Zeigefinger in höchster Not

Medientagebuch Wurde der Konkurrent nur aufgebaut, um ihn beim Rückkampf um so eindeutiger zu deklassieren?

Nun sieh an, es geht doch. Anders als beim ersten Mal deutete das zweite "Duell"- das am Abend des 8. September ARD und ZDF live übertrugen - an, dass solche Gesprächssendungen nicht zwangsläufig langweilig und müde daherkommen müssen. Die zweite Veranstaltung verlief wacher, auch kontroverser, es hatte mehr Stimmungen und es wurde von den beiden Moderatorinnen Maybritt Illner und Sabine Christiansen frecher und souveräner geführt.

Der erste Augenschein ließ das nicht vermuten. Beide Herren trugen schwarze Anzüge und dazu fast identische rote Krawatten mit weißen Schrägstreifen. Das ließ eine Abendveranstaltung der Konformität erwarten, eine große Koalition der Bedenkenträger, in der wechselseitiger Respekt mehr geheuchelt als bezeugt würde und umständlich der Anschein an Sachkompetenz produziert worden wäre. Eine Mischung aus gemimter Besinnung, demonstrativer Einkehr und pathetischem Staatstheater. Wie man es von Tagungen an den idyllischen Orten der Republik kennt.

Doch gerade das trat nicht ein. Es wurde eine Wahlkampfdebatte, in der beide Spitzenkandidaten sich als attraktive Fernsehfiguren zeigen wollten. Die Kritik wurde heftiger formuliert, die persönlichen Entgegnungen nahmen an Schärfe zu, der Schlagabtausch wurde zum verbalen Infight. Vor allem der Bundeskanzler Gerhard Schröder ging diesmal stärker aus der Deckung heraus, die er sich in der Rolle als Staatsmann zugelegt hatte. Aber das war es nicht nur. Angesichts der beiden Damen ließ er diesmal seinen Charme spielen, mit dem er noch vor zwei Wochen merklich geizte. Er formulierte an diesem Abend knapper und präziser als sein Konkurrent. Selbst über die deutlichen Schwächen seiner Regierung plauderte er elegant hinweg. Was angesichts von Chargen wie Scharping schon eine Leistung ist.

Edmund Stoiber hatte sich einen rhetorischen Trommelwirbel vorgenommen, der auf dem Rhythmus des Begriffs Arbeitslosigkeit beruhte. Immer wieder, selbst wenn es nicht passte, kam er auf sein Leitthema zurück. Das war nicht schlecht ausgedacht, taugte aber für die Praxis dieses Gespräches nicht. Indem er es bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit anbrachte, hatte er die dem Thema innewohnende Wirkmacht schon verpulvert, als es endlich offiziell angesprochen wurde. Hier konnte sich Stoiber nur noch wiederholen. Und die Wiederholung ist die größte Gefahr, die ihm blüht. In der Redundanz schwächt sich seine Rede merklich ab, sie verliert an Fahrt und der Sprecher den Faden. Seine Sätze laufen beziehungslos aus, die Verben passen nicht mehr zu den jeweiligen Subjekten des Satzes, und die Metaphern entgleisen.

Kein Wunder, dass Stoiber in höchster Not sogar seinen Zeigefinger wieder streckte - aber nur bis zur Gürtelhöhe, dann senkte er ihn wieder, wie es ihm die Medienberater antrainiert haben. Stoibers größter Lerneffekt bestand darin, diesmal den Kanzler auch anzuschauen; also auf die Zweiereinstellung von der Seite zu reagieren. Aber er traute sich auch diesmal nicht so ganz, als scheue er den persönlichen Kontakt oder als fürchte er den direkten Blick. Man hatte bei den Bildern dieses wechselseitigen Blicks den Eindruck, als hätte Stoiber physisch Angst vor dem zwar erheblich kleineren, aber kräftigeren Kanzler.

Gerhard Schröder hat sich an diesem Abend als derjenige herausgestellt, als den ihn alle vor dem ersten "Duell" angesehen haben. Er ist tatsächlich der Bessere im und für das Fernsehen. Er beherrscht wie ein Schauspieler das mimische und gestische Repertoire aus Komik, Tragik, Charme und Kraft. Und er kann situativ reagieren. So korrigierte er einen mehrfachen Versprecher Stoibers ruhig und gelassen, ohne besserwisserisch zu wirken. Und er weiß, wann er punkten darf. Als ihm Stoiber ausgerechnet höhnisch mit dem Zwischenruf "Schöne Worte" ins Wort fiel, als Schröder über seine soziale Herkunft sprach, konterte er bärenstark mit dem mächtig orgelnden Satz "Sie sollten so über meine Erfahrungen nicht reden." Stoiber irritierte das so mächtig, dass er anschließend gleich auch seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen protokollieren ließ, was aber nur wie ein billiger Abklatsch wirkte.

Schröder war an diesem Abend klar der Bessere - im Fernsehstudio. Angesichts der so deutlich schwächeren Leistung beim ersten Duell beschleicht einen der Verdacht, Schröder hätte sich damals bewusst zurückgehalten, um nicht gleich einen glatten Punktsieg zu landen; dann hätte er den Konkurrenten nur aufgebaut, um ihm beim Rückkampf um so eindeutiger zu schlagen und zu deklassieren. Im UEFA-Cup gewinnen deutsche Vereine ungern auswärts bei schwächeren Mannschaften, weil das die Zuschauer für das Rückspiel zuhause vergrault. Diese Rechnung ging auf. Das zweite Duell sahen noch einmal 400.000 Zuschauer mehr als das erste.

Ob Gerhard Schröder bei den Wählern (und nicht nur Zuschauern) als der bessere Politiker gilt, wird sich am 22. September entscheiden. In der Wahlkabine zählt die Fernsehpräsenz der Kandidaten nur als ein Faktor neben vielen anderen. Die Wähler entscheiden sich eben nicht nur für Kandidaten sondern auch für Parteien und Ideologien. Und ihre Entscheidung basiert auf familiären Verhältnissen, politischen Grundeinstellungen, aktuellen Ereignissen, ökonomischer Lage, Sicherheitsbedürfnissen und vielem mehr.

Ob es das weitgehend von Politikern formatierte "Duell" in Zukunft noch geben wird, bleibt die Frage. Die Schwächen liegen auf der Hand. Seine Stärken beruhen weitgehend auf dem Ereignischarakter, der dem Duell durch eine lebhafte Vorab-Berichterstattung vom Fernsehen selbst verliehen wird. Aber das entscheidet nicht über das aus den USA übernommene Format. Entscheidend ist der Wahlausgang. Ein von Westerwelle zum Kanzler gewählter Edmund Stoiber wird bei der nächsten Bundestagswahl bei einem nächsten Duell nicht antreten dürfen. Wenn die mögliche schwarz-gelbe Koalition hielte. (Während des Duells konnte man im Videotext nicht nur den Stand des Basketballspiels zwischen Deutschland und Neuseeland bei der Weltmeisterschaft lesen, sondern auch fast minütlich verfolgen, wie in Österreich eine ähnliche Koalition auseinanderbrach.) Und wenn Stoiber ein solches Fernsehduell noch einmal wollte. Was zu bezweifeln wäre.

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