Vor einigen Jahren warb eine Sportschuhfirma mit einem Videoclip, in dem sich zwei Tennisspieler (Agassi und Sampras) einen endlosen Ballwechsel lieferten, auf dass der Kommentator (McEnroe) erst die Nacht in seiner Kabine verbrachte, sich schließlich einen Bart wachsen ließ, um dann als Greis den finalen Schlag bejubeln zu können. Dieser nette Clip wäre längst vergessen, lieferte er nicht die Blaupause über die Wahl des amerikanischen Präsidenten. Zunächst hatte es wie immer ausgesehen. Die Fernsehsender und die ihnen angeschlossenen Meinungsinstitute hatten angekündigt, dass man das Ergebnis - nach mitteleuropäischer Zeit - am frühen Morgen des Tages nach der Wahl bekannt geben werde.
Auch die deutschen Sender ARD und ZDF hatten sich auf diesen Termin eingerichtet, harmonisierte er doch prächtig mit ihrem Programmschema, das in den frühen Tagesstunden ein respektables Morgenmagazin vorsieht, in dem es auch und regelmäßig politisch zur Sache ging. So war man bestens vorbereitet. Diverse Korrespondenten hatten Stellung selbst dort bezogen, wo absolut nichts zu erfahren war; aber an solchen Wahltagen zieht es selbst alte Schlachtrösser in den Kampf, besonders dann, wenn er vor den Fernsehkameras stattfindet. Einige amerikanische Fachleute waren in die Studios eingeladen worden, um den deutschen Zuschauern das amerikanische Wesen näherzubringen und das deutsche in Gestalt umständlich fragender Moderatorinnen und Moderatoren kennenzulernen; wahrlich eine völkerverbindende Maßnahme. Schließlich hatte man sich mit den amerikanischen Networks kurzgeschlossen, um ja nichts zu verpassen.
Doch dann schleppte sich der Morgen dahin, ohne dass der Sieger vermeldet werden konnte. Die Korrespondenten plauderten vor sich hin, die Moderatoren fragten den Fachleuten Löcher in den Bauch, und diese staunten über die Fragen nicht schlecht. Und die Übernahmen von den Networks zeigte, dass man dort auch nicht schlauer war. Als dann eines von ihnen vorpreschte und Bush zum Sieger erklärte, war es bereits kurz vor neun Uhr. Erst wollten es die deutschen Moderatoren nicht glauben, dann übernahmen sie die Nachricht und trugen sie in die letzte deutsche Kleinstadt. Heute wissen wir, dass es ein naher Verwandter von Bush war, der die Siegesnachricht in die Welt heraustrompetete. Etwas anderes als seinen weit über das Land und in diverse Funktionen verteilten Clan kann der Kandidat der Republikaner auch nicht aufweisen. Im schönsten Bild dieser Nacht konnte man sehen, wie er neben Papa und Mama saß und auf die Nachrichten, dass er es endlich soweit gebracht hätte wie sein Erzeuger, wartete. Ein Pennäler, der nervös der Entscheidung der Lehrer, ob er noch einmal versetzt würde, harrt, weil er fürchtet, im Fall des Sitzenbleibens vom gestrengen Papa vermöbelt zu werden.
Wenige Stunden später, ARD und ZDF waren zur Normalität ihres vormittäglichen Wiederholungsprogramms zurückgekehrt, kam dann die Nachricht, Bush stünde nun doch nicht als Sieger fest, Gore hätte noch eine Chance. Jetzt begann ein Krimi, der bis zur Stunde (Dienstagmorgen) noch nicht beendet ist. Was lernten wir durch die Fernsehnachrichten in den Wochen seitdem nicht alles von den USA?
Dass man dort bei der Wahl mit vorsintflutlichen, also vermutlich aus der DDR importierten Lochkarten arbeitet, die ordentlich zu lochen vielen Wählern schwerfällt, besonders wenn sie in Florida leben und für Gore stimmen. Dass Bush die Stimmen nur einmal zählen lassen will, weil alles andere des Teufels wäre, der für ihn Gore heißt. Dass Gore in den Stunden der Niederlage, anschließender Wiederauferstehung und darauf folgendem juristischen Scharmützel nichts an Charisma dazugewonnen hat; er wirkte stets wie der beleidigte Streber, der überraschend nicht zum Klassensprecher gewählt wird, weil es bei diesem Job auf die Noten allein nicht ankommt. Dass die Hauptstadt von Florida Tallahassee heißt und über ein putziges Gerichtsgebäude verfügt, vor dem selbst die Fliege von Robert Hetkämper (ARD) leicht overdressed wirkt.
Gestehen wir es fernsehmüde ein: Nie wurde die These, die amerikanische Politik würde von den Massenmedien bestimmt und nach Maßgaben des Fernsehens gestylt, mehr mit Füßen getreten als in diesem Nachwahlkampf. Endlose Debatten in muffigen Gerichtsräumen, die zwar live von CNN übertragen wurden, aber kaum an den "Streit um Drei" vom ZDF heranreichten. Übertragungen aus dem Bundesgericht in Washington ohne Bild, dafür aber mit Verschriftlichung des gerade Gehörten in einer Dachzeile (ebenfalls CNN). Pressekonferenzen, auf denen übermüdete Juristen bekannt gaben, dass sie ziemlich müde seien. Und Korrespondenten, die uns das alles zu erklären versuchten, was sie selbst nicht verstanden. Nein, diese Wahl und der sich anschließende Justizkampf stützt die Gegenthese, dass amerikanische Politik immer noch die Politik von Clans ist, in denen familiär (sprich von den Müttern) hochgezüchteter Ehrgeiz, besser als der tote Vater (Gore) zu sein, oder die letzte Niederlage des lebenden Vater (Bush) zu rächen, die Söhne in den Ring steigen lässt, ob diese wollen oder nicht.
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