Alles bleibt, wie es ist

Medientagebuch Ein verzweifelter Blick in die Abgründe des deutschen Fernseh-Herbstprogramms oder wie die Finanzkrise den Sendern Neugier, Enthusiasmus und Leidenschaft stiehlt

Das „Duell“ zwischen Merkel und Steinmeier war vielleicht weniger für die Lage der deutschen Politik bezeichnend als für die des deutschen Fernsehsystems. ARD, ZDF, RTL und Sat.1 schlossen sich dafür zusammen; das Duale System aus öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Sendern mutierte zu einer großen Koalition, die programmpolitisch das Sagen hat. Und das wird so bleiben.

Ein Blick in die Programmfahnen verrät eine identische Panikstarre bei allen Sendern. Kaum neue Ideen – weder im Unterhaltungsbereich noch bei den ­Serien, geschweige denn in der politischen Berichterstattung. Stattdessen die fast bewusstlos zu nennende Fortsetzung alter Formate. RTL zeigt weiter US-Serien wie CSI: Miami, selbst wenn die sich mit plumpen Dialogen und den Manierismen ihres Hauptdarstellers David Caruso selbst karikiert. Das hat schön die Fernsehsatire Switch Reloaded vorgeführt, die bei ProSieben so erfolgreich lief, dass man dem Darsteller Max Giermann eine eigene Reihe einrichtete (Granaten wie wir). In der laufen sich die Parodien nun endgültig tot, weil sie sich über eine Stunde als genauso belanglos erweisen wie das Parodierte.

Sat.1 ersetzt die billigen Krimireihen wie Lenßen Partner am Nachmittag durch Telenovelas und sich dokumentarisch gebende Reihen, in denen der krisenanfällige Alltag von Auswanderern, Gerichtsvollziehern, Polizeibeamten oder Jugendschützern szenisch ausgebeutet wird und die man bei den anderen ebenfalls betrachten kann. In der ARD bietet das Programmschema mit seinen Kompromissen zwischen den einzelnen Länderanstalten (nur ein Beispiel: die Dummheit der doppelten politischen Talkshow von Anne Will und Frank Plasberg) keinen Platz für Ungewöhnliches und Überraschendes.

Das ZDF wiederum verspricht als große Neuerung des Jahres 2010, dass es Jörg Pilawa von der ARD als Ersatz für den zu Sat.1 zurückgekehrten Johannes B. Kerner gewonnen habe, der dort die alte Fußball-Sendung ran recycelt. Und selbst ein Nischensender wie Kabel1 traut sich nichts mehr: Die zweite Staffel der Retro-Krimiserie Life in Mars wurde am späten Abend versendet.

Das alles hat seine Ursachen: Die Privatsender müssen wegen ausbleibender Werbespots und der hohen Schulden ihrer Eigentümer sparen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat sich so sehr auf die Quote fixiert, dass es in Gefahr steht, die eigene, eben nicht kommerzielle Identität zu verlieren. Neugier, Enthusiasmus, Leidenschaft – all das fehlt, sieht man von wenigen Fernsehfilmen und Krimis ab, dem deutschen Fernsehen in diesem Herbst.


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