Die üblichen Verdächtigen

MEDIENTAGEBUCH Machen wir uns nichts vor. Die großen Aktionen und Diskussionen zum Thema "Rechtsradikalismus", die Presse, Funk und Fernsehen in den letzten Wochen ...

Machen wir uns nichts vor. Die großen Aktionen und Diskussionen zum Thema "Rechtsradikalismus", die Presse, Funk und Fernsehen in den letzten Wochen veranstaltet haben, sind zu weiten Teilen dem Fehlen anderer politischer Themen in Zeiten der Sommerferien zu schulden. Angesichts des kollektiven Urlaubs der Berliner Politik gebrach es den Massenmedien an Stoff, den sie publikumswirksam aufbereiten und verarbeiten können. Also griffen sie, als sich die Chance bot, zum bildattraktiven und moralisch aufgeladenen Thema des Rechtsradikalismus in Deutschland.

Wer das für zynisch hält, müsste erst einmal erklären, warum seit Tagen die Nachrichten mit den Erklärungen zur Frage aufwarten, ob und warum die NPD verboten werden solle oder warum vielleicht nicht. Tatsächlich begann die Publikationswelle mit ihren Sondersendungen, Spezialausgaben und seitenlangen Kommentaren nach dem Attentat von Düsseldorf. Obgleich Polizei und Staatsanwaltschaft noch immer nicht sagen können (oder wollen), wer ihrer gesicherten Erkenntnis nach als Täter gilt. Obgleich es andere Gewalttaten mit schwerwiegenderen Folgen gab als die beträchtlichen Körperverletzungen. Erinnert sei an die Ermordung von Alberto Adriano in Dessau wenige Wochen zuvor, der auf der Straße von Neonazis erschlagen wurde. Damit soll das Düsseldorfer Attentat, bei dem auch jüdische Übersiedler aus der Ukraine zum Teil schwer verletzt wurden, nicht verharmlost werden. Wer es aus welchem Grund auch immer beging. Aber ich will meinen Eindruck nicht verhehlen, dass vermutlich der Schock, dass die Möglichkeit eines rechtsradikalen Attentats im Zentrum einer west- (und eben nicht ost-)deutschen Stadt, den ersten Impuls zur Beschäftigung mit dem Thema auslöste.

Nun könnte man sagen, dass selbst das Motiv, das Sommerloch mediengerechter zu füllen, als es mit einer Re-Reform der Rechtschreibung oder dem Amtsantritt des Übergang-Teamchefs Rudi Völler gelungen wäre, der durch die Berichterstattung ausgelösten Diskussion nicht schadete. Da habe ich allerdings meine Zweifel. Denn wir erfuhren in den letzten Wochen wenig Neues. Vieles von dem, was an Informationen über alltägliche Übergriffe, "befreite Zonen", rechtsradikale Web-Sites und Bündnisse veröffentlicht wurde, stammte aus dem Archiv. Allerdings gingen die Journalisten nur bis ins Jahr 1989 zurück. Keiner erinnerte beispielsweise daran, dass ein in der Tatausführung ähnliches Attentat in den achtziger Jahren auf dem Münchener Oktoberfest mehrere Tote und viele Verletzte gefordert hatte. Und dass dessen Strafverfolgung konsequent auf die These verwirrter Einzeltäter setzte statt den Hintergrund eines rechtsradikalen Netzwerkes zu untersuchen. Die selbe Ignoranz war schon in der Berichterstattung über die Polizistenmorde im Ruhrgebiet im Frühjahr zu beobachten, als relativierte die Tatsache, dass der bekennende Rechtsradikale auch sonst einen Dachschaden hatte, sein ideologisch bedingtes Motiv, den "Staatsbütteln" und "Systemknechten" es endlich einmal zu zeigen.

Statt mit neuen Informationen wurden wir ausschließlich mit Meinungen traktiert, wie mit dem Rechtsradikalismus umzuspringen sei. Hier erwiesen sich diejenigen als die Trendsetter, die ohnehin nie Schwierigkeiten haben, politische Probleme zu lösen, weil sie ihre Mittel (Verbote, hartes Durchgreifen und Propaganda) als Funktionen eines starken Staates stets zur Lösung eines jeden Problems vorschlagen. Als führte ein Verbot der NPD zum Abflauen der täglich stattfindenden Angriffe auf alle, die irgendwie nur anders aussehen. Als hinderte ein Verbot von Websites, die schon durch ihren Namen als rechtsradikal erkannt werden können, ihre Betreiber daran, sie ins Ausland zu verlagern oder hinter harmloser klingenden, aber in der Szene kursierenden Begriffen zu tarnen. Als brächte eine bunte Plakataktionen mit bekannten Namen irgendeinen Schlägerhaufen davon ab, sich nicht auf den nächsten zu stürzen, der einfach nur durch sein Aussehen ins Auge fällt.

Angefüttert wurden all diese Meinungen durch die bekannten Bilder, in denen der Rechtsradikalismus in Erscheinung tritt und mit dem er deshalb identifiziert wird. Immer wieder sah man in den Nachrichten den selben Archivfilm, in dem sich schwarzgekleidete Kurzhaarträger langsamen Marschtrittes hinter dumpf geschlagenen Trommeln durch städtische Randzonen bewegten. Eine träge, aber wohlformierte und aktionsbereite Masse, in denen einzelne Personen - mit Ausnahme eines im Stechschritt eines Pavians tänzelnden Hitler-Clones - gleichsam verschwanden. Ab und an schnellte jemand aus dieser Masse heraus, um sich drohend den Kameras zu nähern, wenn diese zu neugierig wurden, um dann wieder in der Masse abzutauchen. Diese häufig wiederholten kurzen Nachrichtenfilme, die - wie gesagt - ausschließlich der Illustration von Meinungen dienten, vermittelten den Eindruck einer auf Ordnung und Disziplin achtenden Truppe, die sich zudem das Recht am eigenen Bild vorbehält. Ob das wirklich das angemessene Bild des Rechtsradikalismus darstellt, wage ich zu bezweifeln. In einer Reportage von John Goetz, die ich noch vor der großen Themenoffensive im WDR Fernsehen sah und von dem Panorama später Ausschnitte zeigte, waren Gruppen junger Rechtsradikaler in der Nähe von Rostock zu sehen, die eben nicht formell strukturiert waren sondern informell, die sich aber von einer Situation zur anderen als mindestens ebenso militant erwiesen. In genau diesem Augenblick zogen sich vor den Augen der Kamera selbst die Polizisten einer Sondereinheit zurück. Zum ersten und bislang einzigen Mal war zu sehen, was mit dem rechten Spruch der "befreiten Zone" wirklich gemeint ist. Ein für Rechte rechtsfreier Raum. Und das wird Tatsache bleiben, auch wenn das mediale Interesse abgeflaut ist.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden