In einer Zeit, in der Fake News über soziale Medien in Umlauf gebracht werden, scheint die Kritik an den klassischen Medien an Bedeutung verloren zu haben. Dabei ist das, was Radio und Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen in Deutschland an Nachrichten publizieren, weiterhin jeder Kritik wert. Vor allem die Programme der öffentlich-rechtlichen Sender sollten aufmerksam gemustert werden, legitimieren sie sich auch dadurch, dass sie keinen gesellschaftlichen Teilinteressen folgen dürfen und so etwas wie eine unabhängige Information der Gesamtgesellschaft garantieren müssen. Selbstverständlich ein hohes Ideal. Kritik an diesem Anspruch ist also auch zur Legitimation des öffentlich-rechtlichen Systems notwendig.
Deshalb ist eine Publikation wie der Band Die Macht um acht zu begrüßen, der den „Faktor Tagesschau“ – so der Untertitel – untersucht. Auf 173 Seiten wird die immer noch wichtigste Nachrichtensendung des deutschen Fernsehens, die in Hamburg für die ARD produzierte Tagesschau, kritisch untersucht. Die Bestandsaufnahme, die sich auf Sendungen der letzten fünf Jahre konzentriert, weist der Tagesschau eine Reihe von falschen oder zumindest fragwürdigen Darstellungen vor allem in der Berichterstattung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und in der Ukraine nach. Innenpolitische Berichte geraten allerdings nur im Ausnahmefall in den Blick, etwa die unreflektierte Darstellung neoliberaler Konzepte in der Rentenpolitik.
Rundfunkgeschichte
Diese Kritik wird immer dann spannend, wenn sie detailliert nachzeichnet, wie manche Videobilder in die Tagesschau gelangen, wenn etwa der Nahost-Korrespondent der ARD, der seinen Sitz in Kairo hat, Material ankauft, das von Sympathisanten etwa der Al-Nusra-Front stammt, die dem Terrornetzwerk Al-Qaida nahesteht, so dass ein propagandistischer Zweck nicht nur nicht ausgeschlossen ist, sondern geradezu anzunehmen ist. Zu viele ominöser Quellen, zu große Distanz zu den Ereignissen selbst und – vor allem – das unreflektierte Nachbeten der außenpolitischen Floskeln, auf die sich die Regierungsparteien aus CDU/CSU und SPD verständigt haben, sind evidente Kritikpunkte.
An diesen Stellen gewinnt das Buch an Gewicht, aber leider wird auch die Lektüre schwer. Denn es dokumentiert über ein Drittel aller Seiten Programmbeschwerden. So kommt man in den zweifelhaften Genuss von Brieffloskeln, mit denen die jeweilige Kritik ein- und ausgeleitet wird. Und man darf immer wieder lesen, dass die Chefredaktion der Tagesschau nicht oder nur abwehrend antwortete. Problematisch wird die Darstellung immer dann, wenn sie rundfunkhistorisch argumentiert. Sie basiert nicht auf den publizierten Forschungsergebnissen der Medienwissenschaften, sondern versammelt eher dürftige Erkenntnisse, wie sie die Autoren etwa bei Wikipedia fanden. Erst das erlaubt, eine bizarre Lesart der Gründungsgeschichte des NDR-Vorläufers NWDR abzuliefern. Der sei von einem britischen Geheimdienstoffizier gegründet worden, heißt es da anklagend. Es fehlt, dass dieser Mann – Hugh Carleton Greene – ein Anti-Nazi war, der als Journalist den Terror in Deutschland erlebt hatte, und der dann nicht nur den NWDR, sondern später auch als deren Generaldirektor die BBC vor Einflüsterungen der Parteien zu schützen suchte.
Ein Trabant der USA?
Den Höhepunkt erreicht diese Lesart der Geschichte, wenn es heißt, dass es angesichts dessen nahegelegen habe, dass zum ersten Chefredakteur der Tagesschau ein ehemaliges Mitglied einer Propagandakompanie der Nazis engagiert worden wäre. Das Gegenteil ist richtig: Greene und die britischen Besatzungsoffiziere hatten sich große Mühe gegeben, um eben nicht auf die meist belasteten Journalisten der Nazizeit zurückgreifen zu müssen. Der NDR beschäftigte denn auch deutlich weniger ehemalige Nazis als etwa der Spiegel in seinen Gründungsjahren.
Diese Unterstellung ist kein Zufall, sondern soll den Verdacht untermauern, dass die Bundesrepublik Deutschland „ein Trabant der USA“ sei und die Tagesschau und die Tagesthemen, um die es phasenweise ebenfalls geht, „im Interesse unserer plutokratischen Elite“ handelten. Das könnte so in jeder rechtsradikalen Publikation stehen. Hier grundiert es eine sich links gebende Argumentation, die – und darauf wird jeder der im Detail berechtigten Kritikpunkte funktionalisiert – eine durchgehend „russophobe“ Darstellung der kriegerischen Konflikte in der Ukraine und in Syrien durch die Nachrichtensendungen der ARD behauptet. Um das behaupten zu können, müssen die Autoren mehrfach von den geopolitischen Interessen der USA und seines Trabanten schreiben, während sie solche auf der Seite von Russland nicht zu kennen scheinen. Schade.
Info
Die Macht um acht: Der Faktor Tagesschau Uli Gellermann, Friedhelm Klinkhammer, Volker Bräutigam Papyrossa Verlag 2017, 173 S., 13,90 €
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