Wir haben ihn

Medientagebuch Meeting statt Pressekonferenz: Jubel, Tränen und ein Video

Am Sonntagmorgen stammte die erste Meldung, Saddam Hussein sei gefangen genommen worden, noch aus einer relativ unbekannten arabischen Quelle. Dementsprechend unsicher schien sie. CNN und n-tv stellten ihr Programm aber bereits um 12.00 Uhr um. Der unsicheren Meldung wurde in Schaltungen in die USA nachgegangen. Doch mehr als Mutmaßungen konnten die Korrespondenten in Washington am sehr frühen Morgen Ortszeit nicht beisteuern. Im Lauf der nächsten Minuten mehrten sich die Anzeichen, dass es sich doch nicht um eine Ente handelte. So wurde aus britischen Regierungskreisen das Gegenteil eines Dementis laut. Kurze Zeit darauf wurde eine Pressekonferenz des US-Zivilverwalters im Irak, Paul Bremer, für 13.00 Uhr MEZ angekündigt.

Das Live-Bild aus dem Raum dieser Pressekonferenz sollte nun bis zum tatsächlichen Beginn bei CNN und n-tv eingeklinkt bleiben. Auch das Erste Programm wartete ab 13.00 Uhr in einer Extra-Ausgabe seiner Nachrichten auf den Start der Veranstaltung in Bagdad. Aber der verzögerte sich. Während die Korrespondenten in aller Welt über die politischen Folgen eines Ereignisses, über dessen Verlauf und Ergebnis sie noch nichts wussten, spekulierten, sah man auf dem Live-Bild aus Bagdad Fotografen in Stellung gehen und amerikanische Soldaten auf- und abgehen. Um 13.20 Uhr trat dann Paul Bremer vor das Mikrophon. Sein Eröffnungssatz: "Meine Damen und Herren, wir haben ihn" ging fast im Jubel der bei dieser Pressekonferenz Anwesenden unter. Auch in der Folge sollte die Veranstaltung weniger einem Treffen mit der Presse ähneln, bei dem Fragen beantwortet werden, als einem politischen Meeting. Es wurde geschrieen, es wurde gefeiert, es wurde geweint.

Richtig laut wurde es, als der Kommandeur der US-Bodentruppen, Ricardo Sanchez, ein Video auf den beiden links und rechts von den Mikrophonen aufgestellten Flüssigkristall-Monitoren einspielen ließ. Es zeigte zunächst einen Mann mit verstrubbelten dunklen Haaren und einem langen Zottelbart, der an der Kinnpartie ins Weiße changiert. Er hatte mit Saddam durchaus Ähnlichkeit. Das musste die anwesenden Iraker im Saal der Pressekonferenz unmittelbar überzeugt haben. Sie sprangen auf und stießen Jubelschreie aus. Die begleitenden Worte des Generals in Tarn-Uniform gingen im Lärm unter. Das Video zeigte weiter wie ein amerikanischer Soldat den Gefangenen untersuchte. Er drehte den Kopf an den Wangenknochen hin und her, und entnahm mit einem Stäbchen eine Speichelprobe. Der Gefangene folgte den Befehlen des ihn untersuchenden Soldaten ohne Zögern. Ein Bild wie aus einer Reihenuntersuchung, bar jeder Intimität.

Schließlich wurde das Bild geteilt. Links sah man nun den Gefangenen in dem Status seiner Gefangennahme, dann wurde rechts zusätzlich ein Bild eingespielt, das ihn nach Rasur und Haarschnitt zeigte. Nun war er deutlich als Saddam Hussein (oder als einer seiner Doppelgänger) zu erkennen. Um das zu bestätigen wurde nun links das Bild des Gefangenen durch eine der bekannten Aufnahmen des Diktators ersetzt. Das linke und das rechte Bild erschienen jetzt fast deckungsgleich. Um diesen Effekt herzustellen, mussten diejenigen, die den Mann in Gewahrsam hielten, ihn so frisiert und rasiert haben, wie es das Muster des alten Saddam-Bildes vorgab. Anschließend wurde er in eine ähnliche Pose wie auf dem bekannten Bild gebracht und in einer vergleichbaren Einstellung abgelichtet. Der Gefangene wurde so dem bekannten Bild des Diktators ähnlich gemacht, wie er sich zuvor, wenn es sich wirklich um Saddam handelte, von diesem Bild äußerlich zu entfernen suchte.

Wichtiger als die ergänzende Nachricht, dass ein DNA-Test die Identität bestätigt habe, waren also die Bilder. Sie zeigten zum einen, dass der Gefangene wie der alte Saddam aussieht, wenn man ihn denn bearbeitet und seiner Maskerade entkleidet. Sie zeigten zum anderen, dass der Gefangene zuvor wie ein Bettler aussah, der sich zulange in Erdlöchern, wie eines auf dieser Pressekonferenz gezeigt wird, aufhalten musste. Die Botschaft war eindeutig: Der Mann ist nicht nur gefangen genommen worden, er war zuvor bereits am Ende.

An der Pressekonferenz nahm auch ein Iraker teil, doch dessen Ansprache wurde nicht oder nur unzureichend übersetzt, da die deutschen Sender allein Übersetzer aus dem Englischen angeheuert hatten und dummerweise CNN wie BBC International keine Übersetzung ins Englische der in Arabischen gehaltenen Rede anboten. Später konnten dann die weniger Fragen als Statements gleichenden Äußerungen der irakischen Journalisten (erst ins Englisch, dann ins Deutsche) übersetzt werden. Sie verliehen erst einmal wortreich ihrer großen Freude Ausdruck, um dann ihre Hoffnung zu artikulieren, dass der Verbrechen Saddam vor ein irakisches Gericht gestellt würde. Über den Ort, das Verfahren und den Gerichtsherren eines solchen Prozesses wurde in den nächsten Stunden in Sondersendungen des deutschen Fernsehens ebenso spekuliert wie über den aktuellen Aufenthaltsort des Gefangenen.

Der amerikanische Präsident George W. Bush trat erst Stunden später vor die Fernsehkameras. Sein Auftritt fiel sehr zurückhaltend aus. Keine große Inszenierung, keine lauten Töne, kein breites Grinsen, wie es sonst bei ihm üblich ist. Es ist, als habe Bush aus seinem Auftritt unmittelbar nach Ende des dritten Irak-Kriegs gelernt. Damals hatte er sich mit einem Militärjet auf einen Flugzeugträger einfliegen lassen, um in der Kampfuniform eines Düsenpiloten und über beide Backen lachend den Sieg zu verkünden. Dieses Propagandabild verlor seine Wirkung und verkehrte seine Wirkung in das Gegenteil mit jedem amerikanischen Soldaten, der in den nächsten Monaten im Irak bei Angriffen und Attentaten sein Leben lassen musste. Deshalb musste der Präsident nun ernst bleiben, auch wenn ihm anders zumute war. Vorsorglich verkündete er, dass mit der Gefangennahme Saddams die Gewalt gegen die US-Soldaten im Irak noch nicht erlahmt sei.

Den Jubel überließ er den Irakern, die ihm an diesem Tag mit ihrer demonstrativen Freude jene Bilder nachlieferten, auf die er seit dem militärischen Sieg im April gehofft hatte. Erst mit der Gefangennahme von Saddam und dem Jubel auf Bagdads Straßen scheint die Bilderpolitik des Krieges zu Ende, ohne dass das irgendetwas über den Nachkrieg aussagte. Die nächsten Bombenattentate auf irakische Polizeiwachen, die ja nicht die Besatzungsmacht treffen, sondern die neue entstehende Zivilverwaltung destabilisieren soll, ließen nicht lange auf sich warten. Und am nächsten Tag versammelten sich um das Versteck, als es von der internationalen Presse gefilmt werden durfte, Bewohner des Dorfes und feierten den Gefangenen und betonten ihre Treue.


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