Der Verteidigungsminister sah am Ende alt aus. Als am Freitag, den 7. Mai, um 20.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit die Live-Übertragung der Anhörung von Donald Rumsfeld vor dem Verteidigungsausschuss des US-Senates bei CNN International zu Ende ging, waren die Spuren der Anstrengung auf dem Gesicht des Politikers im Pensionsalter nicht zu übersehen. Sein Gesicht lag in Falten, der Oberkörper zuckte unruhig vor und zurück, und sein Blick suchte links und rechts nach den Mitarbeitern, die ihm pflichtschuldig beruhigend zunickten. Noch kurz vor Ende der Anhörung hatte er mit einem Ausfallschritt von den Foltervorwürfen ablenken wollen, die in den amerikanischen Medien auf Basis von Amateurfotografien und einem Untersuchungsbericht erhoben worden waren. Rumsfeld erklärte die Veröffentlichung dieser Details zum Rechtsverstoß. Doch damit kam er nicht weit. Einer der Senatoren, sichtlich erbost und erregt über diese Verdrehung der Verhältnisse, wies den Verteidigungsminister darauf hin, dass er selbst den ersten Rechtsverstoß begangen habe, der darin bestand, die Vorkommnisse im Bagdader Abu-Ghraib-Gefängnis dem Senat zu verschweigen.
Die Bilder aus dem Gefängnis, die seit dem 28. April durch die Weltpresse gehen, haben dem Ansehen der USA schwer geschadet. Sie bezeugen einen Werteverlust, wie er sich für die USA kaum schlimmer vorstellen lässt. Dem Land war als letztes Argument für den Krieg gegen Saddam Hussein, nachdem sich alle Aussagen über Massenvernichtungswaffen als bewusste Lügen herausstellten, die Idee verblieben, man habe dem Irak die Freiheit bringen wollen. Nun dokumentieren digitale Amateurfotos, dass der befreite Folterkeller Saddams zum Schauplatz von neuem Terror wurde. Aber es ist weniger der Aspekt direkter körperlicher Gewalt, die den Betrachter der Fotos aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis verstört. Sie wäre die Fortsetzung der kriegerischen Auseinandersetzung auf neuem Terrain. Tatsächlich sehen sich die Besatzer, die Frieden und Freiheit bringen wollten, und die, die mit ihnen als Polizisten und Zivilbeamter zusammenarbeiten, täglich Terrorangriffen ausgesetzt.
Nein, was an den Bildern verstört, ist die Kalkulation der Schamverletzung. Die Gefangenen werden entblößt zur Schau gestellt, sie werden als sexuelle Wesen den Blicken preisgegeben, sie werden verhöhnt und verlacht, sie werden zum Material von sexuellen Inszenierungen. Die Bilder, auf denen ein nackter Gefangener wie ein Hund von einer Militärpolizistin an der Leine geführt wird oder auf denen nackte Gefangenen zu einem Körperhügel arrangiert werden, erinnern nicht zufällig an Standfotos aus dem Spielfilm Salo oder die 120 Tage von Sodom von Pier Paolo Pasolini. In diesem (einem Text von de Sade folgenden) Film aus dem Jahr 1975 zeichnet der italienische Regisseur das Bild einer soldatesken Gewaltorgie, die von deutschen SS-Männern und italienischen Faschisten im Reststaat Mussolinis 1944 organisiert und inszeniert wird. Wie die Gefangenen des Films im ersten ihrer drei Höllenkreise erscheinen die Gefangenen auf den Fotos aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis als domestizierte Tiere, die am Lederband geführt werden, oder als organische Materie, die ornamental im Raum arrangiert wird.
Es ist diese inszenatorisch ausgeklügelte Dopplung aus körperlicher Unterwerfung und seelischer Demütigung, die den Betrachter verstört. Dass diese Szene fotografiert wurde, erscheint geradezu zwangsläufig. Erst im Abbild erhält sie ihre Funktion und Bedeutung. So transportiert selbst ihre kritisch gemeinte und verstandene Veröffentlichung immer noch die Drohung, nach der es anderen ebenso ergehen könnte, die sich den Besatzern widersetzen. Gleichzeitig verstärkt der Charakter des Amateur-Schnappschusses die Brutalität des Bildes. Der Fotograf wie die posierende Soldatin zeigen Gesten, wie man sie auch beim heimatlichen Barbecue einnehmen würde, wenn der eine die andere aufnimmt, wenn sie sich mit ihrem Hund vor dem Grill zeigte. Es ist diese private Spur, die das Dokument einer heillos aus dem Ruder gelaufenen Politik für die USA so gefährlich werden lässt.
Der amerikanische Präsident beherrscht die Verhältnisse, die er mit seiner ideologisch begründeten Intervention im Irak schuf, weder administrativ noch politisch. Bei seinen kurzen Fernsehauftritten wirkt der stets hüftsteif winkende, mit aufgeschminktem Lächeln um Sympathie werbende und tiefe Religiosität versprühende Bush der Karikatur immer ähnlicher, die in der englischen Comedy-Serie 2DTV von ihm gezeichnet und animiert worden war: Ein kleiner Junge in zu großem Anzug, der in kriegswichtigen Fragen den führenden General bittet, ihm die Lage durch den Berater Professor Liebstrom erklären zu lassen. Der General wehrt sich verzweifelt gegen dieses Ansinnen. Doch der Präsident beharrt darauf wie ein Kleinkind auf einer Lieblingsspeise. Schließlich entledigt sich der General eines Schuhs und einer Socke, klettert unter den Schreibtisch des Oval Office, um dann die linke, nun in der Socke steckende Hand über die Schreibtischkante zu schieben und die so entstehende Puppe in simpelsten Wendungen ("Bum Bum Saddam tot!") die Kriegslage erklären zu lassen. Bush versteht endlich und patscht sich glücklich in die Hände. (2DTV lief Anfang des Jahres nachts bei Pro Sieben, von der neuen Staffel findet sich ein Sketch mit Bush und Schwarzenegger auf der gleichnamigen Internetseite.)
Die Amtszeit von George W. Bush wird mit diesen Bildern inbrünstiger Religiosität, pornografischer Gewalt-Inszenierungen, planmäßiger Militärgewalt, administrativer Arroganz und infantiler Dummheit in die Geschichte eingehen. Und sie werden die Bilder eines Saddam Hussein (von der exstatischen Selbstfeier über die Opfer seines Regimes bis zu seiner Festnahme) überlagern.
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