Punkt 13.00 Uhr ist er an diesem Donnerstag wieder da. Live auf allen wichtigen Kanälen. Den Auftritt des Alt-Kanzlers will sich niemand entgehen lassen. Wochenlang hat er nichts gesagt. Wochenlang hat er sich rargemacht. Wochenlang nur derselbe knappe, barsche Auftritt, der von denselben Kameras allmorgendlich gefilmt und allabendlich gesendet wurde: Wie der Ex-Kanzler, von Sicherheitsheitsbeamten begleitet, das Haus verlässt und sich den Weg durch die Kameraleute und Journalisten bahnt. Und wie er all die zugeworfenen raschen Fragen an sich abperlen lässt wie ein frisch imprägnierter Mantel den Frühjahrsregen.
Dann auf einmal eine erste Regung. Eine Wirtschaftszeitung hatte die Nachricht seiner neuen Sammlung gemeldet. Gerüchte um Hypotheken auf des großen Kanzlers kleines Eigenheim kursieren im Videotext und im Internet. Am nächsten Morgen gibt er zum ersten Mal Meldung. Auf die schnellen Fragen von Werner Sonne (WDR/ARD) bestätigt er die Nachricht und schürt so die Erwartungen.
Helmut Kohl sieht an diesem Mittag aus wie immer. Blauer Anzug, gemusterte Krawatte, links oben im Knopfloch ein Abzeichen. Die Haare schlohweiß, die Augenbrauen wie bei Theo Waigel tiefschwarz. Als er die vorbereitete Erklärung umständlich aus einer Klarsichthülle zieht, hat es den Anschein, als zitterten seine Finger. Aber das täuscht. Kohl ist sich wie früher seiner Sache und seiner Person sicher. Routiniert spult er seine Erklärung herunter, in der seine neue Sammlungsbewegung erläutert wird. Wie er den angerichteten Schaden, über den er kein Wort verliert, wieder gut machen wollte, wie er Bürger angesprochen hätte, die sein Lebenswerk würdigen wollten und deshalb seiner Partei aus "versteuertem Einkommen" Spenden zukommen lassen würden.
Kohl verliert kein Wort über den Anlass seiner neuen Sammlung. Im November letzten Jahres hatte er - ebenfalls fernsehöffentlich - erklären müssen, dass er bis zu zwei Millionen Mark Spenden zwischen 1993 und 1998 angenommen und an die Partei weitergereicht habe. Die Namen seiner Geldgeber will er seitdem nicht nennen. Seine Weigerung stilisiert er zu einer großen moralischen Geste. Er habe den einstigen Spendern sein Ehrenwort gegeben, ihre Namen nicht zu nennen. Doch seine Hinhalte- und Schweigepolitik verfängt nicht mehr. Selbst in der eigenen Partei nicht. Treue Vasallen wie Wolfgang Schäuble und Angela Merkel, die beide ihre Karriere dem schwarzen Riesen aus der Pfalz zu verdanken haben, rücken von ihm ab. Unter dem Druck der Öffentlichkeit wagen sie die Konfrontation. Sie fordern Kohl auf, seinen Ehrenvorsitz der Partei ruhen zu lassen. Dem kommt der Mann, der seine Partei über 25 Jahre wie einen Familienbetrieb führte, in dem das Wort des Patriarchen über allem steht, nach. Im Januar legt er sein Amt nieder.
Schäuble wird der von ihm ausgeübte Druck seinerseits sein Amt als Partei- und Fraktionsvorsitzender gekostet haben. Denn er tritt nicht zurück, weil er einst für die Partei vom Waffenhändler Schreiber, der im Milieu aus Schwerindustrie und CDU/CSU zu Geld kam und freigiebig Millionen unter die ihm genehmen Politiker brachte, Geld annahm. Nein, das sieht man in der Partei nicht so eng. Er tritt zurück, weil es zwischen ihm und der damaligen Bundesschatzmeisterin zu Unklarheiten kommt, wie das Geld zur Partei gelangt ist. Der wochenlange Hickhack, der sich in Erklärungen und eidesstattlichen Erklärungen austobt, sieht nach einer cleveren Intrige aus. Und für die ist Helmut Kohl, der Strippenzieher, berühmt.
Vielleicht charakterisiert den ehemaligen Kanzler der Widerspruch zwischen seinem öffentlichen Auftreten als ungelenker, ungestümer und nicht nur sprachlich ungeschickter Mann, der sich scheinbar gar keine Mühe gibt, den Kameras gegenüber attraktiv zu erscheinen, und seinem parteiinternen, bei dem er für jeden unscheinbarsten Funktionär noch des kleinsten CDU-Ortsvereines nicht nur das Ohr sondern auch - so ist heute zu vermuten - die Geldschatulle öffnete. Ist die Zahl der Bilder, die Kohl als den Meister des medialen Ungeschicks festhalten, Legion, findet sich für den geschickten Parteichef, der Zug um Zug ihm loyale Parteisoldaten beförderte und andere, die ihm gefährlich wurden oder auch nur werden konnten, abservierte oder in die allerletzte Provinz verbannte, kaum ein kennzeichnendes Bild. Es sei denn jenes, das ihn zeigt, wie er in einer hinteren Reihen des alten Bonner Plenarsaales sitzend in einem winzigen Taschenkalender blättert, in den er nicht nur alle wichtigen Termine, sondern auch die politisch relevanten Parteidaten wie Geburtstage, Hochzeiten und Telefonnummern eingetragen hatte.
Kohls Verhältnis zu den Fernsehkameras war nicht immer schlecht. Als er Mitte der sechziger Jahre zum Parteivorsitzenden der rheinland-pfälzischen CDU gewählt wurde, galt er als Reformer. Diesen Nimbus konnte er nur in und dank der Medien gewinnen. Kohl stilisierte sich als leutseliger Familienvater, der - stets die Pfeife im Mund - modern und aufgeschlossen wirkte. Als er in den frühen siebziger Jahren von der Mainzer Provinzbühne rheinabwärts in die Bonner Machtzentrale der Bundesrepublik drängte, trat er gleich reihenweise in allen nur möglichen Fernsehsendungen auf. So gastierte er als CDU-Vorsitzender sogar in der als Hort sozialliberalen Fernsehens begriffenen Talkshow III nach Neun von Radio Bremen.
Wer den in den letzten Monaten mehrfach wiederholten Ausschnitt des Gespräches gesehen hat, das Gert von Paczensky mit ihm führte, der erlebte einen bemüht jovialen Kohl, der scheinbar gelassen kritische, selbst kesse Fragen zu beantworten trachtete. Doch man verlor auch im Abstand von mehr als zwanzig Jahren nicht das Gefühl, dass sich der damals aufstrebende Politiker im Bremer Fernsehstudio wie in einem Feindesland fühlte. Noch zeigte er sein Unbehagen nicht.
Das sollte sich 1976 nach seiner Wahlniederlage gegen Helmut Schmidt ändern. Denn die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann flüsterte ihm ein, er habe seine Wahl vor allem deshalb verloren, weil er im - damals rein öffentlich-rechtlich verfassten - Fernsehen schlecht dargestellt worden sei. Ja, sie bot sogar empirische Material für die These auf, dass Kohl bewusst stets unvorteilhaft aus Untersicht aufgenommen worden sei und deshalb Sympathien bei den Wählern verloren habe. So absurd der Vorwurf war, bei Kohl hinterließ er Wirkung. Dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen wollte er seine Niederlage heimzahlen. Er hielt Wort. Kaum hatte er dank der wendigen FDP das solange vergeblich angestrebte Bundeskanzleramt erobert, folgte weniger die versprochene "geistig-moralische" als vielmehr die medienpolitische Wende. 1984 wird mit SAT 1 und RTL erstmals privates Fernsehen in Deutschland zugelassen.
Kohl mischt bei den neuen Fernsehveranstaltern mit. So platziert er Jürgen Doetz, den er als stellvertretenden Regierungssprecher noch aus alten Mainzer Tagen kannte, als Geschäftsführer bei SAT 1. Nominell gehörte der Privatsender zu weiten Teilen der Deutschen Genossenschaftsbank. Heute weiß man, dass die Bank und ihr Chef Helmut Guthardt nur für den Medienunternehmer Leo Kirch agierte, der damals lieber im Hintergrund bleiben wollte. Kirch war 1976 erstmals in die Schlagzeilen geraten, als seine umfänglichen Geschäftsbeziehungen zum ZDF, die an ein Monopol beim lukrativen Einkauf für Spielfilme und Serien grenzten, bekannt geworden waren. Doch der Verwaltungsrat stützte immer wieder die obskure Einkaufspolitik der ZDF-Spitze. Mächtigster Mann in diesem Kontrollgremium: Helmut Kohl.
Die Männer-Beziehung Kohl-Kirch ist seitdem eng und intensiv. Sie stützen und fördern sich wechselseitig. Wie der Politiker dem Medienmogul bei seinem Versuch hilft, im Springer-Verlag Einfluss zu gewinnen, so vermittelt dieser jenem die notwendigen Medienberater und sorgt in den von ihm abhängigen Redaktionen für eine dem Politiker angenehme Stimmung. Wenn sich der Kanzler in den neunziger Jahren vor Fernsehkameras äußert, dann am liebsten in dem von Heinz-Klaus Mertes geleiteten Kaffee-Kränzchen Zur Sache, Kanzler, das SAT 1 - allerdings ohne Quotenerfolg - zur besten Sendezeit ausstrahlt. Der lange in Mainz residierende Privatsender ist nicht sonderlich erfolgreich. An ihm verdient nur Leo Kirch, der seinem eigenen Sender die von ihm gehorteten Rechte an Spielfilmen und Serien teuer weiterverkauft.
Erfolgreich hingegen ist RTL. Geführt wird der Sender vom Bertelsmann-Konzern, der sich im Fernsehgeschäft (Vox! Premiere!) sonst nicht sonderlich geschickt anstellt. Cleverer agiert da schon das Verlagshaus der WAZ-Gruppe, die sich zunächst nur an RTL beteiligt hatte und so von dessen Gewinnen profitierte. Die WAZ-Gruppe gehört den beiden Gründer-Familien Brost und Funke. Zum CDU-nahen Funke-Clan zählt ein Mann namens Stephan Holthoff-Pförtner. Er ist der Rechtsanwalt, der Kohl im gesamten Spendenverfahren vertritt und vermutlich auch die neue Spendensammlung juristisch absicherte. Zum SPD-nahen Brost-Clan wiederum gehört Erich Schumann, der als Geschäftsführer für den enormen, aber stillen Aufstieg des Essener Verlages zu einem der fünf oder sechs führenden Medienunternehmen verantwortlich ist.
Schumann stellt denn scheinbar die größte Überraschung auf der Liste jener Spender dar, die Helmut Kohl am 9. März stolz auf der live übertragenen Presse-Konferenz präsentierte. Doch Schumann, der seine Karriere als SPD-Funktionär begann, weiß, was er und sein Konzern Helmut Kohl und seiner Medienpolitik verdankt. Das wissen auch viele andere Spender. So finden sich denn viele Namen aus der Gründungsgeschichte des deutschen Privatfernsehens auf der Liste wieder. Leo Kirch natürlich, der eine Million Mark für Kohl locker machte. Oder Helmut Guthardt, der nach seinem Abschied von der DG-Bank in der Versenkung verschwunden war und 200.000 Mark spendete. Doppelt so viel, wie Ernst Cramer von der Springer Stiftung locker machte.
Kohl hilft die neue Spendensammlung wenig. Sie verbessert seinen Ruf kaum. Tatsächlich hat sich der Machtmensch Kohl nicht geändert. Sein Bundestagsmandat wolle er behalten, sagt er auf der Pressekonferenz, weil er ohne es hilflos sei. Als hätten ihn die Bürger einst gewählt, damit ihm Immunität zuteil werde. Doch das ist nicht die einzige Funktion seines Mandates. Kohl möchte auf das Mandat wohl auch deshalb nicht verzichten, weil er bei seinen gelegentlichen Besuchen im Parlament seine Parteifreunde erschrecken kann, die ihn als Furie der Vergangenheit noch fürchten lernten. Auch seine Ankündigung, er wolle seine Memoiren schreiben, gehört zum seelischen Folterbesteck, das der ehemalige Ehrenvorsitzende seiner Partei an diesem denkwürdigen Donnerstag vorführte. Es steht zu vermuten, dass die Drohung mit den Memoiren auch beim Eintreiben der Spenden erfolgreich war.
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