Effekt

Linksbündig Die große Koalition bekommt ihren eigenen Talk-Master

Es klang, als sei ein Minister zurückgetreten und durch den schärfsten Konkurrenten ersetzt worden. Solche Aufmerksamkeit erregte die Mitteilung, Sabine Christiansen werde ihre wöchentliche Gesprächssendung, die seit 1998 am Sonntagabend in der ARD ausgestrahlt wird, in einem Jahr beenden. An ihre Stelle soll, wurde angefügt, Günther Jauch treten, den der Privatsender RTL zu einem reichen Mann machte.

An dieser Meldung überraschte, dass etwas hohe Aufmerksamkeit findet, was erst in der Zukunft stattfindet. Bis zu ihrem Abschied wird Sabine Christiansen fast 50 Mal zu sehen sein. Auch die Diskussion um Jauch scheint ein wenig vorschnell. Noch hat die ARD keinen Vertrag mit ihm geschlossen. Und noch ist ungeklärt, wie er die neue wöchentliche Sendung moderieren kann, ohne auf seine vielen RTL-Sendungen zu verzichten, die er zu einem großen Teil mit einer eigenen Firma produziert; jeder Verzicht des Moderators Jauch auf einen RTL-Job bedeutet gleichzeitig für seine Firma Umsatzeinbußen.

Der mutmaßliche Wechsel des Jahres 2007 hat denn auch weniger mit der konkreten Sendung Sabine Christiansen zu tun als mit den politischen Verhältnissen, die sich in ihnen Woche für Woche zeigten. Zur Erinnerung: Als Sabine Christiansen vom Moderationsstuhl der Tagesthemen in die eigene Talk-Show wechselte, waren sich vor allem die Männer der Branche einig, das schafft sie nicht. In den Tagesthemen wirkte sie stets professionell, so unterliefen ihr anders als ihrem Partner Ulrich Wickert kaum Fehler. Aber eine eigene Gesprächssendung zur aktuellen Politik traute man ihr nicht zu. Die ersten Ausgaben schienen das zu bestätigen. Sie wirkte ohne große Autorität, überraschend nervös und überfordert von der dreifachen Aufgabe, Fragen zu stellen, die Diskussion zu strukturieren und dann noch als Gastgeberin zu agieren.

Doch das legte sich. Spätestens ein Jahr nach ihrem Start galt Sabine Christiansen als die politische Sendung der ARD schlechthin. Das hatte zwei Gründe: Zum einen hatte sich die disziplinierte Arbeiterin in noch die komplizierteste Materie der Tagespolitik eingearbeitet. Hinzukam das journalistische Gespür ihrer Redaktion für die richtigen Themen zur richtigen Zeit. Zum anderen hatte die Gastgeberin Sabine Christiansen dort Erfolg, wo die anderen politischen Talk-Shows bislang gescheitert waren. Sie hatte einen solchen gesellschaftlichen Nimbus errungen, dass sich ihr bald niemand mehr verweigerte. Also kam in ihre Sendung jeder, den sie einlud. Mit Ausnahme des Papstes. Die Berliner Politik-Prominenz buhlte geradezu darum, im Halbkreis um die Frau, die so elegant ihre Beine übereinander zu stellen weiß, Platz zu nehmen.

Lange Zeit schien es so, als würde die politische Agenda nicht im Bundestag, sondern bei Sabine Christiansen entworfen. Dementsprechend las sie sich denn auch. Denn - und das wird permanent unterschlagen - Sabine Christiansen ist eine reine Unterhaltungssendung, in dem es nicht um den Austausch von politischen Argumenten geht sondern in dem der rhetorische Effekt, die dramatische Geste, die staatstragende Mimik triumphiert. Ihre Stammgäste Friedrich Merz, Guido Westerwelle oder Heinrich von Pierer waren die Prototypen einer sich intellektuell gebenden Nachdenklichkeit, die handfeste Klientelpolitik der deutschen Industrie hinter der gerunzelten Stirn des Zweifels am Staatsganzen versteckten.

Das hatte einen gewissen Unterhaltungswert, vor allem in den Zeiten, als eine rot-grüne Bundesregierung im Amt war, zu der Sabine Christiansen und ihre Stammgäste in Opposition standen. Aber so wie die Zuschauer glaubten, eine politische Sendung zu sehen, als sie eine Talk-Show sahen, glaubten ihre Gäste, durch den Besuch der Show wüchse ihnen der Status eines Fernsehprominenten zu. Das war natürlich nicht der Fall. Einige Politiker wie Rudolf Scharping oder Guido Westerwelle, die jene Selbstlüge vom Prominenzfaktor der Talk-Show verinnerlicht hatten, erfuhren das schmerzhaft.

Spätestens mit Antritt der großen Koalition, die das Einladungsprinzip der Christiansen-Sendung zum Koalitionsmodell erhob, war ihre Zeit vorbei. Der Politikanstrich der Show war abgeblättert, während der Unterhaltungswert gen Null tendierte. Die Quote sank, und die ARD sann über Korrekturen. Jauch, der ewig jungenhaft wirkende volkstümliche Millionär mit dem Schalk im Nacken und der humanistischen Bildung im Kopf, soll es nun richten. Wenn man so will: Die große Koalition bekommt ihren eigenen Talk-Master.


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