Zeugen des Krieges

Doku-Drama Die ARD verfilmt die Ereignisse in Kunduz und es zeigen sich elementare Probleme: Wie deutet man in Afghanistan Bilder richtig, die ein Flugzeug nachts aufgenommen hat?
Ausgabe 35/2013
Zeugen des Krieges

Foto: NDR/Cinecentrum

Zu den Selbstlügen polizeilicher oder militärischer Aufklärung zählt die Behauptung, Bilder aus Überwachungskameras, von Drohnen oder Aufklärungsflugzeugen lieferten eindeutige Informationen. Wie alle Bilder bedürfen sie der Interpretation. Man muss aus ihnen herauslesen, was man als wirklich annimmt.

Zu den markanten Momenten des Fernsehfilms Eine mörderische Entscheidung von Hannah (Buch) und Raymond Ley (Buch und Regie), das der NDR und Arte in Auftrag gaben, zählt die Situation, in der ein Bundeswehr-Offizier in Afghanistan Bilder deuten muss, die ein Flugzeug nachts aufgenommen hat. Sind die Punkte, die man rund um zwei Tanklastwagen erkennt, Taliban-Kämpfer, wie ein Informant suggeriert, oder Zivilisten, die Benzin aus den steckengebliebenen Fahrzeugen abzapfen? Leys Film rekonstruiert die Ereignisse vom 3. September 2009 in Kunduz, als ein Bundeswehroberst die Bombardierung der Tanklastwagen befahl, weil er auf Taliban entschied. 140 Menschen starben.

Formal ist der Film eine Mischform. Er besteht einerseits aus Gesprächen mit Beteiligten und Zeugen des Ereignisses, militärisch und politischen Verantwortlichen sowie aus Archivmaterial. Der überwiegende Teil ist andererseits Nachinszenierung dessen, was die Autoren, Journalisten und der Bundestagsuntersuchungsausschuss über das Bombardement ermittelt haben. Die Erzählung setzt im März 2009 ein, als der von Matthias Brandt gespielte Oberst nach Kunduz versetzt wird.

So geht es in den ersten 45 Minuten um die Verhältnisse, wie sie die Bundeswehrsoldaten erleben. Sie sind mittelmäßig ausgerüstet und schlecht vorbereitet. Nur über Dolmetscher können sie mit Bevölkerung und Obrigkeit sprechen und sind stetigen Angriffen durch die Taliban ausgesetzt, von denen der Film zwei (einen Selbstmordanschlag und einen militärischen Überfall) schildert. Diese Erlebnisse grundieren gleichsam die seelische Verfassung des von Brandt eher nachdenklich und reflektiert dargestellten Obersts. Der sieht sich in der Nacht des 3. September, die der Film in den zweiten 45 Minuten minutiös schildert, immer stärker zu einem Handeln verpflichtet, das ein deutscher NATO-General und auch die Parlamentarier (mit Abstrichen) im Film als eindeutig falsch beurteilen.

Nah dran - ohne Umschweife

Stark ist Eine mörderische Entscheidung, wo der Film afghanische Mütter und Väter sprechen lässt, die beim Bombenangriff ihre Kinder verloren haben. In den eher knappen Aussagen blitzt eine Realität des lange Zeit nicht erklärten Kriegs in Afghanistan auf, die sonst ausgeblendet wird. Blass bleibt die Darstellung der Bundeswehrsoldaten, vielleicht auch deshalb, weil sie für den Film nicht interviewt werden durften. Auch Oberst Klein verweigerte ein Interview. Das stört aber nicht, da Matthias Brandt ihn fast schon mit zu viel Individualität ausstattet. Unter den Zeugen fällt der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr auf. Nicht weil Wolfgang Schneiderhan viel Neues äußern würde, sondern wegen seiner bezeichnenden Sprache voller Männer-Sprüche („Man muss mit den Frauen tanzen, die auf der Party sind“) und Redundanzen („der die Verantwortung hat, muss die Verantwortung wahrnehmen“).

In der Quintessenz der zwischen journalistischem Doku-Drama und ambitioniertem Kriegsfilm changierenden Produktion erscheint das grauenhafte Bombardement als ein im militärischen System selbst angelegtes Versagen, zu dem die Fehlinterpretation der Bilder einen gewichtigen Teil beitrug.

Eine mörderische Entscheidung wird am 30. August (Arte) und 4. September (ARD) jeweils um 20.15 Uhr ausgestrahlt

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