Nichts geht über Realsatire

Medientagebuch Höher geschätzt als oft gesehen: Zum Abschied von Dieter Hildebrandts "Scheibenwischer"

Der Fernsehkonsument gibt sich besser, als er ist. Nach seinen Fernsehgewohnheiten befragt, berichtet er, nur Arte und gelegentlich 3Sat zu sehen. RTL, SAT1 oder Pro Sieben kenne er nicht. Wetten, dass..? habe er zufällig gesehen, und Wer wird Millionär? dünke ihm als Spiel mit dem Viertelwissen. Dennoch hat dieser kulturbeflissene Fernsehkonsument seine Vorlieben. Er ist unter den ersten, die protestieren, wenn eine seiner alten und angestammten Sendungen ihren Sendeplatz verliert oder gar ganz aus dem Programm verschwindet. Er, der dem Fernsehen jede kulturelle Relevanz abspricht, macht nun mobil. Die Sendungen, die er schützen will, hat er allerdings seit Jahren nicht mehr gesehen. Befragt, wüsste er nicht einmal, wann sie wo ausgestrahlt würden. Aber gegen ihr drohendes Verschwinden oder ihre Reform protestiert er. Weil sich daran der Verfall des Mediums, dem er gerade noch Unwichtigkeit attestiert hatte, zeige.

Der Scheibenwischer, der am 2. Oktober ausnahmsweise zur besten Sendezeit in der ARD den Abschied von Erfinder und Doyen Dieter Hildebrandt feierte, gehörte zu diesen Sendungen, die weniger gesehen als verehrt wurden. Die seit 1980 ausgestrahlte Kabarett-Sendung von und mit Dieter Hildebrandt hat zuletzt nur noch ein kleines, selbst für öffentlich-rechtliche Sendungen zu kleines Publikum gefunden. Daran trugen die Programmplaner der ARD kräftig Mitschuld, die noch die dümmsten Gala-Veranstaltungen oder zweitklassige Fußballspiele bevorzugten und so den Scheibenwischer häufig verschoben. Man kann jede Sendung, die man nicht mag, in eine Lage bringen, in der sie objektiv schlecht ausschaut.

Doch es lag auch an der Sendung selbst, die am klassischen Kabarett-Auftritt (Solo, Duo, Gesang) noch festhielt, als andere Sender längst mit filmischen Formen und Formaten aufwarteten. Die Schwächen demonstrierte selbst die Abschiedssendung, zu der Hildebrandt noch einmal die besten Freunden und Kollegen versammelt und für die man in der ARD die beste Sendezeit (und selbst eine Ankündigung in der Tagesschau) spendiert hatte. Es liegt eine gewisse Müdigkeit auf den (west-)deutschen Kabarettisten. Das mag an der Realsatire liegen, nach der beispielsweise ein Friedrich Merz (CDU) den Gesundheitskompromiss ablehnt, weil sie der Pharma-Industrie schade. Das ist kabarettistisch nicht zu übertreffen.

Aber auch zu Schröder fällt den Kabarettisten wenig ein. Zu den Reformen, die der Kanzler durchpeitscht, noch weniger. Sozialabbau durch die Regierung, die man selbst gewählt hat, wird weniger gegeißelt, als wenn er von Kohl oder Stoiber betrieben worden wäre. Daran ändert auch die Nummer nichts, mit der Mathias Richling die Gesundheitsministerin Ulla Schmidt imitierte und persiflierte. Dass Richling im Kleid antrat und die Aachener Dialektfärbung nachahmte, war schon die Spitze seiner Komik. Bruno Jonas und Dieter Hildebrandt spielten lieber mit ihren eigenen Problemen als mit den Defiziten gegenwärtiger Politik. "Hängen wir schon jetzt?", befragte Jonas den Gastgeber, als der in sein für ihn typisches Stottern verfallen war. Auch später war man sich als Zuschauer nicht ganz sicher, ob das Duo den Faden wirklich verloren oder nur geschickt verknotet hatte.

Nur zweimal kam so etwas wie die für ein politisches Kabarett typische Schärfe auf. Richard Rogler attackierte nicht nur die gegenwärtigen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten sondern auch den gegenwärtigen Amtsinhaber: Das Schloss Bellevue sei doch seit längerem nichts anderes als das Endlager für ausgebrannte Elemente. Und Georg Schramm, der mit schwarzer Handprothese eine Art konservativen Militär gab, kritisierte die amerikanische Politik aus der rechten Perspektive dergestalt, dass den (vermutlich eher linken oder linksliberalen) Zuschauern der Atem gestockt haben müsste. Doch das Publikum im Berliner Zelt klatschte unverdrossen durch, als sei nichts dabei, dass rechte und rechtsradikale Parolen so wunderbar zur eigenen linken Gesinnung passten. Schramm machte es ihnen allerdings auch leicht. Anders als der vor anderthalb Jahren verstorbene Kabarettist Matthias Beltz (einst ebenfalls Stammgast beim Scheibenwischer) hält er seine fiktive Figur nicht durch. Das schwächte vor allem seinen zweiten Auftritt.

Wenn es eines Hinweises bedurft hätte, weshalb der Scheibenwischer in den letzten Jahren an Attraktion verloren hatte, dann lieferte ihn Konstantin Wecker frei Haus. Sein Gesang tremolierte jene aufrechte Gesinnung, mit der sich die Seele ebenso einfältig wie billig möblieren lässt. "Deshalb reimen wir die alten Reime", sang er unverdrossen, ohne zu bemerken, dass das in Anwesenheit der neuen und ersten RBB-Intendantin Dagmar Reim ungewollt ein Namenswitz auf dem Niveau eines Stefan Raab war. Weckers Auftritt erinnerte daran, wie das bundesdeutsche Kabarett in den siebziger Jahren ausschaute, als es mit Kanzler Helmut Schmidt dieselben Probleme hatte wie heute mit Schröder. Die Anwesenheit einiger Politiker, die wie Ulla Schmidt vor allem dann heftig klatschten, wenn sie oder ihre Parteifreunde gemeint waren, erinnerte hingegen an die frühen sechziger Jahre. Auch damals fand sich die politische Klasse einmal im Jahr ein, um sich vom Kabarett eintunken zu lassen. Nichts dürfte dessen Harmlosigkeit stärker demonstriert haben als die Akklamation durch Regierungsmitglieder. Umgekehrt ist die Anwesenheit der Politiker ein Zeichen dafür, dass sie sonst in Berlin und an ihrer Regierungspolitik wenig zu lachen haben.

Der Fernsehkonsument, der den Scheibenwischer in den letzten Jahren kaum noch eingeschaltet hatte, war natürlich bei diesem öffentlich-rechtlichen Abgang, der selbstverständlich auch etwas Rührendes hatte, zur Stelle. 5,65 Millionen Zuschauer wurden so Zeuge des Abschieds, den Dieter Hildebrandt von seiner Sendung nahm. Hätten zur Regelsendung immer so viele eingeschaltet, hätte es diesen Abschied allerdings nicht gegeben. Bruno Jonas und Kollegen machen weiter. Allerdings zu einer späteren Sendezeit. Dann ist der Fernsehkonsument, der kulturell so beflissen ist wie das Programm, das er sieht, müde. So müde, wie das Kabarett diesmal anmutete.

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