Gut gemeint, wie neulich

Medientagebuch Der Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht eines Nachrichtensprechers: Uwe Johnsons TV-Kritik

Als am 3. Oktober das NDR Fernsehen den Film Uwe Johnson sieht fern von Saskia Walker ausstrahlte, war das nicht nur für Leser dieses Schriftstellers eine spannende Angelegenheit. Denn der Film führte an konkreten Beispielen vor, was Johnson wahrnahm, wenn er fernsah, und wie er das wiederum in eine Textform brachte. 1964 hatte der Schriftsteller, der 1959 vom Osten in den Westen Deutschlands gewechselt war, dem Berliner Tagesspiegel ein Geschäft vorgeschlagen. Würde die Zeitung das Programm des DDR-Fernsehens abdrucken, dann wäre er bereit, an mehreren Tagen der Woche eine Fernsehkritik über dieses Programm zu verfassen. Der Grund dieses Geschäfts lag in einem Vertriebsboykott, den der Springer Verlag über all jene westdeutschen Zeitungen und Zeitschriften verhängt hatte, die auf das Fernsehprogramm des Ostens hinwiesen. Johnsons Aktion war im übrigen erfolgreich. Nachdem der Tagesspiegel den Boykott ignoriert hatte, trauten sich auch andere Zeitungen mitten im Kalten Krieg auf das Fernsehprogramm des anderen Teil Deutschlands hinzuweisen.

1987 hatte der Suhrkamp Verlag, drei Jahre nach dem Tod des Schriftstellers, die Fernsehkritiken unter der Überschrift Der 5. Kanal publiziert. Aber erst der Film von Saskia Walker brachte die besondere Leistung von Johnson zu Tage, weil sie aus Archiven Mitschnitte der Sendungen ausgrub, die der Schriftsteller besprochen hatte. In der Montage von Bild und Text schienen die besonderen Fähigkeiten des professionellen Beobachters wie des süffisanten Kommentators Johnson auf. Einmal entwickelte er am Beispiel des Anflugs eines Lächelns, das sich auf dem Gesicht des Nachrichtensprechers Hans-Dieter Lange zeigte, als dieser im Juni 1964 nach einem Lob des sommerlichen Wetters in der DDR darauf hinwies, dass auf dem Ätna Schnee gefallen sei, so etwas wie eine Fundamentalkritik. Sie richtet sich gegen das im lächelnden Bescheidwissen behauptete Einverständnis zwischen Sprecher und Zuschauer. Bei Nachrichten, die günstig für ihre Regierung ausfallen, lächele immer der Sprecher "ganz allein in sein Parteiabzeichen".

Johnson variierte seine Haltung in den Texten. So kritisierte er oft die Banalität des Programms, wies aber auch im voraus auf ihm wichtige Spielfilme der DEFA hin oder lobte die Ausstrahlung von Dokumentarfilmen (etwa von Jerzy Bossak). Doch die Wirkungslosigkeit seines Schreibens, die jeder Fernsehkritiker kennt, beunruhigte ihn so mächtig, dass er sich am 14. August 1964 einen Spaß machte. An diesem Tag publizierte er eine Fernsehkritik eines Filmes "über Glanz und Elend der Beatles, wie er gegenwärtig im westberliner Zoo-Palast zu sehen" sei und der am Vorabend vom DDR-Fernsehen ausgestrahlt worden wäre. Gemeint war Richard Lesters Spielfilm Yeah yeah yeah, der ja im Gewand eines Dokumentarfilms über eine England-Tournee der Musiker daherkommt. Im Programm der "Fernsehanstalt Adlershof" sei das wie eine Offenbarung gewesen: "Das raste, das kreischte, witzelte und brüllte aus dem Bildschirm wie die Eröffnung eines neuen Zeitalters für die unterhaltenden Künste Ostdeutschlands". Die Fernsehkritik war selbst ein hohnlachender Witz, denn natürlich lief der Film nicht an dem zu besprechenden Programmtag (12. August) im DDR-Fernsehen. Doch auch diese Provokation verpuffte. Nur Westberliner Kino-Unternehmer beklagten sich, weil diese Ausstrahlung ihr Geschäft geschädigt hätte.

32 Jahre nach Johnsons Kritiken und eine Woche nach Ausstrahlung des Filmes über sie hier nun so etwas wie einen Versuch, ob sich die Haltung von Johnson auf das gesamtdeutsche Programm übertragen lässt: Es stehen dem deutschen Publikum nun nicht mehr wie damals drei Kanäle (2 West, 1 Ost) zur Auswahl sondern 30 und mehr. Doch die Vielfalt schrumpft beim raschen Durchschalten zu einer Mischung, wie sie Johnson bereits 1964 antraf und die er in den Überschriften seiner Artikel festhielt: "Routine", "Gut gemeint" oder "Wie neulich". Die ARD beispielsweise wiederholte zur besten Sendezeit eine alte Serie. Das ZDF variierte in seinem Fernsehfilm der Woche das derzeit sehr beliebte Thema der Patchwork-Familien. RTL präsentierte eine neue Show, in der Semiprominente der untersten Bekanntheitsskala mit Eislaufprofis das Paarlaufen proben. Auf Pro Sieben bilanzierte am späteren Abend Stefan Raab das Autorennen, das er zwei Tage zuvor live mit den anderen Semiprominenten der untersten Bekanntheitsskala für seinen Sender veranstaltet hatte. Zur selben Stunde bot Reinhold Beckmann in der ARD dem ZDF-Mann Dieter Thomas Heck die Plattform einer bräsigen Selbstdarstellung.

Nur eine Sendung fiel aus dem Rahmen und zwar das Quiz Wer wird Millionär? mit Günter Jauch auf RTL. Denn an diesem Abend gelang es zum fünften Mal in der mehrjährigen Geschichte dieser Sendung, dass ein Gast mit dem Hauptgewinn davonzog. Wie der junge Mann, der sein Studium nach Einführung von Studiengebühren abgebrochen und eine Mechanikerlehre begonnen hatte, sich durch den Parcours der Fragen kämpfte, wie er souverän die Tricks und Finten des Moderators durchschaute, wie er klug abwog, welches Risiko er eingehen sollte, das sah man mit Sympathie und Freude. Jauch bewies an diesem Abend, weshalb er in diesem Quiz zu sich gekommen ist. Bei aller Distanz und Routine kann er sich immer wieder mit sympathischen Zeitgenossen mitfreuen, die er zudem geschickt in Gespräche über die Alltäglichkeiten des Lebens zu verwickeln versteht. Nur eines war an diesem Tag merkwürdig, an dem auch gemeldet worden war, dass der Jackpot des Lottos geknackt worden sei. Angesichts des mehr als 30 Millionen Euro umfassenden Lottogewinns erschien die Million, die der Kandidat bei RTL gewonnen hat, für einen Augenblick wie ein Taschengeld. So blitzte im selben Augenblick die öffentliche Inflation des geldbasierten Glücks auf, die derzeit von vielen Seiten betrieben wird und die von den realen Verlusten ebenso konsequent wie bewusst ablenken soll.

Im Alltag des Fernsehens und in den zufälligen Begegnungen, die das Springen durch die Programm hervorbringt, entdeckt man oft mehr als in der klugen Beschäftigung mit dem einzelnen Film, der einzelnen Sendung. Ähnelt beispielsweise die auf Dauer gestellte Sendung Christiansen nicht jener Musterdiskussion, die Saskia Walker in ihrem Johnson-Film zeigt? In ihr erörtern umständlich Fachleute die Frage, wie denn im Sommer 1964 die Ernte ausgefallen sei.


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