiert. Immer geht es dabei letztlich um kontinuierliche mechanische Präzision und die wiederum hängt offensichtlich vom Ausbildungsgrad der Belegschaften und von der Stabilität des sozialen Umfelds ab. Dagegen spricht auch nicht, dass Heidelberg schon früh in den 60er Jahren in großem Umfang ausländische Arbeitskräfte angeworben hat. Entscheidend war und ist das betriebliche Ausbildungssystem und die Leistungen des Unternehmens, die motivierte Arbeitskräfte anzieht und hält. Mit über 4,8 Prozent liegt die Ausbildungsquote des Unternehmens über der des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württembergs. Die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit beträgt mehr als 14 Jahre. Ein Arbeitsplatz bei der "Schnellpresse", wie die Firma nur noch von den alten Heidelbergern genannt wird, gehört zu den begehrtesten in der Region.
Die Waffen sind noch irgendwo im Arsenal und werden vorgezeigt
Das Geschäftsjahr 2000/2001 war für das Unternehmen ein absolutes Rekordjahr. Die schwächelnde Konjunktur, vor allem in den USA, brachte dann allerdings rückläufige Geschäftszahlen. Allein bei den Bogenoffsetmaschinen, dem Kerngeschäft des Unternehmens, blieb der Umsatz stabil, aber auch hier gingen die Aufträge um 16 Prozent zurück. Der Verkauf von Druckmaschinen ist sehr von der Werbebranche und damit vom Konjunkturverlauf abhängig, auf den er meist mit etwa halbjähriger Verzögerung reagiert.
Das ist natürlich nicht alles ohne Bedeutung für die Lohnforderungen und die Streikaktionen der Belegschaft. Man sei durch die letzten schwierigen Monate mit einem flexiblen Arbeitszeitmanagement gut durchgekommen, erklärt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Josef Pitz. Die in den Zeiten guter Auftragslage angelaufenen Mehrarbeitszeiten werden jetzt abgebaut. Dass der eintägige Streik, der im Werk Wiesloch fast einhellig befolgt wurde, in dieser Situation für die Geschäftsleitung eine Art kostenloser Kurzarbeit bedeuten könnte, will Pitz nicht ganz von der Hand weisen. Überhaupt scheinen die scharfen Töne zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft sich nicht so recht in dem Verhältnis von Geschäftsleitung und Betriebsrat zu reflektieren.
Die Kampfbereitschaft der Belegschaft sei dennoch hoch, bekräftigt Josef Pitz, und es sei kein Problem gewesen, die Kolleginnen und Kollegen zu mobilisieren. Selbst Mitglied der Verhandlungskommission und Befürworter einer schnellen Einigung betont er, dass man noch länger durchhalten könne und in der nächsten Woche wieder streiken werde. Der Symbolwert dieser Aktionen ist offensichtlich. Die Waffen sind irgendwo immer noch im Arsenal und werden vorgezeigt. Sie belegen, dass eine selbstbewusste, ausgebildete und vergleichsweise gut entlohnte Belegschaft eine der Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg ist, wenn nicht die wichtigste, und dass hin und wieder auch Anstrengungen unternommen werden müssen, sie zu erhalten.

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