Eingriff in die Meinungsfreiheit

Hickhack beim ZDF Der Streit um Nikolaus Brender geht weiter: Hessens Ministerpräsident Koch gibt ein Interview im Streit um den ZDF-Chefredakteur. Wie die Politik in den Sendern mitmischt

Es begann als klassische Personalie, an der vor allem die Angestellten der öffentlich-rechtlichen Sender ein großes Interesse haben. Wird ZDF-Intendant Markus Schächter dem Verwaltungsrat seines Senders die Vertragsverlängerung des Chefredakteurs Nikolaus Brender vorschlagen? Nun hat der Intendant kaum einen Grund, Brenders Vertrag nicht zu verlängern. Der Chefredakteur, der durchaus ruppig sein kann, aber auch über Charme verfügt, hat seine Sache relativ gut gemacht. Anders als im Ersten Programm ist die politische Berichterstattung im ZDF zur Hauptsendezeit präsent. Brender hat die Programmplätze gut verteidigt, die Magazine clever modernisiert, die Nachrichten durch Moderatoren wie Steffen Seibert und Claus Kleber marktkonform personalisiert. Dass Schächter an der Vertragsverlängerung zweifeln könnte, hing mit starken Signalen aus der Politik zusammen. Politiker von CDU/CSU, die nach den Landtagswahlen der letzten Jahre im Fernseh- und im Verwaltungsrat des ZDF mit ihrem Freundeskreis über die Mehrheit verfügen, wollen Brender nicht. Sie möchten jemand anderes an seine Stelle setzen.

Spätestens mit einem Interview, das der hessische Ministerpräsident und stellvertretende Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrates Roland Koch (CDU) kürzlich der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)gab, wurde aus der Senderpersonalie ein Stück deutscher Innenpolitik. Denn so unverhohlen wie Koch hat sich in den letzten Jahren kein Politiker in die Belange eines öffentlich-rechtlichen Senders eingemischt. Koch zeigte sich in diesem Gespräch als eine Art Provinzfürst, der seine Leibeignen – als die er Redakteure des öffentlich-rechtlichen Systems empfindet – auf Trab halten will. Was er an angeblichen Sachargumenten gegen Brender, den er definitiv weghaben will, vorbringt, ist auf mehreren Ebenen falsch: Sachlich, weil die Klage über die Quotenverluste der Nachrichtensendungen so nicht statthaft ist. Logisch, weil die Quoten einzelner Sendungen keine Gesamtaussage zulassen, weil sie stets auch in Entwicklung der Konkurrenzangebote zur selben Zeit gesehen werden müssen. Strategisch, weil eine Orientierung der Heute-Sendung an den bei jüngeren Zuschauern erfolgreichere Ausgabe von RTL-Aktuell eine Offenbarungseid des öffentlich-rechtlichen Senders darstellte.

Katastrophaler als diese Ungenauigkeiten und Unterstellungen, mit denen Koch argumentiert, ist sein Verfassungsverständnis: Politiker seien die Grundlage der Demokratie. Das ist mit Verlaub absolut lächerlich. Grundlage der Demokratie ist die freie Meinungsbildung, aus der heraus politische Interessen sich organisieren und zu politischen Strukturen (also auch Verbänden und Parteien) führen, die wiederum Politiker hervorbringen oder bestallen. Dass Koch sagte, er und seine Kollegen bildeten die Grundlage der Demokratie, ist kein Versprecher, sondern entspringt einem beispielhaften Missverständnis und einer penetranten Selbstüberschätzung. Und genau hierin findet sich auch die Ursache seiner Brender-Schelte. Roland Koch hat vor einem Jahr eine Landtagswahl katastrophal verloren. Dass er sein Amt nicht preisgeben musste, verdankte er alleim dem Ungeschick seiner damaligen Konkurrentin. Bei der Neuwahl wiederum hat er auch nicht triumphiert. Und das versteht der Berufspolitiker nicht, weil es ja kategorisch nicht an ihm selbst und seiner Politik liegen kann. Also muss die Ursache bei den Medien liegen und beim Fernsehen vor allem.

Brender soll symbolisch für die Kochsche Wahlniederlage geopfert werden. Wenn dann noch in einer komplizierten Personalrochade in das Hauptstadtstudio ein der Kanzlerin Merkel freundlicher gesonnener Chef einzieht ist das eine angenehme Begleiterscheinung. Das symbolische Opfer hat in der CDU/CSU Tradition. Ein starker Impuls, privates Fernsehen zuzulassen, resultierte aus der Wahlniederlage von Helmut Kohl 1976. An ihr sei das öffentlich-rechtliche System Schuld, die jemanden wie Kohl eher lächerlich behandelt und seine Themen nicht auf die Agenda gesetzt habe. Deshalb musste eine kommerzielle Konkurrenz her, die die Autorität des Fernsehens insgesamt unterminiert. Schon Adenauer hatte aus Zorn über die Kritik, die ihm aus dem öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen entgegenschlug, das kommerzielle Fernsehen staatlich anschieben wollen. Sein Deutschland-Fernsehen wurde vom Bundesverfassungsgericht gestoppt. Aus den gescheiterten Plänen ging das öffentlich-rechtliche verfasste ZDF hervor, in dessen Aufsichtsgremien – so der faule Strukturkompromiss – die Ministerpräsidenten und sogar der Bund das große Wort führen.

Kochs Interview ist eine Kriegserklärung an den ZDF-Intendanten Schächter. Es ist zugleich eine Kriegserklärung an die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sollte Koch sich durchsetzen, wäre es spannend zu erfahren, wie das Bundesverfassungsgericht diesen Eingriff in die Meinungsfreiheit empfindet.

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