Das Fernsehgericht tagt seit zwei Wochen in Permanenz und gleich in einer Vielzahl von Sendungen, ob sie nun Christiansen, Sportschau (beide ARD), Fußballstammtisch (DSF), Das Aktuelle Sportstudio oder gar Kerner (beide ZDF) heißen. Gemeinsamer Untersuchungs- wie Anklagegegenstand ist der Wettbetrug mittels manipulierter Fußballspiele. Er wurde durch das - mediengerecht exklusiv einem Regionalsender gegebene - Geständnis eines Schiedsrichters so bekannt, dass er selbst vom DFB nicht mehr ignoriert werden konnte.
Noch Wochen zuvor hatte der Deutsche Fußball Bund den Verdacht, bei der Zweitligapartie zwischen Erzgebirge Aue und Rot-Weiß Oberhausen sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen, massiv verdrängt. Die Begegnung am 10. Dezember hatte mit einer Niederlage der Gästemannschaft geendet, herbeigeführt durch ein wunderbares Eigentor und einen mutwillig provozierten Elfmeter. Und die Wettfirmen hatten so hohe Einsätze auf einen Sieg von Aue registriert, dass sie aus Selbstschutz das Spiel aus ihrem Angebot nahmen. Doch der DFB begnügte sich allein damit, dass die Oberhausener Spieler jedwede Absicht bestritten und sich ihr Verein ob des Verdachts empört zeigte.
Noch als der Verdacht gegen den später gestehenden Schiedsrichter bekannt wurde, wiegelten Teile des DFB ab. Am weitesten wagte sich der allerlauteste unter den DFB-Funktionären, Franz Beckenbauer, hervor, der sich natürlich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass ein deutscher Schiedsrichter im allgemeinen und dieser im besonderen eines solchen Vergehens fähig wäre. Mit dem Geständnis, das zugleich die Schuld auf eine ominöse "kroatische Wett-Mafia" verschob, wurde alles anders. Jetzt plusterte sich der Verband, der gerade noch jeden leisen Zweifel an seinen Spielergebnissen unterschlagen hatte, als Saubermann auf. Sein geschäftsführender Präsident Theo Zwanziger gab Pressekonferenzen am laufenden Band, und Kollege Gerhard Mayer-Vorfelder wagte sich gar am 30. Januar in die Sendung von Sabine Christiansen, wo er unter dem skeptischen Blick von Rudi Völler nur deshalb keine Witzfigur abgab, weil diese mit dem Schwadroneur Paul Breitner schon bestens besetzt war.
Mittlerweile findet die Beweisaufnahme des Verfahrens nicht nur in den einschlägigen Sendungen statt, sondern auch auf den Nachrichtenkanälen n-tv oder N24 statt. Sie übertrugen am Mittag des 3. Februar live eine gespenstische Pressekonferenz, auf der ein weiterer der Manipulation geziehener Schiedsrichter seine Unschuld beweisen wollte. Das begann damit, dass der Rechtsanwalt des Schiedsrichters eine persönliche Erklärung seines Mandanten zur Sache verlas, in der folglich die erste Person Singular nicht den Anwalt, sondern den Schiedsrichter meinte, während der Anwalt nur namentlich erwähnt wurde. Das setzte sich fort, als der Schiedsrichter das Mikrophon ergriff und wie ein Sektenprediger auf und ab gehend die anwesenden Journalisten von seiner Unschuld zu überzeugen trachtete. Er plädierte in einem unnachahmlichen Buchhalterstil, der alle Verben substantivierte und doch das große Pathos nicht scheute; lauthals bekannte er, er würde für all seine Kollegen Bundesligaschiedsrichter die Hand ins Feuer legen.
Um seine Unschuld zu beweisen, ließ er dann Szenen der Spiele vorführen, die er manipuliert haben soll. Dummerweise taugen Bilder dazu nicht. Sie können mit Mühe Indizien für Manipulationen liefern, da auf ihnen nur die Fehlentscheidung, aber nicht der Grund für diese zu erkennen ist. Aber noch schwerer ist ihnen das Gegenteil, die Abwesenheit von Manipulation, zu entnehmen. So musste der Schiedsrichter zu merkwürdigen Ableitungen dergestalt greifen, dass er gewiss anders gepfiffen hätte, wenn er das Spiel hätte im Sinne der Wetter beeinflussen wollen. Je weiter die Veranstaltung vorrückte, um so deutlicher wurde die Zwangslage des Mannes. Mitleid überwucherte Neugier.
Das Fernsehen in Gestalt seiner Moderatoren und Sendungen gab sich in all diesen Sendungen als Sachwalter der Aufklärung. Mit dem vermuteten Betrug will es nicht zu tun haben. Doch mit der hohen Aufmerksamkeit, die es dem Fußball bis in die Regionalligen hinunter zollt, hat es erst das Klima geschaffen, in dem die Wettleidenschaft wächst und gedeiht. Und nicht wenige Sendungen werben offen für die Firmen, die in Deutschland Wetten anbieten. Eine ist sogar Sponsor der Fußballweltmeisterschaft 2006. Das passt bestens. Denn die Weltmeisterschaft wäre nicht nach Deutschland gekommen, hätte nicht eine Lichtgestalt wie Franz Beckenbauer mit Hilfe großzügiger Gesten der deutschen Industrie für eine positive Stimmung unter den stimmberechtigten Delegierten der Fußballverbände der Welt gesorgt. Auch Leo Kirch, dem vor seiner Insolvenz die Fernsehrechte an der Weltmeisterschaft gehörte, wird sein Scherflein zur Stimmungsverbesserung der Delegierten beigetragen haben. Jede Wette. Auch wenn der Videobeweis dafür fehlt.
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