Die Latten hängen hoch

Medientagebuch Paul Kirchhof startete als Rudi Völler und endete als Berti Vogts: Politik als sportliches Ereignis

Für die These, dass die Darstellung der deutschen Innenpolitik im hiesigen Fernsehen der des Sports ebenda immer stärker ähnele, hatten die letzten Wochen eine Reihe von Beweisen geliefert. Es begann mit dem "Duell" von ARD, ZDF, RTL und Sat1, in das die beiden chancenreichsten Bewerber um das Kanzleramt gehetzt wurden. Schon diese besondere Personalisierung, die knapp an der Verfassungswirklichkeit vorbei inszeniert wurde, stellte die Politik als Wettbewerb vor. Aus ihm sollte weniger derjenige, der klug argumentierte oder leidenschaftlich für seine Sache warb, als Sieger herausgehen als vielmehr derjenige, der schlagfertiger auftrat. Die Parallele zum Boxsport war spätestens in dem Moment nicht mehr zu übersehen, als die Sekundanten glücklich davon sprachen, dass ihre Herausforderin hätte mithalten können und weder niedergeschlagen noch gar ausgezählt worden sei.

Am Wahlabend wirkten die Vertreter der großen Parteien wie die Trainer von Fußballmannschaften, die gerade nicht nur ein wichtiges Spiel sondern darob auch noch die Sprache verloren haben. Hilflos erklärten sie sich angesichts des historischen Remis zu den Siegern, auch wenn ihnen der Jubel nicht im Gesicht stand. Der Auftritt des Kanzlers in der "Elefantenrunde" von ARD und ZDF wirkte so falsch wie die eines Sportfunktionärs, der die Leistung seiner Mannschaft überschätzt. Habituell erinnert Schröder an diesem Abend an den Manager des Fußballvereins Schalke 04, Rudi Assauer. Und so ist es kein Wunder, dass die Nation nach diesem Kanzler-Auftritt über die Frage rätselte, ob Schröder ein Glas Wein zuviel getrunken haben könne. Am selben Tag hatte morgens bereits Jörg Wontorra öffentlich im Fußballstammtisch Doppelpass des Deutschen Sportfernsehens die Frage gestellt, ob die Grundnahrungsmittel von Assauer grundsätzlich flüssig sein müssten.

Die von Wontorra moderierte und passenderweise von einer Biermarke gesponserte Sendung, in der zwei Stunden lang der Bundesligaspieltag durchgehechelt wird, muss man als das Muster ansehen, nach denen Sabine Christiansen die nach ihr benannte Talk-Show der ARD durchführt. Nach netten Einspielfilmen rabarbart hier eine Runde, die aus einer kleinen Schar von Politikern rekrutiert wird, die deutsche Politik so durch, wie die Männer des Doppelpass den deutschen Fußball. Und so wie die Lichtgestalten am Sonntagvormittag Klinsmann und Beckenbauer heißen, heißen die am Sonntagabend Schröder und Merkel. Paul Kirchhof wiederum startete als Rudi Völler und endete als Berti Vogts. Und Joschka Fischer verabschiedete sich wie einst Rudi Völler als Teamchef der Nationalmannschaft. Kein Wunder also, dass nach des Kanzlers Auftritt die Gesellschaft über Dopingproben in der Politik nachdenkt.

In den Wochen nach der Wahl konnte man in einem Sender wie Phoenix beobachten, dass die Methode der Feld-Interviews des Sports, in denen atemlose Sportler nach Kommentaren ihrer gerade abgelieferten Leistung befragt werden, auch in der Politik Platz gefunden haben. Nach jeder Sitzung der Gremien der beiden großen Parteien bauten sich deren Repräsentanten vor einem Wald aus Mikrophonen und Kameras auf, um minutenlang wortreich nichts zu sagen. Beispielsweise die langsam ihre Contenance wiederfindende, aber immer noch wie nach einem schweren Boxkampf angeschlagen wirkende Angela Merkel und der wie ein hospitalisierter Papagei nickende Edmund Stoiber. Oder der von Tag zu Tag müder wirkende Gerhard Schröder und der an einen Nussknacker mit roter Krawatte erinnernder Franz Müntefering. Oder das infernalische Duo aus dem Schreivogel Claudia Roth und dem Brummbär Reinhard Bütikhofer. Noch hübscher die Freund-Feinde Guido Westerwelle und Wolfgang Gerhardt, die einander selbst noch dann zulächelten, als jener diesem das Amt des Fraktionsvorsitzenden stibitzt hatte.

An was erinnerten all die sacharmen, von schwacher Rhetorik durchsetzten Mini-Statements? Richtig, an das atemlose und stets mit "Ja, nun" eingeleitete Geschwätz der Fußballprofis, die schon beim Verlassen des Spielfeldes zu einer ersten Einschätzung einer misslungenen Partie gefragt wurden. In der deutschen Politik dieser Woche wäre selbst ein spracharmer Lothar Matthäus kaum aufgefallen. Im Zentrum der Reporterfragen stand wiederum das Trainersyndrom. Da beide Parteien als Verlierer aus der Wahl hervorgegangen waren, mussten eigentlich wie im Fußball die Trainer namens Schröder und Merkel entlassen werden. Noch im strahlenden Ergebnis ihrer Wahl zur Fraktionsvorsitzenden kann Angela Merkel dieses Trainersyndrom studieren. Stehen doch Vorstand und Spieler stets selbst dann zu hundert Prozent hinter einem Trainer, wenn dieser am nächsten Tag entlassen werden wird. Je stolzer die Behauptung klingt, eine Trainerentlassung käme nicht infrage, desto näher rückt sie. Klaus Augenthaler von Bayer Leverkusen musste zuletzt diese Erfahrung machen.

Für diese Sportifizierung der deutschen Politik könnte man nun die Massenmedien und das Fernsehen allen voran verantwortlich erklären. Eine gewisse Mitschuld ist dem Fernsehen in der Tat nicht abzusprechen. Sender wie Phoenix, aber auch n-tv oder N 24 übertragen immer häufiger politische Ereignisse wie Parteitage, Parlamentsausschüsse oder Pressekonferenzen live. Für diese Sorte von Fernsehen gibt es nur wenige Formen wie beispielsweise die Doppelkommentierung (bekannt von Karnevalsumzügen und Fürstenhochzeiten), die Expertenrunde oder die Feld-Interviews. Diese Berichterstattung ist ergebnisorientiert. Sie möchte etwas sichtbares registrieren. Deshalb konzentriert sie sich stark auf Personen und ihr Verhalten.

Eine Mitschuld trägt aber auch die Politik selbst, die sich angesichts der kleiner werdenden Handlungsräume selbst entpolitisiert hat. Weil sie weder über große Pläne noch Visionen, geschweige denn Utopien verfügt, verwaltet sie kleinteilig das angeblich Machbare. Um das wiederum zu kaschieren, bedarf es der großen inszenatorischen Anstrengung, in dem heftig personalisiert und beispielsweise zum "Duell" geblasen wird. Die Wähler haben das auf der einen Seite angenommen. Sie haben massenweise das "Duell" eingeschaltet. Die Quoten lagen so hoch wie - richtig! - bei einem wichtigen Fußballspiel. Auf der anderen Seite haben sie dieser Inszenierung nicht ganz geglaubt. Das beweist der Anstieg der Stimmen der kleineren Parteien, deren Personal beim "Duell" zuschauen musste. Deshalb müssen sich die Wähler das derzeitige Herumgegurke um die große Koalition selbst zuschreiben. An diesem Spielausgang tragen sie die Schuld.


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