Der Mann sieht nicht gut aus. Reden kann er kaum. Von Statur und Präsenz vor Fernsehkameras und Fotoapparaten kann bei ihm keine Rede sein. Ausstrahlung und Charme sind für ihn Fremdworte. Und doch ist dieser unscheinbare Mann, der bei wichtigen Auftritten von seinem Vater am Händchen gehalten wird, vor einem Jahr zum amerikanischen Präsidenten befördert worden.
Gewiss, eindeutig war der Wahlsieg von George W. Bush über den Konkurrenten Al Gore nicht. Vermutlich wurde von Parteifreunden in Florida kräftig geschummelt und einige hunderttausend Gegenstimmen einfach unterschlagen. Dennoch muss die Tatsache überraschen, dass dieses unscheinbare, ungelenke, unattraktive Vatersöhnchen allein nur die Chance erhielt, mittels kleiner Manipulationen den amtierenden Vize-Präsidenten aus dem Feld zu schlagen. Denn hatte es nicht immer geheißen, wie sehr die amerikanische Politik längst auf die Massenmedien im allgemeinen und auf das Fernsehen im besonderen fixiert sei? Und bedeutete die Amerikanisierung der deutschen Politik nicht, dass es nur noch darum ginge, wer in den Massenmedien und im Fernsehen die bessere Figur mache?
Mit George W. Bush gewann der untelegenere der beiden nicht sonderlich attraktiven Kandidaten. Er stach nicht in Rededuellen, er becircte nicht in Talkshows, er lud seine Wähler nicht zur Identifikation ein. Er war einfach nur da und sprach in seinen einfachen Hauptsätzen, in denen ruhig einmal die Grammatik verrutschen kann und die Begriffe nicht unbedingt passen müssen. George W. Bush gewann nicht, weil er so etwas wie medial generiertes Charisma besaß. Er gewann, weil es ihm genau daran gebrach. Die letztendlich die Wahl entscheidenden Wechselwähler waren die Medienpräsenz eines Bill Clinton, der, ob gewollt oder nicht, über zwei Amtsperioden die Schlagzeilen der Tageszeitungen und die Nachrichten der großen Networks gefüllt hatte, einfach leid geworden. Hinzu kam, dass mit Bush ein Vertreter des alten, konservativen, ländlichen Amerikas zur Wahl stand. Ein Vertreter der Öl-Industrie, der aus einer Familie kommt, die das Regieren noch vor dem Reitunterricht, aber parallel zur ersten Bibelstunde in die Wiege gelegt bekommt.
An Bush jr. und seine Karriere muss man erinnern, wenn man dieser Tage die Schlachtordnung in der deutschen Kanzlerfrage betrachtet. Edmund Stoiber ist alles andere als ein Talkshow erfahrenes Fernsehgesicht. Sein Auftritt bei Sabine Christiansen mit all den Versprechern, die sogar Stefan Raab (als erster übrigens!) zu karikieren verstand, dem sonst alles Politische fremd ist, war eine mittlere Medien-Katastrophe. Aber wer daraus schon jetzt ableitet, der Mann aus dem Süden sei im Rest der Republik nicht vermittelbar, der irrt gewaltig. Gerade weil es Stoiber an all dem gebricht, was einen Gerhard Schröder populär machte, hat er bei der Bundestagswahl in diesem Jahr eine große Chance.
Denn, gestehen wir es ruhig ein, so gerne wir den Kanzler mit Radsportlern, Gewerkschaftsfunktionären, Schriftstellern und Talkshow-Größen parlieren hören, so ernst wir ihn als Staatsmann nehmen, wenn er im Bundestag von der Last der Verantwortung spricht, so froh wir sind, wenn er auf internationalem Parkett eine gute Figur macht, um so stärker beschleicht uns das Gefühl, dass dieser Kanzler mehr zu sein scheint, als er in Wirklichkeit vermag.
Matthias Machnig kämpft also den falschen Kampf, wenn er in seinem Aufsatz (siehe Freitag 04/2002) die Kritiker der "Amerikanisierungstendenzen" in der deutschen Politik abwatscht. Mit vielem hat er Recht. So ist die Inszenierung des Parteitages der SPD im Jahre 1998, auf dem Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat auf das Schild gehoben wurde, angemessen gewesen. Jedenfalls für die Fernsehkameras, die eindeutige Bilder mit starken Kontrasten und leuchtenden Farben lieben. Die Kritiker, die eine solche Darbietung als Anbiederung an das Massenmedium tadeln, haben ja auch schlechte Karten. Sie können nicht ernstlich die im Stile von Bierzelten ablaufenden Parteitage alten Typs für die besseren halten, nur weil dieses Modell einer älteren Öffentlichkeitsform geschuldet ist. Politik in der Demokratie hat sich stets nach den Leitmedien ihrer Zeit gerichtet.
In den fünfziger Jahren war das noch der Saal, die Festhalle, der Marktplatz, auf dem die Kandidaten - die Stimme von Mikrofon und Lautsprecher verstärkt und vom Radio übertragen - sich präsentierten. Hier siegte die unverwechselbare Sprechweise eines Konrad Adenauer, der sich in klaren, einfachen und oft banalen Sätzen mitteilte. In den sechziger Jahren kam der Charme der persönlichen Begegnung hinzu. Ein Kandidat wie Willy Brandt mischte sich unter das Volk, schüttelte Hände, küsste Babys und verteilte Postkarten mit seinem Antlitz. Mitte der siebziger Jahre, als sich die Politik aus dem öffentlichen Leben zurückzog, gewann das Fernsehbild an Bedeutung. Ihm zollte auch der Provinzpolitiker Helmut Kohl Respekt, als er sich auf Anraten seines Medienberaters von der schweren Hornbrille und der Haartolle verabschiedete. Allerdings erst nach seiner ersten schweren Wahlniederlage, die der Mainzer Medienforscher Kepplinger prompt dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen anlastete, das seinen Kandidaten stets in falscher Perspektive gezeigt habe. Kohl nutzte die Chance, sich im Windschatten von Franz-Josef Strauß zu regenerieren. Strauß verlor für die Union 1980, weil sein Politikstil zu stark den fünfziger Jahren verhaftet war.
Kohl, durch den Koalitionsbruch der FDP an die Macht gekommen, führte das private Fernsehen ein, um es - wie es damals hieß - zu "ent-autorisieren". Da, wo noch vor kurzem ein, maximal zwei Programme sprachen und somit gleichsam als Autorität auftraten, sollten nun viele sprechen und für ein mediales Durcheinander sorgen, in dem keine Autoritäten mehr erkennbar waren. Das hat denn auch bestens funktioniert, weshalb die Medienstrategen der Union selbst die Kritik aus den eigenen Reihen, das private Fernsehen habe doch nur Sex and Crime and Stefan Aust hervorgebracht, mühelos abwehren konnten. Kohl, der wusste, dass das Fernsehen nicht unbedingt das Medium ist, in dem er brilliert, konnte sich dank der Vervielfachung der Kanäle rar machen. Dass man ihn kaum sah, fiel nicht sonderlich auf, weil man zuviel Zeit brauchte, um festzustellen, wen man überhaupt sah.
Die SPD, die Kohl lange Zeit unterschätzt hatte und ihn allein durch Spott zu bekämpfen trachtete, musste durch schwere Niederlagen gehen, ehe sie mit Gerhard Schröder einen erfolgreichen Gegentypus etablieren konnte. Weder Hans-Jochen Vogel, der trockene Sachbearbeiter, noch Johannes Rau, der Seelsorger und Menschenfreund, vermochten gegen den bulligen Machtpolitiker zu punkten. Erst Gerhard Schröder, der Kohl mit dessen Waffen der Machtorientierung und des Machtwillens attackierte, hatte Erfolg. Dass er sich im Fernsehen besser verkaufte, weil er jünger war und fescher ausschaute, war dabei weniger wichtig. Entscheidend war seine nach Außen gestülpte Haltung, die Wende nach einer Zeit der Erstarrung herbeiführen zu wollen. (Ähnlich wäre 1990 auch Oskar Lafontaine gegen Kohl erfolgreich gewesen, nur machten ihm die Wiedervereinigung und die Wähler aus dem Osten einen Strich durch die Rechnung.)
Selbstverständlich ist eine solche auf Plakaten, in Werbespots und in Fernsehauftritten Bild gewordene Haltung ein sorgfältig und professionell fabriziertes Produkt, das aus dem permanenten optimistischen Lächeln, dem siegesgewiss in die Luft gestreckten Daumen, der weltgewandten Geste des Redners und Partylöwen gleichermaßen zusammengesetzt wird. Selbstverständlich ist diese Haltung von Medienprofis im Blick auf den jeweiligen Konkurrenten als Unterscheidungsmerkmal entwickelt und nach den Erfordernissen konzipiert, die Demoskopen bei den Wählern ermittelt haben wollen. Aber es muss alles zusammenpassen: Die mutmaßliche Stimmung der Wähler, die dafür entwickelte Haltung sowie das daraus folgende Produkt in der Gestalt des Kandidaten. Dass Wunschdenken nicht hinreicht, kann SPD-Stratege Machnig an einem Minister der eigenen Partei studieren. Rudolf Scharping, Verteidigungsminister und stellvertretender Parteivorsitzender in Personalunion, wird für sich selbst in Anspruch nehmen, von "modernem Politikmanagement" einiges zu verstehen. Er weiß um die Bedeutung von Printmedien und Fernsehen. Ja, ihm wird sogar eine gewisse libidinöse Bindung an Fernsehkameras und Fotoapparate nachgesagt. Aber es nützt ihm und - schlimmer noch - der Partei nichts.
Das Beispiel Scharping zeigt, dass sich Mühe geben allein nicht reicht. Es gehört das Glück der Stunde dazu, die Stimmung im Land richtig zu erfassen und wiederzugeben. Die Mallorcabilder des planschenden Ministers während der Debatte um den Einsatz der Bundeswehr waren die falschen Aufnahmen im falschen Moment. So klingt die Formulierung von Machnig, die "Parteien müssen in den Formaten des jeweiligen Mediums denken", besser, als sie ist. Denn welche Formate in welchem Medium funktionieren, wissen die in den und für die Medien Arbeitenden auch nicht immer. Wer also als Politiker auf das Leitmedium Fernsehen starrt, um von ihm siegen zu lernen, wird bald erkennen, dass nichts schwerer zu sein scheint, als mit und im Fernsehen erfolgreich zu sein.
Gerhard Schröder, der sich nach seinem Abstecher in die Fernsehunterhaltung in den letzten beiden Jahren als Mann der ruhigen Hand gegeben hat, steht in Gefahr, als General ohne Bataillone (Scharping, Schily, Müller) in die Wahlschlacht des Fernsehens zu ziehen. Dort sieht er solange gut aus, bis ein Kind laut ausruft, dass der Kanzler ziemlich allein dastehe. Dann hat der fernsehunerfahrene Stoiber auf einmal die Chance, ohne jedes Dazutun als die Alternative zum medientauglichen Kanzler zu erscheinen. Jede sprachliche Ungeschicklichkeit gereicht ihm nun zum Vorteil. Jedes Stottern gilt als Ausweis von Authentizität, jede Wissenslücke als Zeichen für Ehrlichkeit, jedes nervöse Fingerklopfen als Ergebnis des massenmedialen Drucks. Erfolg hat das nur dann, wenn er neben den Stammwählern die Wechselwähler erreicht. Und sie wählten in den USA einen George W. Bush, trotz aller sichtbaren Defizite und politischen Verpflichtungen.
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