Wagemut oder Verzweiflung?

MEDIENTAGEBUCH Akte X

Es ist entweder ein Schritt großen Wagemutes oder aber eine Reaktion purer Verzweiflung. Seit dem 4. September strahlt Pro Sieben, mittlerweile auch offiziell dem Hause Kirch zuzurechnen, am Montagabend zwischen alten Folgen von Akte X und neuen Ausgaben von TV Total die beiden Zeichentrickserien Die Simpsons und Futurama aus. Beide Serien wurden von Matt Groening erfunden und produziert. Dennoch verbindet sie auf den ersten Blick nicht viel.

Die seit mehreren Staffeln bereits im Vorabendprogramm von Pro Sieben gezeigten Serie Die Simpsons besitzt keine fortlaufende Handlung. Ihre Protagonisten altern nicht. Jede Episode spielt aufs Neue mit bösartigem Witz Situationen durch, die dem Leben einer typischen Kleinstadt der USA entstammen. Sie handeln von der Arbeitswelt eines Atomkraftwerks, das von weitem an den Meiler von Harrisburg erinnert, vom Schulbetrieb und vor allem von der alles überlagernden Medienwelt, von Lokalradio und von den Programmen der nationalen Fernsehsender. Zeichentechnisch ist diese Serie eher einfach gehalten, dafür brilliert sie mit überraschenden Zitaten aus der Popkultur, mit Meta-Konstruktionen ihrer Geschichten und mit hübschen Querverweisen auf ihre eigene (mittlerweile mehrere Jahre währende) Biographie.

Futurama spielt im Jahre 2999, hat also allerhand Zukünftiges (fliegende Autos, Tourismus auf den Mond, sprechende Köpfe etc.) zu präsentieren und benötigt vor allem eine starke Handlung. Die Hauptperson ist der um 1000 Jahre in die Zukunft versetzte Pizza-Bote Fry. Ihm zur Seite gestellt ist eine attraktive junge Dame namens Leela, die nur ein, dafür aber um so größeres Auge mitten auf der Stirn trägt, und ein alkoholabhängiger Roboter. Das Trio arbeitet für einen uralten Neffen des Protagonisten, der ein Transportunternehmen im Weltall leitet. Fry ist trotz allen Bitten und Flehens wieder in dem Beruf gelandet, den er vor 1000 Jahren bereits intensiv gehasst hatte.

Die ersten beiden Folgen litten sehr unter dem Druck, diese Rahmenhandlung erst einmal zu exponieren. Die schönen Details, die in den Simpsons eher nebenbei auftauchen und in ihrer Fülle eine entscheidende Qualität der Serie ausmachen, sind hier allzu sehr in den Vordergrund gerückt, weil sie Zukünftiges vorzuführen haben oder die Handlung vorantreiben müssen. Schön und vielversprechend sind allerdings die Zukunftskonstruktionen, die Klischees der Gegenwart als realisierte Menschheitsutopien darstellen, wenn etwa der Mond zu nichts anderem ausgestaltet wurde als zu einem überdimensionierten Lunapark, der die Geschichte der Mond eroberung in der Form eines Disney-Kitsches erzählt.

Pro Sieben hofft mit dieser Programmierung die bislang herrschende Quotenlücke zwischen Akte X und TV Total schließen zu können. Man spekuliert also darauf, dass die Zielgruppen der Zeichentrickserien mit denen der Alien-Saga um Scully und Mulder wie mit denen des Fernseh-Zombies Raab identisch seien. Der Sender wiederholt mit den Simpsons einen Trick, der bereits im Vorabendprogramm funktionierte. Hier hatte Pro Sieben lange Jahre dank gu ter Serien wie Roseanne oder Cosby-Show eine hohe Zuschauerresonanz. Doch die Nachfolgesendungen scheiterten eklatant. Also mussten Die Simpsons ran, die zunächst vom späten Nachmittag in den frühen Abend vorrückten und schließlich sogar bis heute in einem Doppelpack von 18.00 bis 19.00 Uhr täglich ausgestrahlt werden. Das stabilisierte die Werte des auf Aktien basierenden Kirchsenders.

In den USA läuft eine Serie wie Die Simpsons in der Woche einmal im Hauptabendprogramm. So könnte man wohlwollend die zusätzliche Programmierung der Serie im Hauptabend durch die Kirchleute auch als eine Art Wiedergutmachung verstehen. Doch der Eindruck eines respektvollen Umgangs währt nicht lange vor. Spätestens die Synchronisation von Futurama belehrt den Zuschauer eines besseren. Übersetzungsfehler häuften sich in den ersten beiden Folgen, und die Dialoge wurden mit überflüssigen Informationen angereichert. Es ist, als habe der Sender und die für die Synchronisation zuständige Kirch-Tochter nicht mit der Kompetenz der von ihnen ja anvisierten Klientel gerechnet. Die regt sich über die Übersetzung des Computerbegriffes »Debugger« als »Entwanzer« dementsprechend auf, wie man Artikeln in Netz-Zeitschriften wie www.telepolis.de entnehmen kann. Ob ihre Aufregung so groß ist, dass sie dem Montagabendprogramm von Pro Sieben abschwören, ist zu bezweifeln. Die anderen Sender haben an diesem Tag nichts zu lachen.

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