Kann Will, wie sie will?

Medientagebuch Die Modernisierung des Polittalks scheitert an der eingeschliffenen Rhetorik der Berliner Politik

Vor dem Start gab es jede Menge Vorschusslorbeeren. Besser als ihre ungeliebte Vorgängerin Sabine Christiansen sollte es Anne Will, die bis zum Sommer die Tagesthemen moderiert hatte, doch hinbekommen. Mit der neuen Moderatorin sollte die politische Talk-Show der ARD am Sonntagabend an Kontur gewinnen. Endlich vorbei die Zeiten, in denen eine ewig gleiche Runde mit dem Countertenor Guido Westerwelle an der Spitze das ewig gleiche hohe Lied der liberalen Marktwirtschaft sang. Vorbei auch die konfuse Gesprächsführung der Moderatorin Christiansen, die mit strengem Gesichtsausdruck und übereinander gelegten Beinen ihre Runde so plappern ließ, wie der jeweils zumute war.

Anne Will schien alles nur besser machen zu können, obgleich sie doch vieles von ihrer Vorgängerin übernahm. So ziert auch ihr Name die Sendung, als stünde sie im Mittelpunkt und nicht die politischen Themen. Wie Christiansen produziert auch Anne Will ihre Sendung selbst, was bedeutet, dass ihre Redakteure zugleich ihre Angestellten sind, was wiederum die wechselseitige Kritik an Konzept und Moderation nicht erleichtert. Aber Anne Will wechselte wenigstens das Studio und ließ sich einen neuen Innenraum schreinern, der heller und offener wirkt als das U-Boot-ähnliche Christiansen-Studio. Auch die Unterzeile der Sendung ließ auf Verbesserung hoffen: "Politisch denken, persönlich fragen". Und noch eine weitere Novität gab es seit der ersten Sendung am 16. September zu bestaunen. Der kreisförmig angeordneten Sitzgruppe der Gäste ist vor der Zuschauertribüne eine Art Katzentisch vorgebaut, an der Anne Will einmal pro Sendung weitgehend unbekannte Menschen interviewt, die auf irgendeine Weise persönlich mit dem Thema zu tun haben.

Im Rückblick auf die ersten sechs Sendungen fällt nun außerdem auf, dass die Redaktion sich traut, nicht nur die üblichen Themen zu besetzen oder die erwartbaren Gäste einzuladen. Gewiss, da gab es auch Sendungen wie die zur Lage der DDR-Flüchtlinge, die nichts anderes war als die marketingtechnische Verlängerung eines Fernsehfilms der ARD mit anderen Mitteln. Aber es gab auch Gesprächsrunden, in denen beispielsweise mit dem Schauspieler Rolf Becker ein Mann zur Debatte um den Lokführerstreik auftauchte, der zur Überraschung aller ökonomisch argumentierte und zugleich die Rechte der Gewerkschaften auf Streik eisern verteidigte. Auch die Einladung an die Chefin eines kleinen Ökostromanbieters, Ursula Sladek, am vergangenen Sonntag war eine solche positive Überraschung, weil sie es selbstbewusst mit dem Vorstandsvorsitzenden von Eon, Wulf Bernotat, aufnahm.

Gleichzeitig kann man an der Sendung vom 21. Oktober (Preise unter Strom - Wie die Energiekonzerne Kasse machen) gut die strukturellen Schwächen der Sendung illustrieren. Tatsächlich sind die Gespräche mit den Betroffenen nur eine Art Alibi für das klassische Gespräch zwischen Fachleuten und Politikern. Der diesmal eingeladene Diplom-Ingenieur, der in seinem Haus auf jedweden Fremdstrom verzichtet und wegen eines defekten Windrades auch einem ziemlich düsteren Winter entgegenblickt, war nicht mehr gut als für eine Pointe und für eine Schlussfrage. Grundsätzlich bleibt das Dilemma, dass die Gäste, die hier Platz nehmen, schon strukturell degradiert sind. Sie sollen nur eine Art von Betroffenheitsmaterial für diejenigen liefern, die über ihnen sitzen und die also auch nur über sie und nicht mit ihnen sprechen. Des Weiteren kann auch Anne Will gegen die Rhetorik der politischen Klasse in Deutschland nicht an. Sie ist zwar mitunter durchaus frech, kontert schnell und lässt sich nicht so schnell beiseite drücken wie ihre Vorgängerin. Aber ihre Versuche beispielsweise, aus dem Eon-Chef das Geständnis der Preisabsprache mit einer lächelnd vorgetragenen Frage hervorzulocken, wirkten naiver, als sie selbst tatsächlich ist.

Der Eon-Chef verlegte sich denn auch irgendwann aufs Schweigen, während sich die Politiker in Gestalt des Wirtschaftsministers Michael Glos und der Grünen-Politikerin Bärbel Höhn über periphere Fragen beharkten. Während Glos den mundfaulen Kauz spielte, der sich als Politiker hilflos der Preiswillkür des Strom-Oligopols gegenüber stehend sieht, gab Bärbel Höhn Kostproben einer Rhetorik, die vielleicht noch auf grünen Parteitagen verfängt, aber nicht in einem kleinen Fernsehstudio. Anne Will wirkte in diesem Dialog wie ein Gast in der eigenen Sendung. Und so entstand der Eindruck einer doppelten Hilflosigkeit - gegenüber der unverfrorenen Selbstdarstellung des Strom-Managers und im Umgang mit der eingeschliffenen Rhetorik der Berliner Politik. Dem schaut man noch mit einer gewissen Sympathie zu. Ob die auf Dauer langt, das Interesse an der Sendung wach zu halten, ist zu bezweifeln.

Bleibt die vielleicht beste Idee der Redaktion, in den Kreis politische Köpfe wie den erwähnten Schauspieler Becker einzuladen, der sich gewiss beim Studium der Zahlen der Deutschen Bahn AG an sein einstiges Marxismus-Studium erinnert fühlte und dem entsprechend sicher und souverän den immer wie aufgedreht wirkenden Bahnchef Hartmut Mehdorn mit seiner Suada aus marktwirtschaftlichem Jargon und antigewerkschaftlicher Agitation in die Schranken verwies. Mit solchen Gästen könnte die Sendung die Republik aus ihrem saturierten Sonntagabendschlaf reißen. Wenn sie es denn will.


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