Intensiver war Fernsehen nie

Medien Der Tag, an dem Horst Königstein den NDR verlässt: Abschied von einem Fernsehredakteur, der das Medium nicht nur durch die Zusammenarbeit mit Heinrich Breloer geprägt hat

Wenn Horst Königstein in diesen Tagen, zu seinem 65. Geburtstag, aus dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) ausscheidet, für dessen Fernsehprogramm er seit 1970 arbeitete, dann bedeutet das eine Zäsur. Denn der Redakteur, der zugleich als Autor und Regisseur für das Fernsehen gearbeitet hat und nebenbei Songtexte für Udo Lindenberg oder Peter Gabriel schrieb, war unter den Hochschulabsolventen, die Ende der 1960er Jahre in die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten drängten, einer der wenigen, die das Fernsehen von Anfang an als populäres Medium ernst nahmen.

Es war für ihn weniger ein Bildungsinstrument, politische Lehranstalt oder gar reine Unterhaltungsmaschine. Er begriff und begreift es bis in die jüngsten Arbeiten, die er als Redakteur betreute oder selbst inszenierte, als ein Medium, in dem das Ernste und das Alberne, das Exotische und das Alltägliche, das Bizarre und das Hypernormale zu immer wieder neuen Formen zusammenschießen. Ein Medium, das eben nicht kühl und distanzierend wirkt, sondern an- und aufregend, das den Blick auf die Verhältnisse intensiviert und konzentriert und das vieles sein darf, nur nicht belanglos. Kurz: Fernsehen von hoher Intensität.

Mit dieser Haltung regte er früh Erkundungen in die Popkultur und -industrie an (Reihe Sympathy with the devil), beschäftigte sich mit der Alltags- wie mit der Popkultur (so im Drehbuch für den Film Der Tag, an dem Elvis nach Bremerhaven kam), dechiffrierte die Kultur der Weimarer Republik (der Dreiteiler Haus Vaterland) und untersuchte immer wieder das Medium, für das er selbst arbeitete (so in der von ihm verantworteten Reihe Fernsehauge). Mit Heinrich Breloer entwickelte er das Genre des Dokumentarspiels, das vor allem im ZDF der 1960er Jahre als eine Art Staatstheater gepflegt wurde, zu einer besonderen subjektiven Filmform weiter, in dem inszenierte Passagen die gründlich recherchierten dokumentarischen Sequenzen ergänzen, durchkreuzen und mitunter konterkarieren. Beim ersten Film dieser Form (Das Beil von Wandsbek nach dem gleichnamigen Roman von Arnold Zweig) inszenierte Horst Königstein die Spielsequenzen noch selbst. Später fungierte er als Koautor für die dann allein von Breloer gestalteten Fernsehfilme wie etwa den Mehrteiler Die Manns – Ein Jahrhundertroman oder den Kinofilm (und Fernsehzweiteiler) Buddenbrooks.

Birgit Breuels Musikgeschmack

Die von Königstein selbst inszenierten Filme sind von einer mitunter rücksichtslosen Subjektivität. Damit machte er sich gelegentlich angreifbar, wenn er etwa das Alltagsleben der Nazizeit in seiner Normalität zeigte oder Veit Harlan als eine Art „Popstar“ der Nazizeit untersuchte. Noch zuletzt eckte Königstein an: die Kritik verübelte ihm seinen sanften Blick auf die Treuhand-Chefin Birgit Breuel, die er aber zu Beginn gleich mit der Frage verdutzte, ob es Popmusik gäbe, die sie möge. Viele Filme kreisen um die Frage, wie Menschen ihr Leben nach den Mustern schneidern, die ihnen populäre Medien vorgeben. So stellte Königstein auf einer Reise auf den Spuren der Fernsehserie Denver-Clan fest, dass die Schauspieler längst die Rollen verinnerlicht haben, die sie einst spielten. Und in Besuch bei Joan beschreibt die der Schauspielerin Joan Crawford nachempfundene Hauptperson, wie sie ihr Leben für die Öffentlichkeit modelte.

Königstein hat das Fernsehen und seine Zuschauer gefordert, provoziert und hat ihnen zugleich sehr viele bewegende, komische, heitere Momente geschenkt. Pflichtübungen kannte er nicht und gelangweilt hat er nie. Deshalb wird er fehlen. Und deshalb ist sein Abschied eine Zäsur des öffentlich-rechtlichen Projekts.

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