Arte und die Disziplin des Freistils

Medientagebuch Arte belebt eine Sendungsreihe wieder, die sich von allen gängigen Kulturmagazinen unterscheidet und Fundstücke aus der Wirklichkeit des weltweiten Fernsehens zeigt

Anfang der neunziger Jahre sorgte eine ungewöhnliche Fern­sehsendung für Furore. Sie hieß Freistil – Was die Waschmaschine träumt, wurde vom WDR ausgestrahlt und galt nominell als Kulturmagazin. Doch die von Thomas Schmitt produzierte, komponierte und geschnittene Sendung war alles anderes als das. In den zehn thematischen Ausgaben, die es von Freistil gab, verband eine ebenso elegante wie mitunter rabiate Montage höchst unterschiedliche Beiträge (eigene und übernommene) wie Videoclips, Gespräche mit Philosophen und Geisteswissenschaftlern, eigene dokumentarische Beobachtungen, auch von Kunstaktionen und Performances, sowie Fundstücken aus der Wirklichkeit des weltweiten Fernsehens. Das wirkte belebend und war so radikal anders als das, was die Moderationsbeamten der offiziellen Kultur an den Schaltern der etablierten Magazine wie TTT (ARD) oder Aspekte (ZDF) dem Publikum vorsetzten. Möglich wurde Freistil, das prompt mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet und auf Festivals wie der Duisburger Filmwoche diskutiert wurde, in einer Phase, in der sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen noch nicht im Abwehrkampf gegen die private Konkurrenz auf Eigenplagiat beschränkte.

Überraschende Zusammenhänge

20 Jahre nach der letzten Ausgabe hat Thomas Schmitt seine alte Sendeidee vitalisiert. Im Rahmen eines Themen­tages von Arte zu „Schwarzweiß hat viele Farben“ am 28. Mai laufen zwei neue Ausgaben von Freistil und zwar am Nachmittag dieses Pfingstmontags um 17.50 Uhr und 18.35 Uhr. Beide greifen das Thema des Arte-Programms auf. In der ersten mit dem Titel „Das Weiße am Anfang aller Dinge“ untersucht Schmitt die Bedingungen und Bedeutungen dessen, was weiß genannt wird. Dazu versammelt er Bilder von Schneekristallen, ein Video von Kate Bush aus dem Zusammenhang ihrer jüngsten Platte 50 Words For Snow, viele Ausschnittsvergrößerungen aus Gemälden, in denen das Heilige ins Helle tendiert, die Untersuchungsergebnisse eines Naturwissenschaftlers, der die weiße Oberfläche eines Käfers untersucht hat und Reflexionen des Kulturwissenschaftlers Thomas Macho. In der zweiten Ausgabe mit dem Titel „Wer hat Angst vor der schwarzen Frau?“ geht es um die abgespaltenen schwarzen Göttinnen und Heilige (Persephone, Kali, aber auch die Heilige Sarah), um Volksgläubigkeit mit ihren Überresten alter Naturreligionen, um Schorn­steinfeger, um einen Schmetterling, der das schwärzeste Schwarz der Natur trägt und um die Popmusik, in der schwarze Frauen besungen werden – von Santana bis Jimi Hendrix.

Auch wenn sich die beiden neuen Sprecher, die Schmitts Anmerkungen und Kommentare vortragen, nicht wie ihre Vorgänger markant unterscheiden, ist es erneut ein Vergnügen, dem Gedankenreigen zu folgen. Nicht zuletzt, weil Schmitt die Pointe oder den Kalauer nicht schmäht, wenn sie ihm denn vor die Füße fallen. So erinnert er in der ersten Ausgabe daran, dass der Sänger, dessen größter Schlagererfolg „Ganz in Weiß“ war, den Künstlernamen Roy Black trug.

Freistil vereinfacht Gedanken, dokumentarische Entdeckungen und künstlerische Arbeiten nicht, sondern stellt sie in einen überraschenden Zusammenhang. Die Sendung beendet also die Auseinandersetzung mit ihren ­vielen unterschiedlichen Elementen nicht, sondern lädt zur Weiterbeschäf­tigung ein. Und genau das unterscheidet Freistil von vielen anderen Kultur­sendungen – vor 20 Jahren wie heute, so dass zu wünschen ist, dass Arte die Abenteuerreisen des Thomas Schmitt fortsetzt.

Dietrich Leder schreibt im Freitag regelmäßig das Medientagebuch

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