Sommer der Experimente

Medientagebuch Die ARD ist mutig und strahlt an einem Abend drei lose verbundene Filme aus: "Dreileben". Mutiger wäre gewesen, sie jeweils dreimal zur besten Sendezeit zu zeigen

Es sei ein „filmisches Experiment“, betonte ARD-Programmdirektor Volker Herres im Vorfeld von Dreileben, dem dreiteiligen Projekt der Regisseure Christian Petzold, Dominik Graf und Christoph Hochhäusler. Das kann man so sehen, wenn man die Idee, eine Geschichte aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln zu erzählen, als Experiment bezeichnen will, obgleich sie nicht unbedingt neu ist.

Tatsächlich liegt das Experiment, das für die ARD der Bayerische und der Westdeutsche Rundfunk gemeinsam mit der Degeto wagten, auf einer anderen Ebene. Können die drei Regisseure aus der Vermischtes-Meldung, dass ein Straftäter entflohen sei und von der Polizei gesucht werde, drei autonome und individuelle Spielfilme entwickeln? Und hat das einen filmischen Reiz für Zuschauer, die sich im Werk der Regisseure nicht auskennen?

Das Experiment ist geglückt. Alle drei Filme werfen je einen eigenen Blick auf den fiktiven Ort Dreileben im Thüringer Wald, auf die Geschichte, das Genre. Petzolds Film Etwas Besseres als den Tod erzählt von einer tragischen Liebesgeschichte zwischen den Klassen. Zugleich ist sein Film eine Art Nachruf auf den Zivildienst, der jungen Männern weitgehend unbekannte Erfahrungen sozialer Arbeit aufzwang.

Verwirrung am Schluss

Grafs Film Komm mir nicht nach entwirft das zwischen Komik und Melancholie schwankende Porträt von heute 40-Jährigen, die es im Beruf geschafft haben und sich nun fragen, ob es das gewesen sein soll. Hochhäuslers Beitrag Eine Minute Dunkel entwirft ein Doppelpsychogramm von entflohenem Straftäter und dessen Jäger in Gestalt des Kommissars, die sich beide gleichermaßen als sozial gehemmt und verzweifelt erweisen.

Hochhäusler, der als einziger stark auf Thriller-Elemente setzt, verwirrt die Gesamtgeschichte der drei Filme. Denn sein Kommissar ermittelt eher aus Eigensinn denn aus dem Auftrag heraus, dass der Geflohene an der Tat, für die man ihn einst verurteilte, unschuldig ist. Diese Unschuld ist trügerisch, denn am Ende des dritten Films wird der vermeintliche Täter wirklich eine Straftat begehen, die jener gleicht, für die er verurteilt wurde.

Jedem der Filme ist die Handschrift des jeweiligen Regisseurs anzusehen. Und jeder von ihnen behauptet eine Autonomie, auch wenn sich an einigen Stellen Szenen überlappen oder die Protagonisten des einen Films am Rande der anderen auftauchen. Gemeinsam ist ihnen der fremde Blick auf den Thüringer Wald, den sie mal als Gespensterkulisse, mal als modernisierte Provinz erscheinen lassen.

Bis nächsten Sommer

So wird jeder, der die drei Filme entspannt sehen konnte, von den starken Schauspielern, den Bildern der hervorragenden Kameraleute, der jeweiligen Inszenierung beeindruckt worden sein. Nur in der Präsentation der ARD, die alle drei Filme allein unterbrochen von einer verkürzten Ausgabe der Tagesthemen gegen 23.15 Uhr ausstrahlte, mag die Faszination gelitten haben – vor allem gegen Ende, als sich die Geschichte nach Mitternacht noch einmal verrätselte. Diese Programmierung war kein Experiment, sondern ein Versuch, das Risiko zu minimieren: Herres opferte einen Programmtag in der Sommerpause, statt die beste Sendezeit an mehreren Tagen. Er erntete so einen unterdurchschnittlichen Marktanteil zwischen acht und neun Prozent, was zur besten Sendezeit immerhin noch mehr als 2,6 Millionen Zuschauer bedeutet.

Vielleicht sollte das Experiment auch davon ablenken, dass die ARD sich ab sofort wieder dem Diktat der Talkshow widmet. Experimente? Nächsten Sommer wieder.

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