Von Politikern so gewollt

Medientagebuch Nicht nur Anlass zum Jubel, aber auch nicht nur zur Trauer: 20 Jahre Privatsender

Das deutsche Fernsehen kommt in die Jahre. Nach 50 Jahren ARD, 40 Jahren ZDF sind nun die ersten Privatsender mit Betriebsjubiläen an der Reihe. So feiern RTL und Sat1 dieser Tage den 20. Geburtstag, obgleich sie 1984 beide noch gar nicht so hießen. RTL zierte damals noch der Wurmfortsatz "plus" und strahlte sein Billigprogramm von Luxemburg nach Deutschland aus. Sat1 firmierte zunächst als APF und galt als Fernsehen der deutschen Zeitungsverleger, weshalb es bei ihm besonders steif-leinen zuging. Doch von den Anfängen wird nur noch gesprochen, um den Aufstieg zur heutigen Größe zu verdeutlichen. Wie man das macht, konnte man an der Jubiläums-Gala studieren, die RTL am 4. Januar über drei Stunden zelebrierte.

So erinnerte man zwar an einstige Programmgrößen wie die Sex-Beraterin Erika Berger, den Hütchenspieler Salvatore oder den Strip-Kommandanten Hugo Egon Balder (Tutti Frutti). Doch in der Hauptsache feierte der Sender seine heutigen Stars. So umschmeichelte Oliver Geissen den RTL-Allrounder Günther Jauch, der lobte Hape Kerkeling, der feierte Gabi Köster, die begeisterte sich für Rudi Carell, der wiederum Verona Feldbusch sehr mochte, die pries Sven Hannawald, der sich über Michael Schumacher schier begeisterte, und der war sich selbst der Beste. RTL - eine schrecklich nette Familie, die sich ja auch im Programmalltag permanent nahe ist. So kommt es zu absurden Begegnungen wie dem Gespräch zwischen Jauch und Niki Lauda beim Skispringen in Innsbruck, bei dem der Moderator den Motorsportexperten wegen seiner Werbeverträge auf die Schippe nahm. Man mag sich, man neckt sich, man liebt sich - solange das Geschäft gut läuft.

Und das Geschäft läuft für RTL und die angeschlossene Verwertungskette aus dem Billigsender RTLII, dem Serienkanal Vox, dem Nachrichtenprogramm n-tv und Super RTL für die Kleinkinder bestens. Hier wird das angeschoben, was dort zweit- und drittverwertet wird. Deutschland sucht den Superstar hat diese Verwertungskette perfektioniert. Hier fiel auch für die Muttergesellschaft Bertelsmann mit ihren Musikfirmen und Buchverlagen jede Menge an Gewinnen ab. Irgendwo müssen ja die Platten der selbstgezüchteten Superstars erscheinen und irgendjemand muss die Erinnerungen des Jurypräsidenten Bohlen schließlich veröffentlichen.

Sat1 hatte es da schon ungleich schwerer, sich und seine Geschichte zu feiern. Zwar strahlten in den täglich ausgestrahlten Werbejingles auch seine Programmgrößen zum Jubiläum um die Wette. Doch die große Gala moderierte Harald Schmidt. Von dem jeder Zuschauer weiß, dass er den Sender zum Jahresende verlassen hat. Jedes seiner Wort erhielt nun einen Beigeschmack, von der sich die Gala kaum erholen konnte. Und die neue Sender-Spitze um Roger Schawinski ahnt, dass schwere Zeiten auf sie zukommen. Denn anders als RTL schreibt Sat1 seit zwei Jahren keine schwarzen Zahlen. Im Rückblick auf die letzten zwanzig Jahre muss man dem Sender sogar eine katastrophale Bilanz testieren. Investitionen in Höhe von 500 Millionen Euro und mehr stehen nur verschwindend geringe Einnahmen vom Ende der neunziger Jahre gegenüber.

Das ist das Ergebnis der Konzernstrategie von Leo Kirch, der den Sender von Beginn an dominiert hat. Auch wenn das jahrelang keiner wusste oder zugab. Kirch hatte sich hinter Tarnfirmen versteckt, um gleichzeitig beste Lieferverträge für Serien und Spielfilme aushandeln zu können. Spätestens mit dem Erfolg von Pro Sieben und der Positionierung des digitalen Pay-TV-Angebots von Premiere schwand das Interesse von Kirch an Sat1. Der Sender war nur noch medienpolitischer Spielball im großen Fernsehgeschäft geworden. Dem entsprechend sieht der Sender heute aus.

In der Summe könnte man also die Geschichte des deutschen Privatfernsehens als einen einzigen Verlust beschreiben. Alles soll seit 1984 schlechter geworden sein, heißt es denn auch in vielen kulturkritischen Äußerungen angesichts des Jubiläums. Doch diese Klage ist ebenso falsch wie der einstudierte Jubel der Geburtstagssendungen. Tatsächlich hat das Privatfernsehen Bewegung in den deutschen Fernsehmarkt gebracht. Bereiche wie die Komik, der Sport, auch Service- und Beratungssendungen sind dank der neuen Sender besser geworden. Und die oft beschriebenen Verluste sind in erster Linie das Ergebnis eines Anpassungsprozesses. Das Fernsehen ist heute ein Massenmedium wie alle anderen auch. Es ist nicht besser, es ist auch nicht schlechter. Es hat seine schmuddeligen Ecken, wie sie auch in der Bild-Zeitung seitenweise zu finden sind, es hat seine Boulevardstrecken, auf denen wie in den Klatsch-Illustrierten die Ehen der Prominenten durchgehechelt werden, es hat seine Verbrechensabteilung, in der man sich an den Schrecken delektiert.

Dass das Fernsehen heute als Massenmedium nicht besser oder auch nur beflissener als alle anderen ist, war politisch gewollt. Erstes Ziel der frisch formierten Regierung Kohl/Genscher 1983 war die Zulassung des Privatfernsehens. Einige der konservativen und liberalen Politiker waren damals, einige in den neunziger Jahren mit den beteiligten Konzernen durch Beraterverträge verbunden. Wichtiger als der private Profit war das politische Ziel der Ent-Autorisierung des Fernsehens. Es sollte nicht mehr wie noch zu öffentlich-rechtlicher Zeit mit einer oder zwei Stimmen reden, sondern es sollten viele Programme durcheinander quasseln. Damit es nicht mehr die Aufmerksamkeit für einzelne Themen und Anliegen mobilisieren konnte. Dafür nahmen die konservativen Politiker im Gegenzug das neue Programmangebot aus Sex and Crime and Stefan Aust in Kauf.

Zu den wirklich negativen Folgen der Einführung des Privatfernsehens zählt die Anpassung der öffentlich-rechtlichen Sender an die private Konkurrenz. Sie imitieren RTL und Sat1, statt Eigenes zu generieren. Sie kaufen die müde gewordenen Moderatoren der Konkurrenten, statt eigenen Nachwuchs zu befördern. Sie starren auf die privaten Sender wie das Kaninchen auf die Schlage. Wenn also jemand etwas aus dem Jubiläum lernen kann, dann das öffentlich-rechtliche System. Es kann seine Existenzberechtigung nur beweisen, wenn es sich qualitativ massiv von der privaten Konkurrenz unterscheidet. Unterbieten kann man deren Programme nicht.

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