Am Tor vorbei: Jauch und die Gerechtigkeit

Medientagebuch "Wer kann noch in Wohlstand leben?" Wenige. Laut Uli Hoeneß zeigen Fußballer schlechte Leistungen, weil sie die zweite Halbzeit nur noch für das Finanzamt spielen

Am Ende stand die Idee einer großen Koalition im Raum. Uli Hoeneß hatte sie vorgeschlagen und auch gleich das Führungspersonal benannt: Angela Merkel und Hannelore Kraft. Mit dem Thema der Talkshow von Günther Jauch (ARD) am vergangenen Sonntag hatte das zwar nichts zu tun, passte aber zu einer Diskussion, die jede Annäherung an eine sachliche Erörterung zugunsten einer auf Applaus zielenden Pointe preisgab.

Eigentlich sollte es um die Frage gehen: „Wer kann noch in Wohlstand leben?“ Als Antwortengeber eingeladen waren neben Hoeneß, der nicht nur als Präsident von Bayern München, sondern auch als Wurst-Fabrikant in der Runde saß, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft (SPD), der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), die Parteivorsitzende Katja Kipping (Die Linke) sowie Bernd Siggelkow, Pastor und Leiter eines Hilfswerks für Kinder. Obendrein gab es die üblichen Zutaten: Musikalisch untermalte Einspielfilme zum Thema, missglückte Formulierungen von Stoiber („Wenn Sie es aus Ihrer Sicht sehen“) und Kraft („Es gibt ja keine Reißleine nach unten“), dezente Reklame für ein selbstverfasstes Buch (in diesem Fall Siggelkows) und das Loblied auf die eigene Partei.

Und kurz war auch der Hoeneß baff

Trotz alledem gab es Momente der Verblüffung, für die Katja Kipping sorgte, die sich durch die pauschalen Zuweisungen von Uli Hoeneß nicht beirren ließ. Als der Ex-Fußballer mit rotem Kopf und lauter Stimme trompetete, dass die Spieler seines Vereins mitunter auch deshalb so schlecht spielten, weil sie von den 90 Minuten eines Spiels 45 für das Finanzamt tätig seien, konterte die Linken-Politikerin gelassen mit dem Hinweis, dass Bayern München doch in den achtziger Jahren erfolgreich gewesen sei, als der Spitzensteuersatz höher lag als derzeit, nämlich bei 56 Prozent. Ihr Hinweis, apropos Leistungsgerechtigkeit, dass eine Krankenschwester nach lebenslanger Arbeit eine Rente bezöge, die auf dem Niveau des Sozialhilfesatzes läge, zeigte für einen kurzen Moment selbst bei Hoeneß Wirkung. Dass Deutschland „superklassetop in Europa, auf der ganzen Welt“ sei, das wollte er sich jedoch nicht madig machen lassen, schon gar nicht von einer „reinen Theoretikerin“ wie ihr. Ob sie darüber nachgedacht habe, weshalb ihre Partei Probleme hätte, bei den nächsten Wahlen die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen? Was Jauch zu dem für ihn seltenen kommentierenden Einwurf animierte, diese Probleme hätte die FDP am anderen Ende aber auch.

So versackten konkrete Debattenpunkte immer wieder im gewöhnlichen Talkshow-Modus, der – so ein kluger Gedanke von Hannelore Kraft – möglicherweise so etwas wie das Desinteresse der Gesellschaft an politischen Diskussionen befördere. Konkrete politische Forderungen einer Vermögenssteuer, eines Finanzausgleichs für Renten am Sozialhilfesatz oder einer erneuten Bildungsinitiative für Kinder aus sozial schwachen Familien wurden nur kurz angerissen. Auch der Gedanke von Bernd Siggelkow, dass es nicht am Geld fehlte, sondern an sinnvollen Aktionen, solchen Kindern so etwas wie eine gesellschaftliche Perspektive anzubieten, die über eine Castingshow hinausreicht, wurde kaum geprüft. Schuld daran trägt auch eine Einladungspolitik der Redaktion, die mit Hoeneß einen Mann der klaren Sprüche und satten Pointen holt, die aber an den gesellschaftlichen Problemen und Konflikten so weit vorbeigehen wie der Elfmeter, den der Fußballspieler 1976 im Endspiel der Europameisterschaft über das Tor schoss.

Dietrich Leder lehrt an der Kunsthochschule für Medien in Köln

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