Am Montag unternahmen die Landesmedienanstalten, die für die Kontrolle der privaten Fernsehveranstalter zuständig sind, einen letzten Versuch. Erst kündigten sie an, man wolle die Show Big Brother (RTL 2) verbieten. Dann - vermutlich nach dem aus Tarifverhandlungen bekannten "zähen Ringen" - gaben sie bekannt, man habe sich mit dem Sender darauf geeinigt, dass die Teilnehmer der Show täglich für eine Stunde (vulgo: sechzig Minuten) einen Raum aufsuchen dürfen, in dem sie nicht von Kameras gefilmt werden. Doch auch dieser schlagzeilenträchtige Versuch einer juristischen Intervention kommt zu spät. Big Brother ist nicht mehr zu helfen. Denn, machen wir uns nichts vor, all die Proteste und angekündigten Interventionen waren nichts anderes als billige Reklame für die sich bei näherem Ansehen als fade und langweilig entpuppende Veranstaltung.
Schon die Startfolge am 1. März ließ das Schlimmste erahnen. In einer unendlich lang gezogenen, zwei Tage zuvor aufgezeichneten und dann doch in einer Form von talmi-live präsentierten Show wurden die zehn Teilnehmer oder - wie Guido Westerwelle sagen würde - Wettbewerber vorgestellt. Auffallend an den kleinen, dennoch mit viel Aufwand produzierten Einspielfilmen, in denen sich jeder von ihnen präsentieren durfte, war die angestrebte Professionalität. Sie erweckten fast alle den Anschein, als hätten sie Zeit ihres Lebens nur vor der und für die Kamera gelebt. Kein Wunder, dass ihre Gesichter und Körper an Prominente aller Art erinnerten. Der eine versuchte so grimmig zu wirken wie Claude Oliver Rudolph, der zweite agierte wie eine klebrig-joviale Mischung aus Wolf-Dieter Poschmann (ZDF) und Harald "Toni" Schumacher (zuletzt: Fortuna Köln), die dritte glich der Schriftstellerin Sibylle Berg ("Sex") subtil bis auf die Wangenknochen. Nur einer Teilnehmerin misslang das Spiel aus Imitation und Posing. Sie sollte denn auch am Ende der ersten Woche die Segel streichen und als erste aus dem Rennen um die 250.000 Mark ausscheiden.
An diesem Eröffnungsabend war den Moderatoren, ein gegelter Schnarchsack namens Percy Hoven und ein fröhlich gackerndes MTV-Huhn namens Sophie Rosentreter, allerdings das Haus der Kameras wichtiger als die Teilnehmer, die in jenes einzogen. Voller Stolz demonstrierten sie, welche Blicke die Zuschauer durch Zwei-Wege-Spiegel, mittels Infrarotoptik und dank versteckter Deckenkameras auf das alltägliche Leben der durchweg jugendlich wirkenden Kader werfen können dürfen oder sollen. Verschmitzt wurde der Einblick in die Dusche annonciert, die Jugendherbergsbetten vor der alles in ein grünliches Grau tauchende Infrarotkamera getestet, die Schwenkbarkeit der Küchen- und der Wohnzimmerkameras vorgeführt. Das hatte etwas von jenem Charme, mit dem Türsteher im Rotlichtbezirk Besucher in ihre Etablissements zu locken versuchen. Und der Wohncontainer nebst Vorgarten erschien wie eine wilde Mischung aus amerikanischem Knast, verrottendem Vorort-Jugendheim und sozialdemokratischem Verkehrsknotenpunkt.
Daran sollte sich in den nächsten Tagen bei den abendlichen Zusammenfassungen nichts ändern. Gewiss, man konnte die um das große Geld konkurrierenden Körper in Ruhe betrachten. Die jungen Menschen präsentierten, so hatte es den Anschein, den zahlreichen Kameras gerne und bewusst ihre gestählten Muskelpakete oder ihre gesalbten langen Beine. Aber mehr war auch nicht zu sehen. Statt dessen durfte man ihren Smalltalk miterleben, der sich vor allem um die Salbung und Stählung eben ihrer Körper drehte. Jede Straßen- oder U-Bahnfahrt ist da spannender. Daran änderten auch kleine Aufgaben wie der Bau eines Hühnerstalls oder das allabendliche Kochen nichts. Erst als es um die Auswahl der beiden Kandidaten ging, die den Zuschauern zum Rausschmiss anempfohlen werden sollten, kam ein wenig Stimmung auf. Doch die verpuffte sofort, als stereotyp soziale Argumente angeführt wurden, nach denen die oben bereits erwähnte schwächste Teilnehmerin aus Gründen des Schutzes ausscheiden sollte. Und der Ausstieg eben dieser Kandidatin verwirrte die Produzenten so sehr, dass für Minuten keiner mehr wusste, wie es nun weitergehen sollte. Genial!
Entgegen dem Geschwätz all der Medienschützer verstößt Big Brother gegen keine gesellschaftliche Regeln. Es verabsolutiert vielmehr eine Reihe von ihnen. Beispielsweise die Regel, dass nur der Fitte durchhält. Oder dass nur der sozial Kompatible, also Flexible überlebt. Und dass Siegertypen vor der Kamera, sei diese geheim oder demonstrativ auf ihn gerichtet, bestehen müssen. Auch die Bilder, die von der Sendung gezeigt werden, sind nicht neu oder ungewöhnlich. Wir kennen sie aus dem spannenden Fernseh-Quiz, in dem es in der Regel um noch viel mehr Geld geht und ebenfalls nur einer alles gewinnt. Aus dem sozial engagierten Dokumentarfilm, der das Elend detailliert ausbreitet. Aus der ethnologischen Studie, die sich filmisch der Sitten und Gebräuche der Eingeborenen Mitteleuropas annimmt. Oder aus der Polizeifahndung, die Täter mittels schwarz-weißer Videoüberwachungsbilder ausfindig machen will.
Nein, Big Brother verstößt vor allem gegen eine Regel, nämlich die der Unterhaltung. Selbst auf die Dauer weniger Minuten vermag sie kein Interesse zu halten. So erscheint sie als das perfekte Durchschaltprogramm, das man in den Werbepausen der anderen Sender ansteuert, um für wenige Minuten zu überprüfen, ob das Experiment noch weitergeht und die Probanden sich und die Zuschauer weiter langweilen. Die Folgen sind für den Sender, der ja viel Geld und Hoffnung in die krude Spekulation um Entrüstung und Aufregung investiert hat, dramatisch. Seit der Auftaktsendung sinkt die Quote von Tag zu Tag stetig. Und spätestens am Montag dürfte sie für den Sender einen gefährlichen Tiefpunkt erreicht haben.
Die tollkühne Aktion der Landesmedienanstalten hilft da, wie gesagt, Big Brother nicht sonderlich. Erfolgversprechender ist da schon eine Aktion von Stefan Raab, der in seiner Show auf Pro Sieben ankündigte, einer der BigBrother-Kandidaten sei von ihm eingeschmuggelt worden. Das eröffnet die Aussicht auf ein ganz anders geartetes "rat race", nämlich das der kommerziellen Fernsehsender. Noch hilfreicher wäre allerdings das Engagement der Boulevardpresse. Doch die hält sich vornehm zurück, gehört sie doch mehrheitlich nicht zum Bertelsmann-Konzern, zu dem RTL 2 gehört, sondern zur Kirch-Familie, die bald auf SAT 1 ein neues Quiz-Format starten wird. Fordern wir also statt eines Verbotes ein, zwei, viele Big Brother-Sendungen: Aus dem CDU-Präsidium, aus der Chefredaktion von Bild, aus der Stabstelle von Leo Kirch.
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