Gucken bis zum Schluss

Adolf-Grimme-Preis Die Verleihung des Adolf-Grimme-Preises ist eine anstrengende Veranstaltung

Zu den herausragenden Sendungen eines Fernsehjahres zählt die Übertragung der Verleihung des Adolf-Grimme-Preises, deren 40ste am 3. April abends auf 3SAT zu sehen war, gewiss nicht. Der wichtigste deutsche Fernsehpreis erscheint im Fernsehen, vorsichtig gesagt, als das, was er ist: Als besondere Anstrengung, dem deutschen Fernsehen seine besten Produktionen in einem ebenso umständlichen wie fairen Verfahren abzutrotzen. Am Bildschirm sieht das bieder bis bemüht aus, und bietet mehr Fensterreden als gute Unterhaltung.

Umständlich ist das Verfahren, weil es demokratisch ist. Jeder Zuschauer kann Sendungen eines Jahres beim Grimme-Institut in Marl als preiswürdig vorschlagen. Aus der Menge der Einsendungen nominieren dann drei Kommissionen bis zu zehn Sendungen in den Kategorien "Fiktion", "Information und Kultur" und "Unterhaltung" für den Wettbewerb. Aus ihnen wie einigen Nachrückern wählen endlich drei Jurys die Preisträger aus. Die Kommissions- und Jurymitglieder sind medienkritische Journalisten und Wissenschaftler oder kommen aus dem Erwachsenenbildungsbereich, dem der Preis und das ihn veranstaltende Grimme-Institut entstammen.

Umständlich ist das Verfahren, weil es jeder Sendung gerecht werden will. Für die Preis-Jurys heißt das: Alle Sendungen werden eisern zu Ende geschaut. Weder den schnellen Vorlauf gibt es noch eine lustvolle Abschweifung. Das erschöpft die Juroren in ihrem Tagewerk. Kein Wunder, dass es selbst die vitalste Live-Show nicht vermag, in Marl zu punkten. Wie soll sie denn auch, wenn sie ein halbes Jahr nach ihrer abendlichen Ausstrahlung an einem Mittwochmorgen um 9.00 Uhr vor einer vom abendlichen Umtrunk erschöpften Jury wiederholt wird? Was einst quicklebendig und pointensatt wirkte, erscheint bei der Marler Wiederholung nur noch schal und abgestanden.

In diesem Jahr wurde wieder nur eine Unterhaltungssendung ausgezeichnet. Wigald Bonings WIP-Schaukel, im ZDF nächtens ausgestrahlt und mittlerweile abgesetzt. Dem Minimal-Clown Boning gelang es in den besten Momenten seiner Gesprächssendung die Semi-Prominenz, die sich seinen Fragen stellte, in absurden Spiel- und Fragerunden bis zur Kenntlichkeit ihrer selbst zu inszenieren. Und es wird vor allem an seinem perfekten Spiel mit der medialen Erwartung gelegen haben, dass er den Preis erhielt. In Marl geht man zwar zum Lachen nicht in den Keller aber klettert mindestens auf eine Meta-Ebene.

Leichter hingegen haben es die Sendungen, die von einem wichtigen Thema zehren, eine Botschaft verkünden oder einfach gut gemeint sind. Sie müssen handwerklich schon arge Schnitzer aufweisen, um nicht in die engere Wahl zu kommen. Fast jedes Jahr schafft es so ein Dokumentar- oder Kulturfeature, ausgezeichnet zu werden, bei dem sich jeder, der es sah, laut fragt, ob es das wirklich wert war. So klingt die Laudatio auf den Film Schleyer - Eine deutsche Geschichte, als sei sie bei dessen Regisseur Lutz Hachmeister, vor Jahren selbst einmal Leiter des Grimme-Instituts, abgeschrieben. Da wird dem soliden, aber konventionellen Porträt in der Urteilsbegründung wörtlich eine "singuläre Qualität" zugemessen, als gälte es die Verbrechen, an denen Martin Schleyer indirekt beteiligt war, zu qualifizieren und nicht einen Film darüber.

Relativ sicher und weitgehend frei von Fehlentscheidungen sind die Ergebnisse im Bereich der "Fiktion": Hier hat sich mittlerweile ein Formbewusstsein durchgesetzt, das nicht die gute Absicht preist sondern die erzählerische und filmische Substanz. Aber auch hier stellen sich Zweifel ein. Die Jury, die Das Wunder von Lengede auszeichnete, hat den Zweiteiler von SAT1 tatsächlich noch einmal gesehen. Aber in welcher Form? In Marl lief nicht ein Mitschnitt der Fernsehausstrahlung sondern eine Kopie der Produktionsfirma. Ausgezeichnet wurde also nicht das, was die Zuschauer mit all den Werbeunterbrechungen und Sponsorenhinweisen sahen (und wohl in großer Zahl auch mochten), sondern ein Produkt, das vermutlich mit der mittlerweile existierenden Kauf-DVD des Filmes identisch ist.

Um einigen Defiziten des Preises abzuhelfen, hat die Wettbewerbsleitung vor einigen Jahren die Kategorie "Spezial" eingerichtet. Hier können sowohl Einzelpersonen, die mit ihrem Gesamtwerk ausgezeichnet werden sollen, nominiert werden wie auch Fernsehereignisse. Das führt zu einem großen Durcheinander, bei dem verdiente Veteranen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens mit Jungspunden von Privatsendern, die man in der Kategorie "Unterhaltung" auszuzeichnen sich scheute, konkurrieren. Das Ergebnis sieht dem entsprechend aus: Gert Monheim wurde für seine Redakteursarbeit für die Reihe die story (WDR) ausgezeichnet und Charlotte Roche für Fast Forward (Viva). Beide Preise waren schon länger fällig. Neu hingegen der Preis an einen wahren Außenseiter des deutschen Fernsehens: Bernd, das Brot fristet auf dem Kinderkanal eine Nischenexistenz. Aber was für eine. Ein übelgelaunter Entertainer, der alle auf komische Weise an seiner Unlust teilhaben lässt.

Dass die Stimmung in Marl auch Bernd, das Brot nicht unberührt ließ, zeigte sein Auftritt in Marl. Statt lakonisch seine Unlust, sich zu vor den Fernsehkameras zu präsentieren, kund zu tun, musste der Preisträger mit der Band seines Erfinders Tommy Krappweis lauthals zu schlechtem Mainstream-Pop singen.


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