Ein Mann meint es ernst

Medientagebuch Sat.1 zeigt Nachrichten, wie sie Fans von Tom Gerhardt verstehen. Was nicht nur Schmähung ist

Der Schreibtisch aus dunkelbraunem Holz biegt sich nach links hinten. Ansonsten dominieren Blautöne das Studio. Der Moderator, der die Sendung präsentiert, trägt ein blaues Sakko. Er gibt sich ernst. Keine joviale Geste, keine lässige Formulierung. Peter Limbourg ist Chefredakteur des Nachrichtensenders N24. Und deshalb moderiert er die Hauptnachrichtensendung von Sat.1.

Das klingt nur für denjenigen plausibel, der erstens weiß, dass N24 zu ProSiebenSat.1 gehört, und der sich zweitens noch daran erinnert, dass diese Firma im letzten Jahr in Probleme geriet. Die neuen Eigner, Finanzinvestoren, herrschten der Senderkette einen Sparkurs auf, um ihre auf Kredit getätigte Investition zu refinanzieren. Bei Sat.1 wurden Boulevardmagazine geschlossen. Gleichzeitig trennte man sich vom Moderator Thomas Kausch, der zuvor vom ZDF mit dem Versprechen weggelockt worden war, die Informationskompetenz des Privatsenders zu stärken.

Nun will Peter Limbourg diese Informationskompetenz verkörpern. Wäre das nicht schon eine große Last, haben die Strategen des Senders ihm die Arbeit zusätzlich erschwert. Die Nachrichtensendung, die seit vielen Jahren um 18.30 Uhr begann, fängt nun parallel zur Tagesschau der ARD an, der erfolgreichsten Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen. Da bei den Privatsendern eine hohe Personalfluktuation herrscht, wird sich vermutlich keiner der beteiligten Redakteure daran erinnern können, dass Sat.1 schon einmal eine Attacke auf die Tagesschau gestartet hatte. In den frühen neunziger Jahren, als der Sender sich noch groß und stark fühlte, begann man das Hauptabendprogramm bereits um 20 Uhr und nicht wie bei allen anderen um 20.15 Uhr. Die Zuschauer schalteten aber weiter die Tagesschau ein, und Sat.1 verlor Marktanteile. Reumütig kehrte man zum alten Anfangstermin zurück.

Nun also die zweite Attacke auf die Tagesschau. Die Sendung heißt nicht mehr Sat.1 News, sondern schlicht Sat.1 Nachrichten. Zugleich hat man die von Kausch ein wenig leutselig moderierte Sendung gestrafft. Limbourg spricht sachlicher, auch wenn ihm mitunter die Metaphern entgleisen. "Am Rande überschattete", sagte er am Ostermontag zu Bildern aus dem griechischen Olympia, "ein Zwischenfall die Zeremonie". Dann gibt er immerhin einen Hinweis, der so bei anderen Sendern nicht zu hören war: Die Fernsehkameras, die das Entzünden des olympischen Feuers aufnehmen, hätten vom Protest gegen die Tibet-Politik Chinas weggeschwenkt. Deshalb sei dieser Protest nur auf Fotos dokumentiert.

Gelegentlich verspricht sich Limbourg, wenn er eine "Wundschutzscheibe" erwähnt. Des Öfteren drückt er sprachlich auf die Tube, wenn er Täter als Mörder bezeichnet, die vermutlich eher einen Totschlag begangen haben. Auch die Musik, die einen längeren Block mit filmischen Kurznachrichten untermalt, dient der Popularisierung. Aber verglichen etwa mit den Nachrichten von RTL entbehrt diese neue Sendung von Sat.1 großer Emotionalisierung. Der Verzicht auf einen Sportblock - bei RTL Aktuell wird jeden Abend die Formel 1 gefeiert, als sei dieser Rennsport der einzige der Welt - ist allerdings vermutlich weniger einem inhaltlichem Konzept als wirtschaftlicher Not geschuldet. Die Sendung muss sparen, und Sportrechte sind teuer.

Dass man im schnellen Durchlauf relativ wenig versteht von dem, was da berichtet wird, ist eine Kritik, die man auch an der Tagesschau üben kann. Tatsächlich bleibt wenig Zeit, Hintergründe auszuleuchten. Die Kurzinterviews mit Politikern und Funktionären, die in 40 oder 50 Sekunden noch komplizierteste Sachverhalte zu einer zumindest meinungssatten Äußerung komprimieren, ändern daran wenig. Die hohe Schnittfrequenz wie die Bewegung der Studiokameras suggerieren eine Dynamik, die jene angedeutete Vermittlungsarmut kaschieren soll. Es geschieht so viel in der Welt, dass wir gar nicht hinterherkommen, alles zu berichten, soll diese Ästhetik sagen. Anders als die ARD, die mit den Tagesthemen noch eine stärker auf Vermittlung angelegte Nachrichtensendung sowie eine Reihe von politischen Magazinen im Programm hat, erschöpft sich der Informationsgehalt von Sat.1 mit diesen Nachrichten.

Und ob es der Sender mit dem Versuch, der Tagesschau Konkurrenz zu bieten, wirklich ernst meint, bleibt zu bezweifeln. Am Wochenende wird auf Sat.1 Nachrichten verzichtet. Und so steht zu vermuten, dass sie auch an anderen Tagen aus dem Hauptabend verschwinden kann, sollte die Strategie, mit der neu platzierten Nachrichtensendung die Zuschauer bei der Stange zu halten, nicht aufgehen. Am Ostermontag ging sie jedenfalls auf. Von der Klamaukserie Hausmeister Krause zum Klamaukspielfilm Siegfried verloren die dazwischen eingebetteten Nachrichten kaum Zuschauer. Es scheint sich also um eine Sendung zu handeln, die Fans von Tom Gerhardt mögen. Und - wichtiger noch - auch verstehen.

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